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Skispringen

Wie ein Schopfheimer den Vierschanzentournee-Sieger Ryoyu Kobayashi gedolmetscht hat

Andreas Strepenick
  • Mo, 07. Januar 2019, 20:38 Uhr
    Skispringen

Markus Neitzel, ein gebürtiger Schopfheimer, spricht perfekt japanisch. Eine Woche lang hat er Ryuyo Kobayashi gedolmetscht, den Grand-Slam-Gewinner der Vierschanzentournee.

Lange Sprünge, kurze Sätze: Der Japaner Ryoyu Kobayashi gab sehr wenig über sich preis. Foto: dpa
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Als Ryoyu Kobayashi, der Skispringer aus Japan, die Bühne des Weltsports betrat, hatten die Menschen viele Fragen an ihn. Wer ist dieser Mann? Warum ist er so gut? Was erzählt er über sein Leben, jenseits von all den Erfolgen?

Als Markus Neitzel, ein gebürtiger Schopfheimer, zur Vierschanzentournee nach Oberstdorf fuhr, interessierte sich zunächst niemand für ihn. Neitzel, 59, war als Volunteer gekommen, als Freiwilliger. Er bot den Organisatoren der Tournee seine Dienste an, ehrenamtlich, ohne Entgelt, und seine Dienste sind ziemlich speziell. Er hat 13 Jahre lang auf der japanischen Insel Hokkaido gelebt, spricht die ostasiatische Sprache, die uns in Europa so fremd ist, perfekt.

Markus Neitzel lebte 13 Jahre lang auf Hokkaido

Der Wiesentäler sprach Ingo Jensen an, den Pressesprecher der Vierschanzentournee. Wenn er gebraucht werde, dann könne man sich an ihn wenden, erklärte er. Jensen konnte den Dolmetscher am Startort der Reise zu den vier Schanzen sehr gut gebrauchen. Neitzel war, wenn man das so sagen darf, die Rettung. Denn unter den fast 70 Skispringern aus 17 Nationen befand sich in Oberstdorf jener Japaner, der die Öffentlichkeit elektrisierte.

Ryoyu Kobayashi, der Weltcup-Führende, startete als Favorit in die Tournee, und die Welt hing an seinen Lippen. Was der 22-Jährige von sich gab, war nur leider äußerst karg. So lang die Frage auch sein mochte, die ihm gestellt wurde: Kobayashi begnügte sich sehr häufig damit, sie mit einem einzigen Wort zu beantworten. Und dann wollten alle wissen: Was hat er gesagt, dieser selbstbewusste, in sich ruhende, gelegentlich freundlich lächelnde junge Japaner? Und was genau hat er damit gemeint?

Die Weltmedien standen Schlange bei Neitzel

Hier kam Markus Neitzel ins Spiel. Die Tournee-Organisatoren engagierten ihn als Übersetzer, und bald standen auch die Weltmedien Schlange bei ihm, um ebenfalls der Gunst teilhaftig zu werden, mit Kobayashi kommunizieren zu dürfen. ARD und ZDF, die beiden deutschen Sender, verpflichteten Neitzel. Sie filmten ihn zusammen mit Kobayashi, wenn die beiden miteinander sprachen. Denn wenn ein Mensch übersetzt, dann muss er natürlich auch gezeigt werden im Fernsehen.

"Ryoyu war am Anfang sehr verschlossen." Markus Neitzel
So gelangte Neitzel, der in Schopfheim-Langenau aufwuchs und heute in Hüttenberg bei Gießen lebt, zu einer gewissen Berühmtheit. "Ich übersetze seit vielen Jahren", sagt er. Er liebt den Sport, speziell den Sport des Winters, hat auch schon am Rande der Skisprung-Weltcups in Titisee-Neustadt und Hinterzarten als Dolmetscher gewirkt. Nebenbei übersetzt er auch noch fürs japanische Tischtennis-Nationalteam.

Übersetzen in eine andere Welt

Nun also versuchte er, eine Brücke zu bauen zwischen seinen Zuhörern aus dem Westen und dem Erzähler aus dem fernen Osten, diesem jungen Herrn Kobayashi, dem fulminanten Schanzenstar, dem Alles-Gewinner dieser Tournee. Es war, als übersetzte Neitzel aus der einen in eine andere Welt. "Ryoyu war am Anfang sehr verschlossen, speziell wenn es um den Sport ging", berichtete Neitzel der Badischen Zeitung in Innsbruck. "Aber dann habe ich ihn auf seine privaten Fotos auf Instagram angesprochen. Da strahlte er, und es sprudelte geradezu aus ihm heraus. In diesem Augenblick öffnete er sich."

Kobayashi ist ein sensibler Freak wie andere Springer

Kobayashi selbst hatte sich zum Auftakt als "Neo-Japaner" bezeichnet, einen leicht verrückten jungen Menschen aus dem Land der aufgehenden Sonne. "Ryoyu ist aber ein ganz normaler junger Mann", erklärte Neitzel. "Er kleidet sich gern modisch, nutzt die sozialen Netzwerke und steht ein wenig zwischen den Welten." Da ist die japanische Tradition, das Teamplay, die höfliche Zurückhaltung im Umgang mit Fremden. "Aber Kobayashi will einfach sein wie die anderen Skispringer", erläuterte Neitzel.

Er wolle seine Gefühle ausdrücken dürfen, nach einem Siegsprung an der Schanze die Fäuste ballen und jubeln, außer sich sein vor Freude und das auch zeigen – sehr unjapanisch, aber in Europa eben üblich. Kobayashi ist ein sensibler Freak, wie man sie öfter trifft im Sprungsport, in seiner Schweigsamkeit dem Finnen Janne Ahonen ähnlich, aufs Äußere bedacht und stylish im Auftreten wie der Norweger Johann André Forfang, aber gern auch mal ein Strahlemann wie der Deutsche Andreas Wellinger.

Neitzel las auch von den Lippen des Japaners ab

Neitzel ging sehr sensibel vor. Er hörte nicht nur, was Kobayashi sagte. Er las auch von seinen Lippen ab, achtete auf seine Gesten und bedachte immer mit, wie das Gesagte auf westliche Zuhörer wirken würde. Damit die Antworten des Japaners länger wurden, wiederholte er oft einfach die Frage ("Haben Sie etwas Besonderes gefühlt?" Kobayashi: "Nein." Neitzel: "Nein, ich habe nichts Besonderes gefühlt"). Oft flüsterten sich die Beiden noch schnell gegenseitig ins Ohr, damit sie einander besser verstanden und die Übersetzung präzise wurde. "Japaner sind sehr adaptiv", sagt Neitzel: "Sie können sich anpassen an das, was in Europa üblich ist. Aber sie dürfen damit natürlich in ihrer Heimat nicht anecken."

Neitzel ist Pastor und die Bescheidenheit in Person

In Japan ist Ryoyu Kobayashi jetzt ein Star. Markus Neitzel, der Freiwillige aus Schopfheim, will auch im Schwarzwald bald wieder dolmetschen, wenn die japanischen Skispringer kommen. Geld will er dafür keins. Er ist evangelischer Pastor und die Bescheidenheit in Person.

Ressort: Skispringen

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 08. Januar 2019: PDF-Version herunterladen

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