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ProContra: Mythos schöne Studienzeit?

Hengameh Yaghoobifarah
  • Do, 27. März 2014
    fudder

Coole Menschen müssen mühselig gesucht werden.

  | Foto: privat
Foto: privat
Vor etwas mehr als zwei Jahren, im Oktober 2011, fing ich mein Studium an der Uni Freiburg an. Alle sagten mir, dass jetzt ein neuer, wichtiger Lebensabschnitt beginne. Dass ab jetzt alles anders wäre und ich aus dieses Zeit viel lernen werde, sowohl akademisch als auch street-smart-mäßig. Filme wie "13 Semester" oder "The Social Network" versprachen mir, dass an der Uni etwas aus mir wird.

Das erste Semester war so enttäuschend, dass ich darüber nachgedacht habe, zumindest Uni und Stadt zu wechseln. Es wurde zwar besser, aber die Ernüchterung über das tatsächliche Studium hängt mir immer noch in den Knochen.

Die größten Mythen? "Im Studium wirst du erwachsen!" Der Begriff des heteronormativen Erwachsenseins ist ein großes Fass, dass ich nicht in Nebensätzen zu öffnen wage. Dank des ollen BAföG-Gesetzes muss ich aber sagen, dass ich mir Erwachsensein nicht unbedingt so vorgestellt habe, dass ich mindestens drei Jahre lang von meinen Eltern finanziell abhängig bin. Mein Nebenjob bringt mir ungefähr Taschengeld ein, mehr Zeit kann ich nicht in Arbeit investieren, sonst hinke ich dem Studium hinterher. An dieser Stelle könnten wir uns übrigens auch über faire Studierendenlöhne unterhalten.

Mit sechsmal anderthalb Stunden Anwesenheitspflicht auf dem Campus kann ich auch nicht behaupten, einen regelten Tagesplan entwickelt zu haben. Mal stehe ich nachts um 6 Uhr auf, mal komme ich zu der Zeit erst nach Hause. Mir vorzustellen, dass der Umkehrschluss dieser Mythos-Aussage wäre, dass eins ohne Studium nie so richtig erwachsen wird, lässt meine Miene versteinern.

"An der Uni triffst du die coolsten Menschen!" Das war meine große Hoffnung. Sobald ich aus der Kleinstadt ausgezogen bin, werde ich nur noch mit richtig coolen Leuten rumhängen, dachte ich mir. Sie würden alle einen guten Musikgeschmack haben, mit mir auf Konzerte und auf gute Partys gehen, Flohmärkte lieben, kein Fleisch essen, ihre Seife selber machen und politisch keinen Millimeter weiter rechts als die Grünen sein. Well, what can I say? Studierende strapazieren meine Nerven nicht weniger als es die Bonzenkinder auf meinem Gymnasium taten. Die stereotypischen Studierenden sind heteronormativ, sexistisch, baden in Mainstreamkultur, tanzen zu David Guetta in prätentiösen Clubs, trinken enorm viel Alkohol, sind in ihrer Uni-Bubble eingefangen, wollen alles kostenlos haben und essen Wurst ohne Brot.

Natürlich gibt es auch coole Menschen an der Uni. Die müssen aber mühselig gesucht werden. Die coolen Menschen sind auch nicht deshalb cool, weil sie studieren, sondern weil sie diesen ganzen Uni-Kontext hinterfragen und sich ihm nicht anpassen. Es sind quasi die Ausnahmen, die die Regel erträglich machen. Die Messlatte, Menschen cool zu finden, sinkt auch stark. Manche sind nett und angenehm im Umgang, aber fallen in puncto Musikgeschmack oder Aktivismus durch. Aber ich habe gelernt: Nicht nur nach Leuten zu suchen, die genau so sind wie ich, sondern auch Verschiedenheit zu schätzen.

"Studierendenpartys sind der Shit!" Joa, geht so, ne? Unter dem Shit stelle ich mir nicht unbedingt Scheißmusik auf allen vier Floors, aufdringliche Typen und hässliche Locations (ernsthaft, die Mensen sind keine schönen Orte für Partys) vor. Nicht einmal betrunken machen diese Feiern Spaß. Und am Ende ärgert eins sich darüber, 4 Euro Eintritt und den Preis des Sonntagskaters gezahlt zu haben.

"Aber WG-Partys sind legendär!" 40 betrunkene Studierende, die auf 70 Quadratmeter gedrängt Essen auf den Boden schmeißen, halb volle Bierflaschen umstoßen, Toiletten vollkotzen, sich beim gesamten Wohnblock durch Lautstärke unbeliebt machen, im Kreis auf dem Boden sitzen und Wonderwall, Little Talks sowie Here Comes The Sun mit Gitarrenbegleitung eines douchigen Typen singen? Klingt nach einem Traum.

"Auch erfolgstechnisch kann die Uni ein Sprungbrett sein." Wenn eins auf akademisches, elitistisches, prätentiöses Gehabe sein Leben lang Lust hat: Bitte sehr. Ich bin da raus.

– Die Autorin, 22 Jahre, kommt aus Kiel und studiert seit 2011 Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik in Freiburg. Sie zieht jetzt nach Berlin.

Ressort: fudder

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 27. März 2014: PDF-Version herunterladen

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