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"Schlimm war, im Bunker zu sitzen"

  • Jonathan Körner, Klasse 4b, Grundschule Salzert (Lörrach)

  • Fr, 29. November 2019
    Zisch-Texte

     

ZISCH-INTERVIEW mit Ortrud Körner über ihre Kindheit.

Ortrud Gölzer als kleines Mädchen beim Betrachten eines Bilderbuchs  | Foto: Familienarchiv Körner
Ortrud Gölzer als kleines Mädchen beim Betrachten eines Bilderbuchs Foto: Familienarchiv Körner

Wie es war, als seine Oma so alt war wie er jetzt, wollte Zisch-Reporter Jonathan Körner aus der Klasse 4b der Grundschule Salzert in Lörrach von seiner Großmama Ortrud Gölzer wissen. Sie lebt in Pirmasens (Rheinland-Pfalz).

Zisch: Liebe Oma, als du neun Jahre alt warst, welches Jahr war das?
Gölzer: Das war 1946.
Zisch: Woran kannst du dich erinnern?
Gölzer: Bei einem Bombenangriff im August 1944 wurden große Teile unserer Stadt zerstört. Daraufhin wurde die Bevölkerung evakuiert und an Orten weit weg einquartiert, die nicht zerstört waren. Wir wohnten bei wildfremden Leuten. Nach unserer Rückkehr Ende 1946 waren 95 Prozent der Häuser in unserer Heimatstadt nicht mehr bewohnbar und man musste in den verbliebenen Wohnungen eng zusammenrücken. So wohnten wir in dem kleinen Haus der Großmutter mit drei Familien auf engstem Raum. Aber obwohl die Verhältnisse sehr beengt waren, hatten wir als Kinder auch eine gute Zeit zusammen. Mit meinen drei Cousinen habe ich immer viel gekichert und gelacht und Unsinn gemacht.
Zisch: Wie hat deine Familie gelebt?
Gölzer: Meine Eltern schliefen auf Strohsäcken unter dem Küchentisch. Die Küche wurde von drei Familien im Schichtbetrieb benutzt. Jeder musste seine eigenen Kohle- oder Holzvorräte haben. Mein älterer Bruder arbeitete als Knecht auf einem Bauernhof. So hatten wir wenigstens etwas Milch und Kartoffeln.
Zisch: Bist du überhaupt zur Schule gegangen? Wie sah der Unterricht aus?
Gölzer: Mein Schulweg führte über Trümmerhaufen. Wir kletterten über die zerstörten Häuser. In der Klasse waren wir mehr als 40 Kinder. Manche hatten keinen Sitzplatz und mussten stehen oder saßen auf dem Boden. An den Unterricht kann ich mich nicht mehr erinnern.

"Ich bin dankbar für alles, was wir heute haben."

Zisch: Hat man zuhause über den Krieg oder über Hitler gesprochen?
Gölzer: Nein, das Thema "Wie bekommen wir was zu essen" war viel wichtiger. Meine Mutter hat zum Beispiel aus Brennnesseln "Spinat" gekocht und wir haben Beeren im Wald gesammelt.
Zisch: Waren fremde Soldaten in deiner Heimatstadt? Was hast du über sie gedacht? Was haben die Erwachsenen über diese Soldaten gesagt?
Gölzer: In unserer Stadt waren französische Soldaten. Man hatte Angst, dass sie einem Sachen wegnehmen würden, zum Beispiel, dass sie Lebensmittel beschlagnahmen würden, oder dass sie Unterkünfte besetzen und die Bewohner daraus vertreiben könnten.
Zisch: Was war dein größter Wunsch? Was hast du dir zum Geburtstag gewünscht?
Gölzer: Wir hatten wenig zum Anziehen, deshalb habe ich mir gewünscht, dass alte Pullover aufgezogen würden, die Wolle gewaschen würde und ich daraus Socken und Handschuhe stricken lernen dürfte für den Winter.
Zisch: Deine Kindheit hast du im Krieg erlebt: Woran kannst du dich erinnern? Was war das Schlimmste?
Gölzer: Das Schlimmste war, im Luftschutzbunker zu sitzen. Einmal drang Rauch herein von den umliegenden brennenden Häusern und wir wären fast am Rauch erstickt. In letzter Minute konnten wir aber zum Glück gerettet werden.
Zisch: Wie haben dich die Erlebnisse als Kind für dein weiteres Leben geprägt?
Gölzer: Weil es damals so wenig gab und wir ums Überleben kämpfen mussten, bin ich mein Leben lang dankbar für alles, was wir haben.
Zisch: Wie wünschst du dir meine Zukunft und für die ganze Welt?
Gölzer: Ich wünsche mir für dich und alle Kinder, dass sie niemals Krieg, Todesangst und Zerstörung erleben müssen. Und dass die Erde für euch und eure Kinder bewohnbar bleibt!

Ressort: Zisch-Texte

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 29. November 2019: PDF-Version herunterladen

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