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Trend

Retro-Fahrräder – Eine Spurensuche in Freiburg

Nadine Zeller
  • Do, 06. November 2014, 11:19 Uhr
    Südwest

Nostalgie auf Rädern: Der Retrotrend ist der Versuch, eine Zeit einzufangen, die es so nie gegeben hat. Eine Spurensuche in einem Freiburger Fahrradladen

Johannes Kratzert (links) und  Christo...loss vor ihrem Fahrradladen Superrad.   | Foto: Nadine Zeller
Johannes Kratzert (links) und Christoph Hammann-Kloss vor ihrem Fahrradladen Superrad. Foto: Nadine Zeller
Toaster im 50er-Jahre-Stil, alte Kinosessel in Studentenwohnungen, Jukeboxen an der Wand, künstliches Vinylknistern auf digital produzierten Liedern – alles schon mal da gewesen, alles vertraut.

Nun hat der seinerseits bereits in die Tage gekommene Retrotrend eine wilde Ehe geschlossen mit dem Fahrraddesign. Es gibt nur eine Sache, die besser ist als ein schönes Fahrrad – ein schönes altes Fahrrad. Höchste Zeit für eine Bestandsaufnahme im Herzen der deutschen Fahrradmetropole.

Im Freiburger Stadtteil Stühlinger schraubt Christoph Hammann-Kloss, 34, gerade an einem alten Rennrad herum. Er trägt eine blaue Radrennmütze, ein orangefarbenes Radtrikot, Bart und Brille. Im Juni 2013 hat er zusammen mit seinem Geschäftspartner Johannes Kratzert den Fahrradladen Superrad eröffnet. Kettennieten, Schraubenschlüssel, Stahlrahmen – das ist ihre Welt. Die beiden reparieren und verkaufen in die Jahre gekommene Rennräder, lackieren Stahlrahmen, bemalen Muffen und fachsimpeln mit Besuchern. Das Geschäft läuft gut. Der Laden hat sechs Stunden die Woche geöffnet, was man zuverlässig daran erkennt, dass die beiden davor auf einer Bank herumsitzen und Bionade trinken. Alle paar Minuten heben sie entspannt die Hand und grüßen Passanten. Man kennt sich.

Seit wann sind alte Fahrräder sexy?

Das Publikum ist überwiegend männlich und studentisch. An der Wand hängen Fahrräder: ein Dürkopp aus dem Ruhrgebiet, hergestellt in den 50er-Jahren, ein Pinarello aus Norditalien 1976 mit 12er-Gangschaltung. Liebhaberstücke. Seit wann sind alte Fahrräder sexy?

"In Deutschland hat der Trend etwa vor zehn Jahren in Hamburg und Berlin angefangen", sagt Kratzert. Hat mal wieder länger gedauert, bis der Süden reagierte. Aber warum sind alte Fahrräder schöner als neue? "Ein Alfa Romeo Spider ist ja auch etwas anderes als ein Audi TT", sagt Kratzert lakonisch. Er und Hammann kennen sich seit Kindertagen. Sie gingen zusammen in Heidelberg zur Schule. Schon damals schraubten sie an Fahrrädern rum.

Der Versuch, die Zeit stillstehen zu lassen

In Freiburg haben sie mit ihrem Laden eine Nische gefunden. Das Interesse an Vintage-Rädern ist groß. Der Unterschied zwischen Retro und Vintage ist, dass Retrogegenstände nicht zwangsläufig alt sind, aber den Stil einer bestimmten Zeit imitieren. Während der Ausdruck Vintage sich auf tatsächlich alte Gegenstände bezieht. "Unsere Kunden mögen einfach dieses alte Design", sagt Christoph Hammann-Kloss. Rennfahren würde mit diesen Rädern niemand mehr. "Es sind Showrennräder: Also schöne, schnelle Stadträder, die man gern zeigt."

Für Sabine Sielke geht die Faszination für das Alte tiefer. Die Professorin für Anglistik leitet das Projekt "Nostalgie" an der Universität Bonn. Zusammen mit Soziologen, Kulturwissenschaftlern und Musikwissenschaftlern spürt sie dem Retro-Phänomen nach. "Retrowellen treten vor allem auf, wenn sich Zeit beschleunigt", sagt Sielke. Durch die Entwicklung der digitalen Technologien hätten die Arbeit und die Kommunikation der Menschen an Fahrt aufgenommen. Der Rückgriff auf alt anmutende Möbel, Fahrräder, Schallplattenspieler – sei der Versuch, Zeit stillstehen zu lassen. Entschleunigung durch Produkte quasi.

"Man muss sich klarmachen, dass Nostalgiephänomene an eine Zeit erinnern, die so nie war", sagt Sielke. Es handle sich vielmehr um die Idealisierung eines bestimmten Zeitraums. "Wir beobachten im Mode- und Designbereich viele Bezüge zu den 50er-Jahren. Aber die 50er-Jahre waren fürchterlich – Kalter Krieg, Homosexuellenverfolgung – niemand wünscht sich in diese Zeit zurück." Warum faszinieren uns diese Gegenstände dann so stark?

Die Suche nach Altem ist die Suche nach Authentizität

"Es ist die Suche nach Authentizität", sagt Sielke. Fahrräder, alte Saftpressen, Jukeboxen sollen eine Geschichte erzählen. Echt sein. Ein Schallplattenspieler mit Kratzern, der sinnlich knistert, wenn die Nadel sich auf das Vinyl absenkt – ein Minierlebnis. Auch Hammann beschäftigt sich gerne mit den Rädern. "Der Charme des Alten liegt eben auch darin, dass man die Fahrräder selbst reparieren kann, dass man sie anfassen kann", sagt er. Das ist nichts medial Vermitteltes, nichts Digitales. Kratzert sagt: "Wir mögen die Räder nicht, weil es Vintage-Räder sind, sondern weil sie lange halten." Tun das neue Räder nicht? Doch, aber die alten Stahlrahmen seien sehr hochwertig.

Qualität, Langlebigkeit – der Gegenentwurf zur Wegwerfgesellschaft, dieses Argument fällt häufig, wenn man mit Menschen über alte Gegenstände spricht. Würde sich einer der beiden auch ein neues Fahrrad kaufen? Kratzert sagt, er sehe das nicht dogmatisch. Neuere Carbon- und Alufahrräder sind leichter. Zum Vergleich: Ein hochwertiges Vintagerad mit Stahlrahmen wiegt zehn Kilo – ein neues Rennrad derselben Qualität gibt es auch für fünf Kilo. Dafür ist es unter Umständen dreimal so teuer. "Unsere Fahrräder kosten rund 500 Euro", sagt Hammann. Wenn schon alt, dann aber Vintage und nicht Retro. "Ich würde mir kein neues Fahrrad kaufen, das auf alt gemacht ist – das ist kitschig."

Dennoch: Es gibt Menschen, die hängen sich alte Rennräder ins Wohnzimmer, so wie Förster Wildschweinköpfe. Kratzert grinst. "Das stimmt, aber irgendwo muss ein Fahrrad ja hin und im Wohnzimmer ist halt ein guter Platz."

Kennzeichen der Hipsterkultur

Andersartigkeit und Authentizität – die Suche danach ist auch Kennzeichen der Hipsterkultur. Deren Anhänger laut Klischee durch Berlin-Friedrichshain laufen – in der einen Hand einen Club-Mate-Tee in der anderen eine analoge Kamera – und Fotos von Streetart machen. Den Hipstern wurde von den Medien oft vorgeworfen, dass sie sich wahllos bei den Subkulturen der 1940er-Jahre bis in die Gegenwart bedienten – immer auf der Suche nach Extravaganz.

Johannes Kratzert betrachtet das nüchtern: "Unsere Kunden kaufen alte Fahrräder, weil sie damit herumfahren, wenn sie sie dann noch schön finden, ist das doch super." Auch Schauspieler wie Ewan McGregor, Naomi Watts und die Sängerin Pink lassen sich auf alten Fahrrädern ablichten. Vor dem Lenker – wie zufällig drapiert ein Strauß Blumen, der sich wunderbar passend vor der blau-weißen Segeltuchtasche abhebt. Dazu lang ausladende Bonanza-Fahrrad-Lenker.

Bedürfnis nach Authentizität

Dieses Bedürfnis nach Authentizität hat der Markt erkannt. Nach Altem, Wahrem, Echtem. Firmen verkaufen Retrokühlschränke mit Eisengriffen. Bei McDonald’s gibt’s den Nineteenfifties Burger und bei Aldi kann man seine Einkäufe in Nostalgietüten forttragen. Die Popkultur befeuert das Ganze: Serien wie Mad Men feiern den Lifestyle der 60er-Jahre. Stummfilme wie "The Artist" kokettieren mit dem Verzicht auf technische Errungenschaften – nutzen sie aber natürlich dennoch aus. Soll ja nur so wirken, als ob der Film alt wäre.

Die Firma Manufaktum floriert, weil sie zu den von ihnen verkauften Haushaltswaren zu Apothekerpreisen Geschichten erzählt. Es soll schließlich nicht irgendeine Glühbirne sein. Eine ganze Generation ist auf der Suche nach Beständigem und Sinnstiftendem – und kauft sich solche Gegenstände. "Es ist der Versuch der Unternehmen, Dinge zu verkaufen, die einen affektiven Gehalt haben", sagt Sielke. Sprich: Es wird ein Gefühl verkauft. Gebrauchsgegenstände würden fetischisiert. "Ein auf alt getrimmtes Neurad ist natürlich alles andere als authentisch, aber die Menschen kaufen es, weil sie das Echte suchen", sagt Sielke. Das müssen sich Kratzert und Hammann nicht vorwerfen lassen. Ihre Fahrräder sind wirklich alt.

Es ist alt, es hat eine Geschichte

Eine Kunde betritt den Laden. Matthias Lange, 47, aus Freiburg. Er will sich neue Pedale kaufen. Hammann berät ihn, will wissen, welche Schuhsohlen Lange trägt. Leder. Es gibt Pedale mit Haken, mit Zacken, alles Mögliche. Sie beratschlagen hin und her. Zum Schluss wird es ein Rennpedal. Ohne Haken, ist besser für die Ledersohle. Lange schaut zufrieden aus. Auch sein Vater wäre zufrieden. Er ist vor zehn Jahren gestorben – von ihm hat Lange das Fahrrad geerbt. "Mein Vater war Fahrradverrückter. Er ist Anfang der 50er-Jahre zum Großglockner gefahren. 1450 Kilometer in acht Tagen. Jeden Tag 180 Kilometer runtergerissen", sagt er. Jetzt fährt der Sohn mit dem Fahrrad herum. Es ist ein Victoria Vier-Gang-Sportrad. Es ist alt, es hat eine Geschichte. Es erinnert ihn an etwas, das es wirklich gab.

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Ressort: Südwest

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 06. November 2014: PDF-Version herunterladen

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