Verkehr

Applaus und Fragen: So war der Start des 49-Euro-Tickets in Südbaden

Otto Schnekenburger

Von Otto Schnekenburger

So, 14. Mai 2023 um 10:46 Uhr

Südwest

Die Ampel-Abgeordneten der Region feiern das Deutschlandticket bereits als großen Durchbruch. Die Verkehrsverbunde der Region haben in den ersten Tagen der Gültigkeit vor allem mit Umbuchungen und Nachfragen zu tun.

In knielangen Hosen und mit einem kleinen Rucksack sitzt der Konstanzer Alexander Holupirek in der Höllentalbahn Richtung Freiburg. "Dieses Angebot ist der Beginn des sorgenfreien Lebens im öffentlichen Nahverkehr" sagt er und wirft lächelnd einen Blick aus dem Fenster auf die Landschaft zwischen Himmelreich und Kirchzarten. Was Holupirek speziell am Deutschlandticket schätzt, ist der bundesweite Flat-Rate-Aspekt: die Gültigkeit in Bahn, Straßenbahn und Bussen zugleich. Vorbei die Zeit, in der man sich an den Bahnhöfen der Republik den Kopf zerbrechen musste, mit welchem Ticket es nun weitergeht, sich über Tageskarten oder Tarifzonen zu informieren hatte.

"Das Deutschland-Ticket ist erfolgreich gestartet", legt sich die Sprecherin der Deutschen Bahn fest. Allein bei der Bahn haben schon vor dem 1. Mai mehr als 1,3 Millionen Menschen das im Volksmund 49-Euro-Ticket genannte Ticket gekauft. Die Sprecherin erwartet, dass die Nachfrage nach der "Flatrate für den Regionalverkehr" noch wächst. Perspektivisch werde jeder Fünfte das Ticket nutzen. Auch den Betrieb sieht sie durch die Neuerung nicht überfordert: "Es gab bislang keine Einschränkungen, die auf das neue Ticket zurückzuführen sind."

In bestimmten Fällen könnte die Regiokarte besser sein

Rund 25.000 Kunden haben das Ticket bis zum 15. April beim Regio-Verkehrsverbund Freiburg (RVF) bestellt. Das war der Stichtag für ein Abo vom 1. Mai an. Ein Großteil der Käufer, nämlich etwa 20.000 waren zuvor Regiokartenbesitzer, sie sind also Umsteiger. Hinzu kämen etwa 5000 Neukunden.

Für einzelne Personen könne ein Verbleib bei der Regiokarte, etwa aufgrund deren Übertragbarkeit und der Mitnahmemöglichkeiten, auch die bessere Alternative sein, erzählt Thilo Ganter, der Geschäftsstellenleiter der RVF. Auch beim Regio-Verkehrsverbund Lörrach (RVL) würden viele Bestandskunden beim alten Abo bleiben, weil dieses etwa für Berufspendler nach Basel, einen hohen Mehrwert habe, meint dessen Geschäftsführer Frank Bärnighausen. "Es gibt bei den Kunden von uns Verkehrsverbünden derzeit noch einen enormen Beratungsbedarf und lange Schlangen an den Verkaufsstellen", hat Ganter festgestellt.

Der Freiburg-Tourist Alexander Holupirek ist kein Einzelfall: Generell fällt die Beurteilung des neuen Angebots unter den Reisenden am Freiburger Hauptbahnhof und in den Regionalzügen zwar nicht überschwänglich, aber doch fast ausnahmslos freundlich aus. Ein Berufspendler aus Denzlingen hat für sich ausgerechnet, dass er in 2023 noch mit der Regiokarte günstiger fährt, ein junger Maschinenbauingenieur will im Juni umsteigen, häufig ist von Berufspendlern zu vernehmen, dass der Arbeitgeber sich wie zuvor beim Jobticket am Deutschlandticket beteiligt und dieses so noch attraktiver macht.

"Gerade für uns in Südbaden ist das 49-Euro-Ticket ein Riesenerfolg, weil das jahrzehntealte Problem der Tarifgrenzen verschwindet", sagt der Emmendinger SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Fechner. Wer etwa zwischen Freiburg und der Ortenau pendele, müsse jetzt nicht mehr die Regiokarte und eine Karte des TGO (Tarifverbund Ortenau) kaufen. Das spare über 500 Euro im Jahr. Kritisch solle man prüfen, so Fechner, ob es das 49-Euro-Ticket wirklich ab 2024 nur noch digital oder nicht doch auch dauerhaft auf Papier geben soll. Im Gegensatz zu den Nachbarverbünden bietet der RVF das Ticket derzeit noch als Papierschein an. Und der große Zuspruch für das Ticket müsse Anlass sein, noch mehr in Busse und Bahnen zu investieren, damit es auch auf dem Land mehr ÖPNV-Verbindungen gebe.

Dieses Problem sieht auch Diana Stöcker, CDU-Bundestagsabgeordnete im Landkreis Lörrach. "In meinem Wahlkreis spielt der ländliche Raum eine veritable Rolle", sagt sie. Für die Menschen dort sei daher nicht der Preis ausschlaggebend, sondern das Angebot, auch in Sachen Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben. Außerdem sei die langfristige Finanzierung des Tickets nach Ansicht von Stöcker weiterhin weder seriös noch nachhaltig. Die Gelder würden langfristig an anderer Stelle fehlen.

"Die Einführung eines bundesweit gültigen Nahverkehrstickets ist ein großer Durchbruch, den wenige der Politik zugetraut haben, ein echter Meilenstein", lobt die Abgeordnete Chantal Kopf (Grüne, Wahlkreis Freiburg). Aber auch für sie stellt das mangelnde Angebot auf dem Land eine Hürde für den Umstieg auf Bus und Bahn dar. "Aus meiner Sicht wäre zudem eine Mitnahmeregelung für Kinder wichtig, Kinder bis 14 Jahre sollten analog zur DB-Regelung mitgenommen werden können."

"Ein großer Wurf des FDP-Ministers Wissing" ist das Ticket für dessen Parteifreund Christoph Hoffmann, Abgeordneter für den Wahlkreis Lörrach-Müllheim. "Endlich wird etwas einfacher in Deutschland!", freut sich der Liberale. Das Ticket sorge für eine Entbürokratisierungswelle, die zahlreichen Verkehrsverbünde würden entlastet – und teilweise überflüssig. Etwa zwei Milliarden Euro könnten so eingespart werden. Und weil das Ticket digital ist, würden laut Hoffmann automatisch wertvolle Daten zur Steuerung des Nahverkehrs generiert.

Der Preis von 49 Euro ist hochsubventioniert

Beschäftigt mit solchen Fragen ist auch der Navigationssystem-Hersteller und Anbieter von Geodaten TomTom. Am ersten ausgewerteten Tag, am 2. Mai, habe man im morgendlichen Berufsverkehr noch keine großen Auswirkungen Autoverkehr in den untersuchten 27 deutschen Städten festgestellt, heißt es von dort. Markanter sei der Unterschied in der Zeit danach gewesen, was für die These spreche, dass das Ticket künftig verstärkt auch in der Freizeit genutzt werde. Mit der Einführung verbindet die Bundesregierung ja Hoffnungen auf eine Abnahme des Individualverkehrs.

Das Deutschlandticket als wichtiger Impulsgeber der Verkehrswende? "Wenn ich an die mittelfristige Zukunft des Deutschlandtickets denke, schlagen zwei Herzen in meiner Brust", verrät Sven Malz, Geschäftsführer des Tarifverbands Ortenau, der wie die Lörracher Kollegen gleich eine digitale Ticketlösung anbot. Einerseits sei das Produkt aus Kundensicht "unschlagbar" – sowohl preislich als auch von der Einfachheit seiner Handhabung. Auch Sicht der Verkehrsverbünde sei das Ticket hinsichtlich der Erlöswirksamkeit langfristig aber problematisch. Der Preis von 49 Euro sei hochsubventioniert durch Milliarden an Steuergeldern. Laut dem Regionalisierungsgesetz sei das Ticket nur bis 2025 politisch abgesichert. Aufgrund der Kundennachfrage werde es danach allerdings kaum wieder zurückgenommen werden können. Wie es danach finanziert werde, müsse sich aber – zumal bei einer anderen Bundesregierung – erst noch zeigen.

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