Berlin

Ausstellung beschäftigt sich mit der Angst vor dem Scheintod

Die Angst, lebendig begraben zu werden ist eine Urangst des Menschen. Im medizinhistorischen Museum in Berlin wird gezeigt, wie man damit früher umging.  

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Fast wäre Schneewittchen lebendig begraben worden.  | Foto: bz
Fast wäre Schneewittchen lebendig begraben worden. Foto: bz

BERLIN. Es ist eine Urangst des Menschen und beliebtes Motiv diverser Horrorfilme: die Furcht, lebendig begraben zu werden. In einer Sonderausstellung beschäftigt sich von Samstag an bis Mitte November das medizinhistorische Museum der Berliner Charité mit dem Phänomen.

Tote brauchen keine Taschen, heißt es, aber Ferdinand Herzog von Braunschweig gelangte vor seinem Lebensende im Jahre 1792 zur gegenteiligen Ansicht. Voller Bedacht ließ sich der Fürst in sein Sterbehemd einen Beutel nähen – darin lagerte er den Schlüssel zu Deutschlands erstem Sicherheitssarg. Den hatte er sich bauen lassen – versehen mit Luftlöchern und einem Fenster und natürlich von innen zu öffnen. Es ist allerdings verbürgt, dass der Herzog nach seinem Ableben das Erdmöbel nicht mehr verließ.

Mit der Angst vor dem Scheintod war Ferdinand in seiner Zeit nicht allein. Der dänische Dichter Hans Christian Andersen sorgte sich so sehr davor, lebendig begraben zu werden, dass er verfügte, man möge ihm nach seinem Tode die Pulsadern aufschneiden. In seinen letzten Lebensjahren soll er auf dem Nachttisch einen Zettel mit den Worten "Ich bin nur scheintot" deponiert haben.

Seit der Antike war man sich einig gewesen, wann ein Mensch das Zeitliche gesegnet hatte, nämlich dann, wenn kein Puls und Atem mehr zu fühlen wäre. Aber diese Eindeutigkeit geriet analog der christlichen Gewissheit auf ein Weiterleben im Jenseits in der Zeit der Aufklärung ins Wanken. Wissenschaftler zogen die Zeichen in Zweifel. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich ein Buch des französischen Arztes Jean-Jacques Bruhier über die Ungewissheit des Todes. Die Horrorstorys reichten von Beschreibungen geöffneter Särge, in deren Inneren man Kratzspuren fand, bis hin zu komplett erfundenen Gruselgeschichten, in denen Verstorbene die Finger zurückziehen, wenn der Totengräber ihnen die Ringe abnimmt.

Das Werk führte zu einer gesellschaftlichen Debatte in ganz Europa. Die Diskussion hatte Folgen, die nicht allein skurril waren: Viele Forscher beschäftigten sich mit der Frage der sicheren Todeszeichen. Die Idee der Wiederbelebung, die noch kurz zuvor verboten war, wurde nicht nur populär, sondern eine Bürgerpflicht. Kommunen und Fürstentümer beschäftigten sich offiziell mit der Frage, wie man verhindern könne, lebendig begraben zu werden. Der Totenschein stammt ebenso aus dieser Zeit wie die Regel, dass zwischen Sterben und Bestattung drei Tage vergehen müssen.

Der Berliner Arzt Christoph Wilhelm Hufeland hatte bereits 1791 einen Aufsatz "Über die Ungewißheit des Todes und das einzig untrügliche Mittel sich von einer Wirklichkeit zu überzeugen" geschrieben. Kernfrage: Wie konnte man sicher sein, dass einer tot ist? Hufeland erklärte: "Die Fäulnis allein ist im Stande uns vollständige Gewißheit zu geben." Daraus zog die Gesellschaft zwei Schlüsse: Erstens muss man Möglichkeiten schaffen, um Verstorbene zu beobachten, über deren Tod man sich nicht sicher ist. Zweitens wollte man alle Möglichkeiten ausschöpfen, den "letzten Lebensfunken" womöglich wieder zu entfachen.

Hufeland appellierte an den preußischen Staat, sogenannte Leichenhäuser auf Friedhöfen zu errichten und zu nutzen. In der Ausstellung wird im Modell das am besten ausgestattete Leichenhaus in Berlin auf dem Friedhof am Halleschen Tor rekonstruiert. Dort lagerten die Leiber der unsicheren Kandidaten tagelang, um auf die untrüglichen Zeichen zu warten – an den Gliedmaßen der Leichen wurden Schnüre befestigt, die zu Glöcklein führten, was im Falle eines Erwachens den Wächter in seiner benachbarten Kammer alarmiert hätte. In einem dritten Raum wurden Wiederbelebungsmaßnahmen vorgenommen – mit Wärmewannen, Blasebalgen und Elektrisiermaschinen. Filigrane Zeichnungen solcher Rettungswecker sind in der Ausstellung ebenso zu bestaunen wie kleine Nachbauten von Sicherheitssärgen.

Gleichzeitig beschäftigten sich Forscher mit der Frage nach der Grenze von Leben und Tod. Als der italienische Arzt Luigi Galvani bei Versuchen mit Froschschenkeln und Strom entdeckte, dass die Muskeln toter Tiere zu zucken begannen, waren der Idee des Wiederbelebens Tür und Tor geöffnet. Die Instrumente, die zu diesem Zweck zum Einsatz kamen, sind wohl die gruseligsten Exponate der Ausstellung: Zu sehen sind Klistiere, mit denen man den armen Leichen zu Leibe rückte, Anleitungen, wie man den vermeintlich Scheintoten Peitschenschläge versetzen, Schnupftabak in die Nase oder heißen Siegellack in die Augen geben könne, um sie zu erwecken. Auch ein Set von kreisrunden Schädelbohrern ist ausgestellt – es sollte angewendet werden, um "den gestauten Druck der Lebenskraft" freizusetzen.

Doch auch wenn Wissenschaft und Ordnungsmacht genau hinschauten und vieles unternahmen: Kein einziger Fall einer Erweckung konnte dokumentiert werden. Und mit den Jahrzehnten schwand die Angst vor dem Scheintod.
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