Wie Lernen Spaß macht

Ein Brief von "Onkel Hartmut" an seinen Neffen: über Butter, Fischaugen und das Besondere von Fremden.  

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Die Ferien sind vorbei. Schade. Oder freut ihr euch auf die Schule? Warum müssen Kinder eigentlich zur Schule gehen? Schwierige Frage. Diese Frage stellte Tobias seinem Onkel. Der heißt Hartmut und ist ein berühmter Pädagoge. Er arbeitete mal als Lehrer im Birklehof, das ist ein Internat im Schwarzwald. Der Onkel antwortete Tobias in Briefen. Darin steht, warum Menschen gemeinsam lernen müssen und wie Schule besser werden kann. Wenn ihr Fragen habt, könnt ihr das Buch mit euren Eltern lesen (Hartmut von Hentig: "Warum muss ich zur Schule gehen?" Carl Hanser Verlag, München 2001, 102 Seiten, 9,90 Euro). Oder ihr schreibt uns. Lieber Tobias, lass dir aus meiner amerikanischen Grundschule erzählen. Sie dauerte von morgens 9 Uhr bis nachmittags 4 Uhr. Zur Mittagspause aßen wir unsere mitgebrachten Brote, unser "lunch". Als ich am zweiten Tag meine Blechdose öffnete, staunten die neben mir sitzenden Kinder: Mein Brot war nicht weiß, weich und quadratisch wie ihre Sandwiches, sondern braun, hart und rund. Sie wollten sehen, was drauf war, und ich legte meine Stulle auseinander. "Was für ein scheußlicher Glibber!", sagte ein Mädchen. "Das ist ja ein Fischauge!", sagte ein Junge. "Deine Mutter hat dich aber gar nicht lieb, wenn sie dir so etwas aufs Brot tut!", sagte ein anderes Mädchen. Ich war sehr unglücklich und konnte nichts sagen. Auf die Frage, was das da auf meinem Brot sei, stotterte ich nur: auf Deutsch heiße es "Sülze" und schmecke etwas säuerlich. "Ein Fischauge ist das bestimmt nicht!", fügte ich ärgerlich hinzu. Die Lehrerin hatte uns beobachtet und sagte: "Hartmut hat Sülze auf seinem Brot. Was das ist, wird er uns morgen erklären. Könnt ihr denn erklären, was ihr auf euren Broten habt?" Es kamen schnell einige Antworten: "baloney" (Scheibenwurst), "peanut butter" (Erdnussmus), "ham" (Schinken), "cheese" (Käse), "mayonnaise" - aber keiner konnte erklären, woraus das gemacht war. Fast alle hatten Butter auf ihren Broten. "Und was ist Butter?", fragte die Lehrerin. "Butter ist Butter!", sagten die Kinder. Wo die Butter herkomme, fragte die Lehrerin - aus einer Frucht? Aus einem Bergwerk? Aus einer Fabrik? Keiner wusste es, außer einem schwarzen Jungen. Seine Mutter arbeitete in einer "dairy" (Molkerei), wie er sagte. Dorthin werde nachts die Milch von den Farmen gebracht; ein Teil werde gekühlt und in Flaschen gefüllt; einen anderen Teil verarbeite man zu Käse, zu ice-cream und eben zu Butter. Wie das gehe? Das wusste auch er nicht.

Bevor wir heimgingen, gab uns die Lehrerin einen Auftrag: "Bringt morgen ein halb gefülltes Fläschchen Sahne mit und sagt eurer Mutter, sie brauche euch nichts aufs Brot zu tun: Wir machen unsere Butter selbst." Ich sehe uns am anderen Morgen an unseren Schultischen sitzen und die kleinen Flaschen schütteln, wie die Lehrerin befohlen hatte. Sie selber las uns etwas vor, weil es sonst langweilig und laut geworden wäre. Nach einer Stunde etwa meldete ein eifriges Mädchen, in ihrer Flasche habe sich die Sahne in Wasser verwandelt und in viele Klumpen. Es war ihre schon schmierbare Butter.

Ich schreibe dir dies, lieber Tobias, weil die Schule für mich von da an ein Ort gewesen ist, an dem vor allem drei Dinge geschehen: Man lernt, erstens, sich unter vielen verschiedenen Menschen zu behaupten, sich zu verständigen, sich jedenfalls nicht zu fürchten; dazu muss man, zweitens, die Dinge erklären können, mit denen man lebt, wozu ein Hosenlatz gut ist, woraus Sülze besteht, wo Bayern liegt; man hat, drittens, andere, die einem zuhören, und man hört selber zu. Wenn man seine Sache gut macht, bekommt man Applaus, und wenn man sie nicht gut macht, wird einem geholfen.

Als ich später selber Lehrer war, habe ich oft an meine amerikanische Lehrerin gedacht und versucht, es zu machen wie sie. Ich habe Ali, einen elfjährigen Jungen aus Algier, gebeten, uns zu zeigen, wie seine Großmutter Couscous kocht; Yuki, eine kleine Japanerin, brachte uns bei, wie man Reisplätzchen bäckt und Dina aus Jerusalem hat uns erklärt, warum sie manche Speisen nicht mit uns essen darf, was "koscher" heißt und wie man bei ihr zu Hause "Fleischigs" und "Milchigs" streng trennt. Lass es dir gut gehen - das wünscht dir dein

Onkel Hartmut

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