Auch die ZVS kann nicht zaubern

Den Zuschlag für den Traumstudienort Freiburg bekommt in Medizin nur jeder vierte Studienplatzbewerber - nicht alle warten.  

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Mitten im Gespräch springt Benjamin Kloth auf. Ohne was zu sagen, man könnte meinen, sein Gesicht schimmert plötzlich rötlich. Er läuft zum Briefkasten. Zügig, aber ohne zu rennen. Zeitschrift, Brief vom Otto Versand, eine Rechnung des Stromversorgers, nichts. Gerade noch sprach Benjamin Kloth über seine Pläne. Und seinen Traum, Medizin studieren zu können. Zumindest für dieses Semester ist der Traum zerplatzt - keine Zusage von der Zentralstelle zur Vergabe für Studienplätze (ZVS) im Briefkasten zu haben, wirft seine Lebensplanung vorläufig über den Haufen.

Der 20-jährige Benjamin aus einem Ort südlich von Freiburg ist kein Einzelfall: Wer gestern keinen ZVS-Bescheid im Briefkasten gehabt hat, wird dieses Semester wohl leer ausgehen. Was ist das eigentlich für eine Behörde, die so in die Biografien von Menschen eingreift? Die Postadresse führt nach Dortmund zu einem baufälligen Haus unweit der Dortmunder Innenstadt. Strenge Bewachung? Fehlanzeige. Der Pförtner des privaten Wachschutzes bemerkt kaum, dass jemand das Haus betritt.

Der Boden ist mit grünen Teppich ausgelegt, die Wände sind größtenteils Orange getüncht. "Es gibt Journalisten, die beschreiben unser Haus gerne in der Zeitung, ohne jemals selbst hier gewesen zu sein", schildert Bernhard Scheer den Mythos um die schrille Wandfarbe. Und in seiner Funktion als Pressesprecher ergänzt er schnell: "Wir renovieren das Haus dieses Jahr. Da gibt es auch eine andere Farbe."

Die Aufgabe der Zentralstelle zur Vergabe von Studienplätzen ist klar abgesteckt: Studienplätze sind wie Rundfunkfrequenzen ein knappes Gut - so knapp, dass man sie zentral verteilt. Scheer spricht von "Turboquote" und meint damit die Verteilung nach den Abiturnoten. Und er spricht auch von Beförderungsrisiken, die der Bewerber selbst tragen müsse, soll heißen, der Brief nebst Abiturzeugnis muss in Dortmund ankommen. Geht dieser bei der Post verloren, gibt es kein Pardon für den Studienbewerber. "Schlimm sind Fälle, in denen jemand durch Krankheit den Bewerbungstermin nicht einhalten kann", so Scheer. Doch Ausschlussfrist sei Ausschlussfrist. Überhaupt geht alles seinen sehr geordneten Weg, zwischen längst verblühten Fluren und orangefarbenen Wänden. "Die meisten Studenten orientieren sich sehr heimatnah. Und Studentenstädte mit Flair sind einfach beliebter als andere Orte in Deutschland", erklärt Scheer die Schwierigkeit, in Freiburg einen Studienplatz zu bekommen. So gibt es in diesem Sommersemester auf die 41 Studienplätze in Zahnmedizin 163 Bewerber. Vier Bewerber kämpfen um einen Platz.

Die Auswahl für dieses Semester ist gelaufen - wenn auch noch ein Fünkchen Hoffnung bleibt: Der Poststreik könnte an einer Verzögerung der Bescheidzustellung schuld sein. Das Bewerbungsverfahren vom letzten Wintersemester ist jedoch lange abgeschlossen: 1224 angehende Studenten wollten einen Medizinstudienplatz in Freiburg ergattern - aber nur 315 Plätze waren zu vergeben. Universitäten wie Saarbrücken oder Magdeburg kennen diese harten Quoten kaum.

"Es kommen Anrufe von Verwandten oder der Freundin, die uns erzählen, wie qualifiziert ein Bewerber sei." Sigfrid Süreth, ZVS-Mitarbeiter

Im ersten Stockwerk mit Blick auf die Bahnschienen ein Türschild mit der Aufschrift: "Gruppe 2", die ist zuständig für die Bewerbernamen von "Botu-" bis "Eis-". In der Ecke des Großraumbüros finden sich viele bunte Passbilder. "Unsere Kundschaft", wie Gruppe-2-Frau Gudrun Klier verrät. So unpersönlich es klingt, so objektiv ist das Verfahren. Und Passbilder gehören nicht zu den beizufügenden Unterlagen für eine Bewerbung.

Ungefragt gibt es auch Drohungen, es wird mit Politikerkontakten geprahlt und auch juristische Konsequenzen werden angekündigt. Doch Gruppe 2 bleibt hart. Die Kriterien zur Studienplatzvergabe seien für alle gleich. "Es kommen auch Anrufe von Patenonkeln, Verwandten oder der Freundin, die uns erzählen, wie qualifiziert ein Bewerber sei", sagt Sigfrid Süreth und muss dabei schmunzeln. Doch einige meinen es ernst: "Gewaltandrohung oder Geldversprechen - wir haben schon vieles erlebt."

Der Verantwortung für den Lebenslauf eines Menschen seien sich alle Mitarbeiter der ZVS bewusst, meint "Gruppe 2" einhellig. Im Dortmunder Großraumbüro will man sich lieber keine Gedanken machen, ob die ausgewählten Bewerber aber auch die richtigen sind: "Als ich letztens beim Zahnarzt war, habe ich schon gedacht: Hoffentlich hat der eine Zulassung von uns bekommen", erzählt Gudrun Klier.

Eine Etage höher im Büro von Ulf Bade werden ernstere Töne angeschlagen. Das Büro des Direktors ist bereits renoviert worden. Und zwar nach seinen Vorstellungen - "babyblaues Badezimmer" heißt es nun im Jargon der Dortmunder Behörde. Bade gibt sich im Gespräch wortkarg, als Jurist weiß er, dass man sich in schwierigen Zeiten in der Öffentlichkeit vorsichtig zeigen muss. Der Wind weht den Dortmundern kalt um die Nase: zahllose Politiker fordern die Schließung der ZVS. Bade fürchtet nicht um die Existenz seiner Behörde, sieht aber veränderte Aufgaben auf sich zukommen. Und vorstellen kann er sich vieles - sogar Dienstleistungen für private Universitäten schließt er nicht aus.

Pressesprecher Bernhard Scheer betont derweil: "Die Auswahlkriterien haben nicht wir erfunden. Die ZVS ist eine Einrichtung der 16 Bundesländer." Und genau die stehen nicht rückhaltlos hinter der Zentralstelle. Vor allem Baden-Württemberg betont gerne im politischen Tagesgeschäft, Universitäten sollen sich ihre Studenten selbst aussuchen. "In der Realität machen es dann aber die wenigsten Unis", so Bade. Von 26 vergabegesteuerten Studiengängen in Baden-Württemberg werden 19 noch immer durch die ZVS allein vergeben.

Was der Präsident einem Bewerber mit mittelmäßigem Abitur auf den Weg geben kann, wenn sein Traum an einem Medizinstudium hängt? "Er kann natürlich warten." Im Moment ungefähr ein halbes Jahrzehnt. "Besser ist wohl, wenn er sich vielleicht umorientiert", resümiert der Amtsleiter. Die Zahl der Bewerber wird weiter ansteigen, die der Studienplätze schrumpfen. Erst 2009 wird nach Prognosen der Kultusminister der Höhepunkt erreicht sein.

Vor Bades Büro tanzen die Schneeflocken, der triste Bau wirkt prompt freundlicher. Und Bernhard Scheer zieht zwei Ordner aus dem Regal, die es in sich haben: Briefe aus 31 Jahren Zentralismus. Versuche der Beeinflussung in eigener Sache. Da ist der Dönerladen aus Hamburg der um seine Existenz fürchtet, wenn sein bester Mitarbeiter einen Studienplatz außerhalb der Hansestadt bekommt. Oder die besorgte Mutter, die meint, dass die Zierfische der Familie sterben würden, wenn der Sohn woanders studieren müsste. Ein Zauberer sieht sich gar als Leistungssportler und hofft auf bevorzugte Zulassung, wie sie Olympiahoffnungen zusteht. Ein ganz besonderer Teil der Sammlung - Hochzeitsbilder mit Text: "Am Anfang habe ich euch für die Zuteilung an diesen Ort gehasst. Jetzt habe ich hier meine große Liebe kennen gelernt." Und ob Auswahlgespräche oder Abiturnoten mit oder ohne ZVS über den Studienplatz entscheiden, ob es Rostock, Freiberg oder Hamburg ist - es geht um Menschen und ihre Lebenskonzepte.

"Es ist mir völlig egal, wo in Deutschland ich einen Studienplatz bekomme." Benjamin Kloth, ZVS-Bewerber

Wie Benjamin Kloth aus Sulzburg am eigenen Leib erfahren muss. "Es ist mir mittlerweile völlig egal, wo in Deutschland ich einen Studienplatz bekomme." Wann und ob er überhaupt einen Platz bekommt, ist nicht absehbar. Und bis dahin? Er wird seine Ausbildung zum Rettungsassistenten beenden. "Was anderes studieren kann ich ja nicht, sonst fehlen mir am Ende die Wartesemester." Noch härter als Benjamin trifft es wohl Sebastian Müller: Er sieht sich auf einen Platz in Freiburg angewiesen, weil er hier auch lokalpolitisch engagiert ist. Bei einem Studium in Leipzig oder Lübeck wäre das hinfällig. Soziale Kompetenzen, die zwischen Turboquote und Nachrückverfahren keine Rolle spielen. Noch nicht.

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