Nachruf
Poesie mit dem Nagel: Der Künstler Günther Uecker ist tot
Der Nagel machte Günther Uecker berühmt, und Uecker verhalf dem Nagel zum Ruhm in der Kunst. Nun ist der Universalkünstler und Mitbegründer der ZERO-Kunst gestorben.
Dorothea Hülsmeier (dpa)
Mi, 11. Jun 2025, 15:00 Uhr
Kunst
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Günther Uecker bereitete dem Nagel den Weg in die Kunstgeschichte. Jahrzehntelang hämmerte er Zimmermannsnägel in Stühle, Klaviere, Nähmaschinen und natürlich Leinwände. Nägel haben etwas Aggressives und Verletzendes. Bei Uecker aber wurden sie sinnlich. Nun ist der einstige Mitbegründer der weltbekannten ZERO-Gruppe tot. Nach Angaben aus dem Umfeld der Familie starb er am Dienstag mit 95 Jahren.
Bis ins hohe Alter arbeitete Uecker in seinem Atelier in einem Speicher in seiner Wahlheimat Düsseldorf, umgeben von seinem kleinen "Familienbetrieb" – seiner Frau Christine und Sohn Jacob. Ueckers großformatige Nagelreliefs hängen heute in den großen Museen der Welt und den politischen Machtzentralen Deutschlands. Für Uecker waren die Nagelbilder immer auch tagebuchähnliche Seelenlandschaften, die er "Empfindungswerte aus der Zeit" nannte. Seine Reliefs mit den eng gehauenen Nägeln erinnern an wogende Gräser oder Ähren. Für Uecker waren sie auch "Ausdruck der poetischen Kraft des Menschen".
Der am 13. März 1930 in Wendorf geborene Bauernsohn war aber weit mehr als ein "Nagelkünstler", er war ein universaler Weltkünstler. Mit einer humanitären Friedensbotschaft reiste Uecker um die Welt, durfte auch in Diktaturen und totalitären Staaten ausstellen. "Mit Offenheit dem zu begegnen, was mich zutiefst befremdet" – das war Ueckers Quelle der Inspiration.
Uecker arbeitete auch mit Papier, Holz, Stoff, Stein, Asche und Sand
Ausgebildet wurde Uecker in der DDR zum Reklamegestalter und musste einst ein 20 Meter hohes Stalin-Bild malen. "Ich wurde im dialektischen Materialismus gehirngewaschen", sagte Uecker einmal. Im Jahr 1957, da war Uecker schon im Westen, griff er erstmals zum Nagel. Mit dem aggressiven Akt des Nagelns wies er fortan auch auf die Gewalttätigkeit des Menschen hin.
Seine Kunst freilich ging weit über Nagellandschaften hinaus. Er arbeitete mit Papier, Holz, Stoff, Stein, Asche und Sand. Uecker malte Aschebilder nach der Tschernobyl-Katastrophe, kämpfte für das indigene Volk der Navajo und stellte auf Stoffe gemalte Menschenrechtsbotschaften in Peking aus. Hochpolitisch sind Ueckers Werke wie etwa die "Verletzungswörter". Uecker malte Worte der Gewalt, des Tötens und des Quälens in vielen Sprachen und fremden Schriften auf große Leinwände – die Sprachgemälde wurden poetisch.
Thema ist die Verletzbarkeit des Menschen durch den Menschen
"Das Thema meiner künstlerischen Arbeit ist die Verletzbarkeit des Menschen durch den Menschen", sagte der mit vielen Preisen ausgezeichnete Uecker, als er im Jahr 2000 in den Orden Pour le mérite aufgenommen wurde. 2023 errichtete Uecker in Weimar ein Steinmal zur Erinnerung an die Opfer des NS-Konzentrationslagers Buchenwald. Auch aufsehenerregende Bühnenbilder gehören zu Ueckers Werk, ebenso wie der Andachtsraum im Berliner Reichstag. Hunderte von Nägeln durchbohren dort ein Kreuzmotiv.
Vom Image des ZERO-Künstlers kam Uecker ebenso wenig los wie von dem des Nagelkünstlers. In einem Atemzug wurde sein Name mit Heinz Mack und Otto Piene genannt. Die drei hatten als junge Künstler Anfang der 1960er-Jahre die nur wenige Jahre existierende Avantgarde-Gruppe ZERO gebildet, die mit ihrer puristischen Ästhetik einen Neuanfang in der Kunst nach dem Krieg suchte. Piene starb im Sommer 2014. Nun musste die Kunstwelt auch Abschied von Uecker nehmen.