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75 Jahre WVIB

Schwarzwälder Pioniere

Anita Fertl
  • Mo, 03. Mai 2021, 16:18 Uhr

     

Anzeige Der WVIB und viele seiner Mitgliedsbetriebe feiern 2021 große Jubiläen.

Vorreiter auf vier Rädern: Firmengründer Karl Streck mit Flotte. Foto: Karl Streck
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Nicht nur der WVIB kann auf ein 75-jähriges Bestehen zurückblicken, auch seine Mitgliedsbetriebe feiern Jubiläen.

Zur Stunde Null, dem Ende des Zweiten Weltkriegs, liegt Freiburg seit fast sechs Monaten in Trümmern. Südbaden untersteht der französischen Besatzungsmacht und der Alltag ist bestimmt von leeren Regalen und Berechtigungsscheinen, von Rohstoffknappheit, Demontagen und Reparationen.

Ein Jahr und einen Tag später gründet sich am 9. Mai 1946 in den Räumen der Maschinenfabrik Raimann in Freiburg-St. Georgen eine Bürogemeinschaft mit dem Ziel, die Materialversorgung der Unternehmen zu koordinieren. Denn die Franzosen wollen den Überblick behalten und hatten zur besseren planwirtschaftlichen Steuerung die Gründung von vier selbstorganisierten Fachvereinigungen initiiert. Diese vier Grüppchen – Maschinenbau und Gießereien, Metallverarbeitung, Drahtziehereien und Kaltwalzwerke sowie Metallgießereien – sind die Keimzelle des heutigen Wirtschaftsverbands Industrieller Unternehmen Baden. Wie der WVIB heute, setzten sich auch die Fachvereinigungen damals für ihre Betriebe ein. Sie wollen Erleichterungen erreichen, Demontagen abmildern und sukzessive freiheitliche Ideale etablieren.

Parallel zur Geburtsstunde des WVIB gibt es anno 1946 weitere Gründungen. Es sind die heutigen Mitgliedsbetriebe, die nach dem Schrecken des Kriegs einen Neuanfang wagen, dem Mangel kreativ begegnen und so ihren eigenen Gründungsmythos schreiben. Um diesen Geschichten nachzugehen, haben wir in Firmenannalen geblättert, mit Zeitzeugen gesprochen und Geschäftsführer nach den wichtigsten Erfindungen auf dem Weg zum erfolgreichen Unternehmen gefragt.

Streck: Kleiner Grenzverkehr

Im August 1946, einer Zeit, in der es an allem mangelt, ist Spediteur Karl Streck im kleinen Grenzverkehr unterwegs. An Bord seines Lasters hat er eine besondere Fracht, eine, die Leben rettet: Streck bringt als Rosinenbomber auf vier Rädern amerikanische Care-Pakete von den Schweizer Flughäfen Basel und Zürich über die deutsche Grenze nach Lörrach. Die Pakete im Wert von 15 US-Dollar sind gefüllt mit Lebensmitteln, Kleidung oder Werkzeug.

"In den Anfängen war es auf jeden Fall der Unternehmergeist von Karl Streck, der aus dem Ein-Mann-Betrieb innerhalb von 75 Jahren ein Unternehmen mit 1200 eigenen Mitarbeitern hat werden lassen", würdigt Geschäftsführer Gerald Penner von Streck Transporte die Verdienste seines Vorgängers. Als Marktführer für Transport- und Logistikleistungen im Dreiländereck ist der Fuhrpark über Kooperationen heute weltweit vernetzt.

"Eine für uns als Spedition ganz wichtige Erfindung war die Scannung", sagt Penner. Denn damit waren um die Jahrtausendwende Papierliste und manueller Vergleich passé; das revolutionierte die Arbeitsprozesse. Auch heute ist Streck innovativ unterwegs und will in der Schweiz möglichst noch 2021 seinen ersten Wasserstoff-Lkw in Betrieb nehmen.

Sick: Prinzip Hoffnung

"Ich habe niemals das Prinzip Hoffnung verloren", sagte Firmengründer Erwin Sick 1984 anlässlich seines 75. Geburtstags. "So fing ich im Sommer 1945 an, nachzudenken, zu konstruieren und zu experimentieren in neuen Dimensionen." Damals haust Sick mit seiner Familie in einer kleinen Baracke in Vaterstetten bei München und finanziert den Lebensunterhalt mit selbstgefertigten Radios. Doch parallel bastelt er an einer "Optik-Elektronik für friedliche Zwecke" und gründet 1946 ein Ingenieurbüro. Bereits zehn Jahre später zieht Erwin Sick aus Platzmangel mit seiner 25 Mann starken Firma an den heutigen Stammsitz nach Waldkirch. Im Gepäck hat er das Patent für eine innovative Reflexions-Lichtschranke – noch heute eines der umsatzstärksten Produkte des Sensor-Herstellers – die der jungen Firma den Durchbruch bringt.

Im Jubiläumsjahr ist Sick mit mehr als 50 Tochtergesellschaften und Beteiligungen sowie vielen Vertretungen mit 10.000 Mitarbeitern weltweit präsent; seine Produkte kommen beispielsweise in der Logistik-, Fabrik- und Prozessautomation zum Einsatz. "Der Erfindergeist von Erwin Sick ist Grundlage unserer Firmenkultur. Als Pionier der Optoelektronik entwickelte er Sensorlösungen für den Arbeits- und Umweltschutz, die die Welt verändern sollten. Heute gestalten wir die Zukunft im Umfeld von Industrie 4.0 und durch intelligente Nutzung von Sensordaten", sagt Robert Bauer, Vorsitzender des Vorstands der Sick AG. "Die Herausforderungen verändern sich, aber Sensorintelligenz und Innovationsfreude bleiben die Triebfeder unseres Wirkens – seit 75 Jahren."

Faller: Neue Welt

In Gütenbach im Schwarzwaldhaus von Hermann und Edwin Faller brennt Licht. Dort sitzen die Brüder zusammen, planen, entwerfen und bauen bis spät in die Nacht. Die beiden basteln an einem Modellbaukasten, an einer Miniaturwelt aus Buchenholz und Karton, und auch an ihrer Zukunft. Parallel fertigen sie Holzkämme, um ihre Idee zu finanzieren. Das Spielzeug entpuppt sich als Verkaufsschlager. "Ein wesentlicher Wachstumstreiber war, sich nach außen zu orientieren. Dazu gehörte auch, sich im WVIB zu organisieren", sagt Geschäftsführer Horst Neidhard.

Doch die Währungsreform 1948 stoppt den Höhenflug, Geld ist knapp bei der Bevölkerung. Aber die Fallers geben nicht auf, stellen kunstvolle Fertigmodelle als Zubehör für Modelleisenbahnen her und zeigen auf der ersten Nürnberger Spielwarenmesse erstmals Technikelemente mit einem erschwinglichen Motor für Bastler. Und: "Die für uns wichtigste Erfindung war der Kunststoffspritzguss; da waren wir früh dabei", sagt Neidhard. Mit dieser Technik und den bis dahin einmaligen Modellbauwerken zum Selberbasteln gelingt 1954 der Durchbruch.

Längst hat in den Faller-Modellwelten 3D-Druck und Lasercut-Technologie Einzug gehalten. Aktuell ist der Betrieb mit dem Car System 3.0 inklusive Digital-Technik auf Innovationskurs. Doch auch im 75. Jahr lösen die Modelle – zu sehen in den Ausstellungsräumen des 100 Mitarbeiter starken Unternehmens – vor allem zwei Dinge aus: Freude und Emotionen.

Schwanog: Aufgedreht

Brunhilde Güntert ist zehn Jahre alt, als ihr Vater Oskar Güntert 1946 die Schwanog gründet. Es fehlt an allem. Wenn Briefe kommen, werden sie vorsichtig geöffnet und das Papier weiterverwertet. "Die Damen haben das Diktat auf Kuverts aufgenommen", erzählt die heute 84-Jährige.

Die Dreherei, die Schrauben, Muttern und Zylinderstifte herstellt, hat noch kaum Aufträge. Zusammen mit den Angestellten gehen die Günterts in den Wald, um Beeren und Pilze zu sammeln. "So hat man versucht, die Leute zu halten und zu beschäftigen", erzählt Güntert.
Langsam geht es bergauf, denn Oskar Güntert hatte durch seine Großhandelserfahrung schon Kunden und Kontakte. Zur Aufbesserung der Kasse und als Tauschgegenstände für Lebensmittel werden Christbaumschmuck, Stricknadeln und Lockenwickler hergestellt.

Nach der Währungsreform kommt für Schwanog der Aufschwung und in den 60er-Jahren wird die Produktion auf Präzisionsdrehteile umgestellt. "Die einschneidende Erfindung war im Jahr 1977 ein Formeinsteckwerkzeug mit Wechselplatten", sagt Geschäftsführer Clemens Güntert, der Enkel des Firmengründers. Mittlerweile beschäftigt das Unternehmen in Villingen-Schwennigen für kundenspezifische Werkzeuglösungen 120 Mitarbeiter am Stammsitz, ist aber international aufgestellt. "Wir machen fast nur Kleinstmengen, das ist eine absolute Nische." Und so dreht Schwanog mit Kleinstmengen das ganz große Rad.

EGT: Unter Strom

Eine besondere Erfindung steht am Beginn der Energievertrieb GmbH: die Wasserkraft. "Die Erbauung des Wasserkraftwerks in Triberg gab im Jahr 1896 den Startschuss für die Gründung der heutigen EGT. Aufgrund dieser Erfindung war es Triberg möglich, sich als erste Stadt vollständig der elektrisch betriebenen Straßenbeleuchtung zu bedienen", sagt Geschäftsführer Andreas Clor. Die EGT-Erfolgsgeschichte erreicht jedoch im Zweiten Weltkrieg einen Tiefpunkt.

1944 häufen sich Angriffe auf Energieversorger und hinterlassen Spuren: Der Verlust des E-Werkes in St. Georgen, unterbrochene Überlandleitungen, Beschädigungen in den Ortsnetzen – das steht für die EGT am Ende eines düsteren Kapitels deutscher Geschichte. Schwere Zeiten folgen, denn die alliierten Kontrollratsgesetze schränken den Energieverbrauch stark ein. Dringend notwendige Reparaturen kann die EGT in Ermangelung geeigneten Baumaterials nur provisorisch durchführen, versucht aber nach Kräften, die Kriegsschäden zu beseitigen. Nach und nach steigt die Stromabgabekurve wieder an und 1949 wird das Schalthaus in St. Georgen neu aufgebaut.

Heute feiert die EGT 125-jähriges Bestehen und hat große Pläne. Denn der Pionier in der Wasserkraft-Stromerzeugung, der heute 600 Haushalte mit "sauberem" Strom versorgt, engagiert sich auch weiterhin für den Ausbau umweltfreundlicher Energien und arbeitet mit Hochdruck an der Digitalisierung der Energiewende, etwa im Bereich intelligenter Messsysteme.

Trumpf: Hingebogen

Schaufeln, Wagenräder, Äxte: Bereits 1771 erhalten Martin Junghenni und Jakob Zimmermann die Genehmigung, eine Hammerschmiede zu bauen, legen damit den Grundstein für die Trumpf Werkzeugmaschinen Teningen. "Trumpf hat den Standort des ehemaligen Eisen- und Hammerwerks 2015 erworben. Unsere Geschichte mit dem Standort ist also noch jung, aber uns ist bewusst, dass das Hammerwerk ein Stück Teninger Identität ist und mit seinen 250 Jahren einer der ältesten Industriestandorte Deutschlands", sagt Trumpf-Geschäftsführer Tom Schneider.

In Teningen stehen 1945 die Betriebsgebäude noch, aber auch dort werden Reparationszahlungen in Form von beweglichen Gütern und Anlagen geleistet. Während im Zuge des Wiederaufbaus Feld-, Wald- und Wiesengeschirre gefragt sind, werden Anfang der 1950er-Jahren Biegemaschinen entwickelt und hergestellt – sicherlich die wichtigste Erfindung, die auch noch heute am Standort gebaut wird. "Das Teninger Werk ist Spezialist für Biegemaschinen mit einer hohen Presskraft von bis zu 1000 Tonnen und Sonderanlagen", so Schneider. Damit können Anwender extrem dicke Bleche biegen, etwa für Baggerschaufeln.

Zum Jubiläum beschäftigt Trumpf 130 Mitarbeiter und 17 Auszubildende in Teningen. "Dort befindet sich auch das Testfeld für eine unserer jüngsten und modernsten Technologien im Industrie 4.0-Umfeld für "omlox", den offenen Standard für die Lokalisierung in Produktionshallen", gewährt Schneider einen Blick in die Zukunft.
Weitere Informationen zum WVIB und seinen Mitgliedsbetrieben finden Sie hier.

Dossier: 75 Jahre WVIB

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