Eurovision Song Contest

Sieg in Oslo: Lena im Wunderland des Pop

Nervenstark hat Lena Meyer-Landrut beim Eurovision Song Contest einen ungefährdeten Sieg nach Hause geträllert. Das Ausland freut sich über das neue deutsche Fräuleinwunder. Der Sängerin stehen bald neue Prüfungen bevor.  

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Auch Hierarchen können sich berühren lassen. Lena Meyer-Landrut, 19, hat sie mit ihren Tränen, mit ihrer Begeisterung provoziert. Thomas Schreiber, Unterhaltungschef der ARD, und Stefan Raab, TV-Entertainer und Lenas Mentor, stand das Wasser in den Augen, als ihrer Kandidatin immer neue Punkte zupurzelten. "Twelve points", "douze points" aus Dänemark, Estland, Finnland, Spanien, der Slowakei, Lettland, Norwegen, der Schweiz und Schweden. Die junge Frau aus Hannover, die sich im Frühwinter auf eigene Faust in Stefan Raabs Firma meldete, weil sie sich am Casting "Unser Star für Oslo" beteiligen wollte, gewinnt beim 55. Eurovision Song Contest mit einem satten Vorsprung von 76 Zählern auf die Türkei.

Das mag damit zu tun haben, dass die kecke Abiturientin, die, so Stefan Raab, ein "schönes, neues Frauenbild aus Deutschland verkörpert", von der Bühne aus die 18 000 Zuschauer in der riesigen Telenor-Arena vor den Toren Oslos bezauberte. Sie lächelte, sie sang so gut wie während der ganzen Probenwoche nicht, sie genoss sich selbst – und sie hatte offensichtlich ihren Spaß in eigener Sache.

"Das ist verrückt, verrückt,
Wahnsinn, verrückt."
Lena Meyer-Landrut
Viele ihrer Konkurrenten hatten an diesem Abend urplötzlich an nervösen Stimmen gelitten, verfehlten Töne – Probenkönige, aber in den drei Minuten, in denen es drauf ankommt, gestrauchelt über die Erwartungen ihrer Angehörigen. Lena Meyer-Landrut hingegen, verblüffend, aber wahr, ist nicht irre geworden an dem Druck. Jeden Tag wurde sie stärker – und so sah sie denn auch als Startnummer 22 aus.

Es ist der zweite Sieg für Deutschland in der Geschichte des Eurovision Song Contest. Der erste, 1982 durch die Saarländerin Nicole, liegt auf dem deutschen Popgemüt wie eine Grabplatte des Unfriedens. "Ein bisschen Frieden" wurde von der zunehmend zur Minderheit werdenden Szene der Sentimentalitätsschlagerfreunde als Beweis dafür genommen, dass man den Komponisten Ralph Siegel, dass man überhaupt solche Schlagerlein brauche, um Deutschland als Kulturnation zu behaupten. Der Schatten der Siegel’schen Vergangenheit ist nun kräftig verblasen worden, Lena Meyer-Landrut, wie es ein britischer Journalist von der BBC formuliert, ist "a modern German Girl, walking in the wonderland of pop". Lena im Wunderland.

Die Begeisterung über ihren Sieg hielt sich keineswegs in Grenzen. Aus Berlin, Frankfurt, Hannover wurden Autohupkonzerte gemeldet, in den Bars und Kneipen, in denen zum Public Viewing geladen war, schien die Stimmung nach Mitternacht zu perlen. Und die kühlen Norweger? In der Halle wurde die Deutsche während ihres "Satellite"-Siegesvortrags von "Lovely Lena, Lena lovely"-Chören begleitet. Mitten in ihrem Vortrag bricht es aus ihr heraus: "Das ist verrückt, verrückt, Wahnsinn, verrückt".

Das Rezept von Multitalent Stefan Raab ging auf: Mit einer internationalen Nummer als coole Deutsche an den Start gehen und sich auf das Schlichte zu konzentrieren – vor allem Freude am Auftritt zu verströmen. Dass es nicht seine Komposition ist, mit der Lena in Oslo siegte, mag ihn da kaum schmerzenIn den Medien, von Frankreich über Großbritannien und Norwegen bis zu Lettland, Slowenien, Serbien oder der Türkei, wurde Lena Meyer-Landrut von der ersten Probenwoche an als Favoritin gehandelt. Entsprechend der Sympathien, die sie einheimste, hat sie die meisten Zwölf-Punkte-Wertungen erhalten. Lena ist eigensinnig, selbst im Moment des Sieges. Sie sagte: "Ich freue mich über den Sieg, ich bin geschockt, es ist passiert, ich weiß nicht, was los ist – aber siegen ist nicht alles im Leben." Noch vor wenigen Wochen beschrieb Lena ihren Alltag so: "Ich bin in die Schule gegangen, hab zu Hause erstmal geschlafen, dann bisschen gelernt und hab dann wieder geschlafen. Jetzt ist das Programm wahnsinnig anders."

Raab sekundierte später: "Sie wird vom Hype herunterkommen", von der Aufwallung, die so ein Wettbewerb eben stiftet – "aber sie wird das können, das Leben geht ja gut weiter". Auf der Pressekonferenz sagte er, was auch Franz Beckenbauer nach dem Gewinn der Fußball-WM in Italien mitteilte: Dass es nun schwer werde, Deutschland zu schlagen. "Nächstes Jahr wollen wir den Titel verteidigen." Das war ein Ausdruck angemessenen Sportsgeistes – und Lena teilte mit, sie werde sich nicht scheuen, dafür zu kämpfen. In der ARD weiß man, dass das Niveau der Show aus Oslo hoch war – und insofern hat es einen guten Grund, dass selbst hartnäckigstes Insistieren Thomas Schreiber vom NDR nicht dazu zu bewegen konnte, den Ort des Eurovision Song Contest 2011 zu nennen. "Wir überlegen – es könnten viele Orte in Deutschland sein." Hamburg oder Berlin, Hannover oder gar Köln? Das sei offen, so NDR-Intendant Lutz Marmor.

Lena Meyer-Landrut hat jetzt Reste ihrer Schulzeit zur Kenntnis zu nehmen – Mitte Juni erhält sie die Ergebnisse ihrer Abiturprüfungen. Spricht man sie auf die Schule an, wirkt sie längst nicht so locker und lustbetont, wie wenn sie über ihre Showperformances nachdenkt. "Ich will das Abitur und dann nie mehr Schule." Ein ziemlich bodenständiger Gedanke für eine, die gerade vom Ausflug ins Wunderland des Pops zurückkommt.

Zurück in Hannover, genoss sie am Sonntag die Fortsetzung des Frühsommermärchens: Mehrere tausend Fans feierten sie. Ihr Kommentar war gewohnt locker: "Es regnet, geht doch rein."

Hintergrund: Lena schlägt Fussball und Boxen

14,69 Millionen Fernsehzuschauer sahen sich in Deutschland den Sieg von Lena Meyer-Landrut in der ARD an. In der Spitze, vor allem während der Wertungen, lag die Zuschauerzahl sogar bei knapp 20 Millionen. Dies entspricht einem Marktanteil von 49,1 Prozent, in der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen sogar von 63,6 Prozent. Lena hatte damit auch mehr Zuschauer als Nicole bei ihrem Sieg im Jahr 1982. Es ist die höchste Wertung für eine Unterhaltungssendung seit Einführung der Messungen. Verloren hat am Samstagabend der Fußball. Beim fast parallel im ZDF ausgestrahlten letzten Testländerspiel Deutschland – Ungarn schauten lediglich 7,21 Millionen zu, das anschließende Boxen wollten sich nur gut sechs Millionen Menschen ansehen.

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