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Moderne Technik contra Eingebung

Michael Dörfler
  • Mo, 14. September 2015
    SC Freiburg

     

Der SC Freiburg hat in Kaiserslautern einen tadellosen Auftritt.

Zwei Protagonisten des Erfolgs: Karim Guédé (links) und Amir Abrashi Foto: Keller/Schön
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FREIBURG. Mehmet Scholl hat neulich unfreiwillig ein Fass aufgemacht, das er wohl besser verschlossen gehalten hätte. In einem Interview im Spiegel hatte sich der ehemalige Nationalspieler des FC Bayern und heutige Fußball-Erklärer in der ARD über die heutige Trainergeneration ausgelassen. Es ging bei Scholl darum, dass er "viel zu viele Laptoptrainer" auf den Bänken in der Bundesliga ausgemacht hat. Solche, die Taktik zum höchsten Gut erklären, selbst nie oben gespielt haben und sowieso alles anders machen, als er es tun würde. Kurzum, das Bauchgefühl, die Intuition kommen Scholl, der nach eigenem Eingeständnis selbst gerne Coach wäre, zu kurz.

Ob der "Scholli", wie er überall genannt wird, Christian Streich kennt, ist nicht überliefert. Auch der Trainer des SC Freiburg hat einen solchen Computer auf dem Schreibtisch stehen. Doch technischer Fortschritt hin und her, all der vielen heute zur Verfügung stehenden Daten über Laufwege und absolvierte Kilometer auf dem Platz zum Trotz, neigt Streich gelegentlich zu Entscheidungen, die Scholl, wüsste er es, vermutlich in Verzückung geraten ließen.

Vor dem Spiel der Freiburger am Freitagabend beim 1. FC Kaiserslautern war’s mal wieder so weit. "Die ganze Woche über haben wir während des Trainings bestimmte Spielabläufe einstudiert und nie war Karim Guédé bei den Auserwählten dabei", schilderte Streich nach der 2:0 gewonnenen Partie ungewohnt offen die Überlegungen des Trainerteams. Doch dann, auf der Reise in die Pfalz, habe er spontan umdisponiert. "Ich hatte das Gefühl, das wir Karim gut gebrauchen können, also habe ich ihn in die Mannschaft beordert", beschrieb Streich seine Gefühlslage. Sie sollte ihn nicht trügen. Guédé gehörte zu den Matchwinnern der Breisgauer: Zwei Vorlagen, die jeweils zu Toren führten, dazu zeigte der slowakische Nationalspieler ein engagiertes, intensives Spiel.

Kein Wunder also hatten Streich und mit ihm die rund 2000 mitgereisten Fans nach der Partie beste Laune. Der Abend auf dem Betzenberg war besser gelaufen, als es sich nicht nur ewige Pessimisten ausgemalt haben mögen. Trotz der Abwesenheit des am Knie verletzten Strategen Vincenzo Grifo boten die Freiburger eine spielerisch ansprechende Leistung, eine kämpferisch imposante dazu. Klug gestaffelt, mit einem massierten Mittelfeld, aus dem Nicolas Höfler und Amir Abrashi herausragten, engten sie die Räume der auf schnelles Umschaltspiel und Konter fixierten Gastgeber ein. Und während in der Offensive Nils Petersen ein Musterbeispiel an Laufbereitschaft an den Tag legte, konnte sich die Defensive mittels ihrer Kompaktheit schadlos halten. Der seit Dezember vergangenen Jahres erstmals wieder in der Startelf zum Zug gekommene Marc-Oliver Kempf gab an der Seite von Immanuel Höhn ein prima Comeback. Seine Übersicht und Schnelligkeit ließen ihn quasi alle Zweikämpfe gewinnen. "Das hat er gut gemacht", lobte dann auch Christian Streich.

Abzuwarten bleibt gleichwohl, wie Kempf die Belastungen der 90 Minuten wegstecken kann. Schon oft hat ihn seine Muskulatur im Stich gelassen, lange Ausfallzeiten waren die Folge. Es wäre ihm zu wünschen, ginge diese Leidenszeit langsam zu Ende.

Von überbordendem Enthusiasmus war die Reisegruppe aus dem Breisgau dennoch weit entfernt. 15 Punkte nach jetzt sechs Spielen sind zwar eine mehr als respektable Ausbeute, der zweite Platz in der Tabelle – hinter den noch um einen Zähler besseren Bochumern – die logische Folge. Doch wer genau hingeschaut hat, weiß, dass die sechs Punkte aus den beiden gewonnenen Auswärtsspielen bei den Münchner "Löwen" und bei Fortuna Düsseldorf eher glücklichen Umständen zu verdanken waren.

Mit dem Sieg bei den "Roten Teufeln" haben die Freiburger indes gezeigt, dass anfängliche Abstimmungsschwierigkeiten wettgemacht werden konnten. Insbesondere physisch hat die Mannschaft zugelegt. War ihr in Düsseldorf in Durchgang zwei die Puste noch in erschreckender Art und Weise ausgegangen, hielt sie die hohe Schlagzahl in der Pfalz bis zum Schlusspfiff konstant. "In der Länderspielpause haben wir diesbezüglich einiges aufholen können", sagte Streich anerkennend.

In zehn Tagen steht womöglich ein ernst zu nehmender Lackmustest für die Freiburger an. Dann, nach dem Heimspiel gegen Arminia Bielefeld am kommenden Freitag, steht die Reise zu RB Leipzig auf dem Programm, dem von vielen ausgemachten Aufstiegsfavoriten. Ob es Grifo bis dahin schafft fit zu werden? Vermutlich werden all die elektronischen Daten und auch die persönlichen Intuitionen den Trainern wieder Lösungsmöglichkeiten aufzeigen, auch wenn die Sachsen als ganz besonderer Brocken – auch in emotionaler Hinsicht – gelten dürfen.

In Kaiserslautern ist es nach dem Spiel diesbezüglich noch zu unschönen Szenen gekommen. Einige der rund 2000 Freiburger Fans waren auf dem Heimweg von sogenannten Lauterer Anhängern ins Visier genommen worden. Laut Polizei habe ein Angriff nur unter Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray verhindert werden können. Zwei Beamte mussten sich danach in ärztliche Behandlung begeben – sie waren mit Steinen und Mülltonnen beworfen worden.

Was man daraus lernt? Dass die Unbelehrbaren nicht aussterben – und ihr Auftreten ebenso wenig berechenbar ist, wie eine Mannschaftsaufstellung. Egal ob per Computer ermittelt oder intuitiv.

Ressort: SC Freiburg

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mo, 14. September 2015: PDF-Version herunterladen

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