Account/Login

Rock am Ring / Rock im Park

"Schrei nach Liebe" der Ärzte trifft auch 2019 den Nerv der Zeit

Stefan Rother

Von

Mo, 10. Juni 2019 um 23:33 Uhr

Rock & Pop

Es war die Stunde der Rückkehrer: Auffallend viele der Bands, die bei "Rock im Park" und "Rock am Ring" dabei waren, meldeten sich nach einer längeren Kreativpause zurück.

„Ärzte“-Schlagzeuger Bela B  | Foto: Stefan Rother
„Ärzte“-Schlagzeuger Bela B Foto: Stefan Rother
Vor allem Die Ärzte haben dazu beigetragen, dass über das Pfingstwochenende rund 86 000 Besucher an den Nürburgring und rund 73 000 in den Park nach Nürnberg strömten. Schließlich hat die Band aus Berlin eine sechsjährige Tourpause hinter sich, es kursierten zeitweise Auflösungsgerüchte und die Gastspiele bei den Zwillingsfestivals sollen für dieses Jahr die einzigen größeren Auftritte in Deutschland bleiben.

Die Frage stand im Raum: Können drei Musiker jenseits der 50 einfach so weiter machen wie bisher – als Berufsjugendliche, die es sich zwischen Oberstufen-Humor, Teenager-Liebe und politischem Engagement eingerichtet haben? Und wie passt ein solcher Auftritt in die aktuelle Festival-Landschaft? Die Bilanz nach dem Doppelpack am Ring und im Park lautet: Ja, sie können es noch, auch wenn es schon bessere Auftritte des Trios gab. Den Ärzten gelang es noch am ehesten, es auf einen gemeinsamen Nenner zu schaffen – in einem Festivalprogramm, das trotz "Rock" im Namen reichlich HipHop fürs jüngere Publikum bot, andererseits auf recht lärmige Hardcore-Attacken setzte.

Die Jungen und die Junggebliebenen

So bewiesen die Ärzte ein gutes Gefühl dafür, was es heißt jung zu sein – und sprachen damit sowohl die an, die es noch sind, als auch die, die sich gerne daran zurückerinnern. Der Song "Zu Spät" bringt auch 34 Jahre nach Erscheinen Gefühle wie Eifersucht, unerwiderte Liebe und den daraus resultierenden Trotz perfekt auf den Punkt. "Junge" nimmt den Spagat zwischen Heranwachsen und elterlichen Erwartungen aufs Korn und "Deine Schuld" erweist sich als unkaputtbarer Protestsong. Gerade weil die Aussagen hier eher im Vagen bleiben – "geh mal wieder auf die Straße, geh mal wieder demonstrieren" – kann sich auch die "Generation Greta" darin bestens wiederfinden. Dass "Schrei nach Liebe", die treffend-sarkastische Attacke auf Rechtsextremisten, ebenfalls zeitlos aktuell ist, bereitet der Band dagegen wesentlich weniger Befriedigung, wie Sänger Farin Urlaub in einer seiner Ansagen mit einem deutlichen Seitenhieb Richtung AfD anmerkte.
Andere Stücke wirken etwas aus der Zeit gefallen – "2000 Mädchen" etwa rockt nach wie vor gut, die Perspektive eines Telefon-Stalkers dürfte mittlerweile aber wohl einigen Leuten aufstoßen. Und "Manchmal haben Frauen ein kleines bisschen Haue gern" war trotz der Wendungen im Text immer schon ein eher verquerer Song. Aber ihren Hang zur Provokation und Albernheit wollen sich die Ärzte auch mit 50 plus nicht nehmen lassen und leben diesen in rituellen Wortgefechten auf der Bühne aus.

Von fröhlich bis schwermütig

Zwar hat sich im Laufe der Jahrzehnte auch einiges an Mittelmaß im Katalog der Band angesammelt: So bremsen zwischendurch lauere Nummern wie "Sohn der Leere" das gut zweistündige Programm etwas aus. Aber wenn es darauf ankommt, kann die selbsternannte "beste Band der Welt" nach wie vor liefern: Als in Nürnberg dunkle Wolken und Regen über das Publikum zogen, stimmte man einfach "Hip Hip Hurra – alles ist super, alles ist wunderbar" an. Und dazu tanzten dann selbst diejenigen im Publikum, die mit der Band ergraut sind, unbekümmert und Bier schwenkend im Regen, anstatt sich, wie es die Vernunft wohl gebieten würde, zu einer Tasse Tee unter die nächste Plane zu verziehen.
Diese fröhlich-euphorische Seite fehlte den anderen zurückkehrenden Bands, die sich eher auf Gefühle wie Schwermut und Wut konzentrierten. Smashing-Pumpkins Frontmann Billy Corgan kann diesen zumindest noch Momente von erhabener Schönheit abgewinnen. Der als schwer zugänglicher Trauerkloß berüchtigte US-amerikanische Musiker rang sich sogar gelegentlich ein Lächeln ab, als er spürte, wie seine Weltschmerz-Hymen wie "Disarm" und "Tonight, Tonight" auch beim jüngeren Publikum zündeten.

Die Fans warten seit 13 Jahren auf ein neues Album

Während Corgan seine Verwundbarkeit oft hinter einem unnahbaren Äußeren verbirgt, nutzen die Mitglieder der Nu-Metal Band Slipknot Masken, um ihre Wut anonymisiert und ungefiltert herauszuschreien. Und die US-amerikanische Alternative-Metal-Band Tool tritt schließlich fast ganz hinter ihre Musik und künstlerische Vision zurück: Bei ihrem Auftritt dominierten die komplexen Arrangements und teils verstörenden Video-Installationen der kontroversen Songs, Sänger Maynard James Keenan bewegte sich nur im hinteren Teil der Bühne. Ein beeindruckendes Erlebnis, dass die Fans fast vergessen ließ, dass sie seit 13 Jahren auf ein neues Album der Band warten.

So waren die Auftritte auf der Hauptbühne weitgehend von aktuellen Veröffentlichungen entkoppelt, das derzeitige Chart-Geschehen wurde eher auf den Nebenbühnen mit Hip-Hoppern wie Casper & Materia abgebildet. Das stark fragmentierte Musikgeschäft stellt die Festivalmacher somit vor einen zunehmend schwierigen Spagat – man darf gespannt sein, wie die Herausforderung im kommenden Jahr gemeistert werden soll, wenn vom 5. bis 7. Juni "Rock im Park" sein 25-jähriges und der "Ring" gar sein 35-jähriges Bestehen feiert.

Ressort: Rock & Pop

  • Zum Artikel aus der gedruckten BZ vom Di, 11. Juni 2019:
  • Zeitungsartikel im Zeitungslayout: PDF-Version herunterladen

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel