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Wintersport

Südbadens tiefster Skilift: Was sind schon 20 Zentimeter?

Florian Kech
  • Sa, 28. Januar 2017
    Südwest

Man braucht Humor, um auf 750 Metern Höhe Südbadens tiefsten Skilift zu betreiben – die Schneemangelexperten von Ewattingen haben ihn.

Macht an schneereichen Tagen durchaus etwas her: der Skilift bei Ewattingen.   | Foto: Alexander Färber/privat
Macht an schneereichen Tagen durchaus etwas her: der Skilift bei Ewattingen. Foto: Alexander Färber/privat
Der Himmel über Dirk Grüninger leuchtet stahlblau, die Schneekristalle funkeln mit seinen Augen um die Wette. Bilderbuchwinterwetter auf der Piste in Ewattingen, einem 800-Einwohner-Dorf im Kreis Waldshut. Der Vorsitzende des Skiclubs schiebt seinen klobigen Schuh unter den Pulverschnee. Bis zum gefrorenen Grün trennen ihn nur wenige Wischbewegungen. "15 Zentimeter mehr, und wir könnten loslegen", sagt er. Neben ihm runzelt Liftwart Michael Thoma unter seiner Strickmütze die Stirn: "Na ja, sagen wir lieber 20." Jeder Zentimeter zählt in diesen Höhenlagen.

49 Skilifte gibt es in Südbaden. Keiner liegt so tief, wie der in Ewattingen. Muss man ein wenig verrückt sein, um auf 750 Metern über dem Meeresspiegel einen Skilift zu betreiben? "Na klar", sagt Stefan Wirbser, Präsident des Schwarzwälder Skiverbands und Bürgermeister von Feldberg. Obwohl ihn sein 1400-Meter-Hausberg dazu verleiten könnte, meint er das nicht von oben herab. Aber dazu später mehr.

Wenn auf Ewattingens angeschneitem Hügel an etwas kein Mangel herrscht, dann an Selbstironie. Die ist auch nötig. Liftwart Thoma zitiert die Bauernregel eines Bekannten: "Wenn in Ewattingen die Bügel hängen, weiß man, dass der Winter vorbei ist." Obwohl er den Spruch jedes Jahr unter die Nase gerieben bekommt, muss Thoma lachen. Galgenhumor eines Schneemangelverwalters.

Dirk Grüninger klemmt einen Sitzbügel zwischen die Beine und lässt sich vom Schlepplift den Hang hochziehen – ohne Skier unter den Füßen. Durch die Sprünge, die er dabei macht, wirkt er wie ein Astronaut in der Schwerelosigkeit, einer, der Spaß daran hat, den Naturkräften ein Schnippchen zu schlagen. "Auf Sandern", so der Name des Gewanns, sollte der Natur einst tatsächlich getrotzt werden. Weil er die unsicheren Winter satthatte, bastelte einer der Gründerväter des Skiclubs, der Elektromeister Wolfgang Vetter, eine Schneekanone. Vor 40 Jahren eine echte Pionierleistung. Die Eigenkonstruktion funktionierte sogar und sorgte für Kunstschnee im Überfluss. Weil die Düsen zufroren, hielt die Wunderwaffe allerdings nur einen kurzen Winter und wurde zu Schrott. Was bleibt, ist der Mythos. Und die Verlockung? Liftwart Thoma winkt ab: "Die Leute würden sagen, jetzt spinnen sie ganz."

Am Auslauf bringt Thoma zwei rote Fangzäune an. Die Skipiste endet direkt oberhalb der L 171, die nach Bonndorf führt. Früher reichte ein Zaun, inzwischen sind zwei vorgeschrieben. Die Nähe zur Landstraße wirke nur auf den ersten Blick gefährlich. Verunglückt sei da noch niemand. Vom TÜV bekommt der Skiclub jedes Mal ein tadelloses Zeugnis ausgestellt. Die Fangzäune werden jährlich kontrolliert, alle zwei Jahre suchen die Prüfer die Seilzüge mit einem Röntgenapparat nach Bruchstellen ab. "Die sind auch nach Jahrzehnten noch so gut wie neu, so selten, wie die beansprucht werden", sagt Grüninger.

Sobald die gut sichtbaren Zäune stehen, ist damit zu rechnen, dass die ersten Autos vorfahren. "Läuft er schon oder wartet ihr ihn noch?", fragt es dann aus runtergekurbelten Fenstern, mal mit süffisantem Unterton, oft voller Vorfreude. Skilifttage werden in Ewattingen begangen wie kleine Nationalfeiertage. Weil sie eine solche Rarität sind, haben sie den Wert von etwas Kostbarem. Vollkommen ist das Glück, wenn abends die Flutlichter angehen und die Piste hell erstrahlt. Das Licht ist von Weitem zu sehen und lockt auch Skifahrer von der anderen Seite der Wutach an, aus dem benachbarten Schwarzwald-Baar-Kreis. "Wir erhalten sogar Anfragen über E-Mail", sagt Grüninger. Neulich habe ein Amerikaner, der drei Monate beruflich im Schwarzwald zu tun hatte, eine Jahreskarte für 50 Euro bestellen wollen. Grüninger wusste erst gar nicht, was er antworten sollte. Sein Skiclub führt Jahreskarten praktisch nur noch als Scherzartikel.

In der Talstation ist Platz für genau eine Festgarnitur. Grüninger breitet ein Papier aus. Ein Balkendiagramm offenbart die Betriebsstunden seit 1983. Zwischen den roten Balken klaffen zwölf Lücken. So oft stand der Lift in den vergangenen 23 Jahren still. Schneemangel als Normalzustand. Grüninger könnte Frust schieben. Aber warum mit etwas hadern, was die Regel ist? Stattdessen fährt sein Finger die Ausnahmen ab. "2006 und 2015 liefen wir mehr als hundert Stunden. Das ist doch was."

Nur einmal sah es "Auf Sandern" richtig düster aus. In den 70er-Jahren waren die Winter so mau, dass die Euphorie der Anfangsjahre, in denen sogar der Hinterzartener Olympiasieger Georg Thoma einen Abstecher nach Ewattingen machte, verflog. Der Skiclub zeigte Auflösungserscheinungen, bekam aber die Kurve. Denn das neue Jahrzehnt bescherte wieder die ersehnten Schneemassen. 1984 wurde mit 150 Betriebsstunden ein Rekord aufgestellt.
"Warum sollte es auf
750 Metern keinen Skilift
geben? Es gibt ja auch
Freibäder auf 1000."

Stefan Wirbser,
Feldberger Bürgermeister
Nie wieder herrschten so stabile Bedingungen, und die sorgten für einen Motivationsschub. An nur einem Sommertag rissen die Ewattinger ihren kompletten Lift ab und ersetzten ihn durch eine größere Anlage aus Bayern. Der damalige Gerätewart Bert Bock ließ seine Beziehungen nach Österreich spielen und schaffte die erste Pistenwalze herbei. Man schrieb die goldenen Jahre des Skiclubs, der mit 250 Mitgliedern zwischenzeitlich zum größten Verein im Dorf anwuchs.

Eine schneereiche Saison kann sich lohnen. Doch bleibt die Piste grün, droht ein Minusgeschäft. Fast alle Lifte im Schwarzwald befinden sich in Privatbesitz oder gehören Kommunen. Es gibt nur zwei Ausnahmen: auf dem Kandel und in Ewattingen. Dort sind Vereine die Träger. Vielleicht ist das die Lebensversicherung. Denn fehlende Wirtschaftlichkeit taugt nicht zum Totschlagargument, wo der Skilift dem Selbstzweck dient. Wie in der Gemeinde Wutach, zu der Ewattingen gehört. "Der Skiclub ist der Skilift", sagt Grüninger.

Natürlich muss auch ein Verein aufs Geld achten und hier profitieren die Ewattinger vom sogenannten Schwarzwald-Skipass. Eingeführt wurde dieser Skilift-Finanzausgleich, an dem sich rund 20 Betreiber beteiligen, vom Feldberger Wirbser. Die Idee dahinter, die er aus dem Bregenzer Wald übernommen hat, klingt nobel: Die Reichen geben den Armen. Aber Wirbser wäre nicht der vielleicht gewiefteste Geschäftsmann im Schwarzwälder Skibusiness, steckte dahinter nicht eine Portion Eigennutz.

Seit Jahren beobachtet der Bürgermeister auf dem höchsten Lift des Landes eine besorgniserregende Tendenz. Zwar steigen auf dem Feldberg stetig die Übernachtungszahlen, aber die Tageskarten gehen eher zurück. Mit anderen Worten: Es kommen mehr Touristen, aber weniger Einheimische. "In meiner Schulzeit traf man mittags praktisch die ganze Klasse auf der Piste. Heute haben von 15 Schülern vielleicht noch fünf ein Paar Skier daheim", sagt Wirbser. Seine Diagnose: Der Schwarzwald verlernt das Skifahren. "Wenn wir wollen, dass unsere Kinder wieder Skifahren lernen, dann gelingt das am besten, wenn in jedem Ort ein eigener Lift steht."

"Die Leute würden
sagen, jetzt spinnen
sie ganz."

Liftwart Thoma über
Schneekanonen
Deswegen hat er für die Ewattinger auch nur Komplimente übrig: "ein supergeiler Verein". Und überhaupt: "Warum sollte es auf 750 Metern keinen Skilift geben? Es gibt ja auch Freibäder auf 1000."

Tatsächlich sind es überwiegend Kinder, die Ewattingens Skilift nutzen. Wenn er denn läuft. In diesem Winter war das noch nicht der Fall. An der Anlage liegt das nicht. Die steht wieder da wie eine Eins. Grüninger und Thoma heben den geübten Blick nach oben. Aber außer dem kondensierten Atem ist weit und breit keine Wolke in Sicht. "Nur 15 Zentimeter mehr. Oder 20."

Ressort: Südwest

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