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Unheimliche Gäste

  • Sa, 06. Dezember 2003
    Zisch

     

Wenn der Nikolaus kommt und seine geheimnisvollen Gefährten mitbringt, wird es eng in der Stube.

Es ist Nikolausabend im Kinzigtal. Draußen ist es schon dunkel und kalt, drinnen in der warmen Stube warten die Kinder ungeduldig auf den Nikolaus. Da - war das nicht Kettenrasseln draußen? Da, schon wieder! Jetzt hört man auch schwach Glocken klingen. Und ein Pferd wiehert. Dazwischen immer wieder ein Geräusch - als schleifte jemand Reisig auf den Straßen Haslachs hinter sich her.

Plötzlich schlägt etwas ans Fenster. Aber das ist nicht etwa der Nikolaus, sondern ein merkwürdiges Wesen: Ganz weiß, mit Ohren und großen Augen - der lange Kopf eines Pferdes vielleicht? Nein, es sieht doch eher wie ein Schnabel aus. Und vorne hängt eine rote Zunge heraus. Jetzt klopft es an der Tür. Eine tiefe Stimme ertönt: "Ich klopfe an eurem Haus; ich bin der Heilige Nikolaus." Die Mutter öffnet. Der Nikolaus mit der Mitra, der Bischofsmütze, auf dem Kopf und dem Bischofsstab in der Hand tritt ein - aber nicht allein. Hinter ihm kommen noch vier andere Personen.

Es wird eng in der Stube. Ein Geselle mit schwarzem Gesicht, über und über mit hellem Pelz bekleidet. Auf seinem Rücken ein großer Korb, aus dem zwei Kinderbeine baumeln. Seine Glocken am Gürtel sind es, die bei jedem Schritt klingen. Im langen dunklen Mantel noch einer mit geschwärztem Gesicht. In seinen Händen eine Kette, die er ab und zu rasseln lässt, eine Rute und ein gefüllter Sack. Nach diesen zwei wilden, Furcht einflößenden Figuren noch zwei weiß gekleidete: eine kleine, mit blondem Haar, einem Henkelkorb am Arm und goldenen Flügeln am Rücken und - einem freundlichen Lächeln, wie bei einem En-gel. Dann noch dieses Ungetüm, das ans Fenster geklopft hatte: beinahe an die Decke stoßend, mit einem Schnabelkopf und ganz in Weiß. Gefährlich und unheimlich tönt immer wieder ein dumpfes Brummen zwischen Kettengerassel und Geklingel. Von welchem der zwei dunklen Gesellen kommt es, oder ob gar von beiden? - Es ist nicht gleich auszumachen. Jetzt ergreift wieder der Bischof das Wort: "Sankt Nikolaus bin ich genannt, komme aus einem fernen Land. Doch ich bin nicht alleine gekommen. Auch andere Gestalten sind mit dabei, an ihrer Zahl eins - zwei - drei: Der Biggeresel ist groß und lang, vor ihm wird sogar mir ganz bang. Der Pelzmärtel trägt in seinem Korb sogar schon einen bösen Buben fort. Den Ruprecht will ich nicht vergessen, er ist gekommen mit seinem Rutenbesen. Doch ihr wart sicher alle brav und braucht deshalb keine Straf. Oder, Mutter, ist es nicht so gewesen? - Will mal im goldenen Buch nachlesen."

Aus seinem dicken Buch rechnet er den Kindern dann die guten und bösen Taten des vergangenen Jahres vor. Währenddessen deutet der Pelzmärtel gelegentlich auf die aus dem Korb baumelnden Beine, Knecht Ruprecht schwingt Rute und Ketten, der Biggeresel wiehert bedrohlich und schwingt schon mal seinen Kopf gefährlich nah an die Kinder heran. Aber die drei lassen sich besänftigen, wenn die Kinder wenigstens ein Lied singen, ein Gebet oder Gedicht aufsagen können. Es sei "doch alles relativ gut", begütigt der Nikolaus abschließend und fordert Ruprecht auf, aus seinem Sack etwas herauszugeben. Erleichtert nehmen die Kinder ihre Belohnungen in Empfang und eilen ans Fenster um zu beobachten, wie der Nikolaus mit Engeli, Pelzmärtel, Knecht Ruprecht und Biggeresel wieder in der Dunkelheit verschwinden.

Wendelinus Wurth

Ressort: Zisch

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 06. Dezember 2003: PDF-Version herunterladen

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