Zischup-Schreibwettbewerb Herbst 2022

Schon am Morgen war etwas komisch

Wenn ein geliebter Mensch stirbt, ist das ein großer Einschnitt. Leonys Opa starb, als sie noch in den Kindergarten ging.  

Zu den Kommentaren
Mail

Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen

Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.

Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.

Akzeptieren
Mehr Informationen
Auf dem Friedhof (Symbolbild)  | Foto: Arne Dedert (dpa)
Auf dem Friedhof (Symbolbild) Foto: Arne Dedert (dpa)
Es war der 18. Dezember 2014, ich war sechs Jahre alt. Ich ging gut gelaunt in den Kindergarten. Schon am Morgen war etwas komisch – meine Mutter benahm sich komisch. Ich dachte mir nichts dabei. Komisch war auch, dass der Freund meiner Mutter mich in den Kindergarten brachte. Eigentlich sollte er schon bei der Arbeit sein.

Der Morgen verging schnell und bald war 13 Uhr. Meine Mutter kam bestimmt gleich, um mich zu holen. Ich versteckte mich, wie immer. Aber an dem Tag suchte mich nicht meine Mutter, sondern eine Erzieherin. Ich sah meine Mutter, wie sie sich mit einer anderen Erzieherin unterhielt und weinte. Ich rannte zu ihr und nahm sie in den Arm. Wir verabschiedeten uns und fuhren nach Hause. Sie sagte nichts – die ganze Autofahrt nichts.

Wir kamen zu Hause an und ich ging lachend durch die Tür, doch ich hielt inne, denn ich sah meine Oma, meine beiden Onkels und meinen Stiefvater am Tisch sitzen und weinen. Ich fragte, was los sei. Meine Mutter bat mich zu sich und sagte: "Opa ist heute Morgen gestorben!" Zuerst konnte ich es nicht glauben, doch dann verstand ich, dass es ernst gemeint war. Ich setzte mich zu meiner Mutter und weinte. Es war einfach nicht fair! Ich konnte mich nicht mal verabschieden!

Die nächsten Tage und Wochen war alles anders: Wir mussten die Beerdigung organisieren. Wir waren alle durch den Wind und weinten oft. Einige Tage später saßen wir in der Kirche und weinten. Die Kirche war voll: Die Feuerwehr, Familie, Freunde und mehr waren gekommen. Der Pfarrer redete, aber ich verstand nicht alles. Wir gingen nach Hause und meine Mutter und ich redeten. Ich schrie sie an, dass alle die Schuld an Opas Tod trugen. Ich dachte, es sei passiert, weil sie so viel stritten.

Einige Jahre später gaben wir unsere Wirtschaft auf. Wir haben einiges aufgegeben. Jetzt sitze ich hier, schreibe diesen Text und weine fast los, weil das die größte Wende meines vergangenen Lebens ist. Meine Vorwürfe von damals bereue ich sehr, aber ich war sechs Jahre alt und habe dies alles nicht verstanden.
Thema des Zischup-Schreibwettbewerbs

im Herbstprojekt 2022 war "Zeitenwende". Der Begriff sollte sich allerdings nicht unbedingt auf die Weltpolitik beziehen – er passt auch zu vielen Situationen im Privaten.

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel