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Brennpunkt Narrentreffen

Betrunkene Narren: Zünfte sind frustriert wegen Störern

Patrik Müller
  • So, 19. Februar 2017, 13:33 Uhr
    Südwest

     

Sie sind jung, männlich, betrunken und aggressiv: Immer wieder machen Störer Umzüge und Narrentreffen unsicher. Die Polizei will mehr Präsenz zeigen, die Zünfte klagen über Sicherheitsauflagen.

Kontrolle in Freiburg: Ein Narr pustet in ein Alkohol-Messgerät.  | Foto: dpa
Kontrolle in Freiburg: Ein Narr pustet in ein Alkohol-Messgerät. Foto: dpa
Eigentlich war es ein schöner Umzug. 117 Zünfte waren nach Lahr gekommen, 3000 Narren zogen durch die Straßen. Hexen schmissen Süßigkeiten und Konfetti, Zuschauer mit Ringelsocken klatschten, der Bürgermeister winkte von der Ehrentribüne. Einen Monat später ist der Oberzunftmeister frustriert. "Ich bin am Tiefpunkt", sagt Franz Leipner, Chef der Lahrer Laubenhexen. Nach dem Umzug rief die Polizei an – weil betrunkene Mädchen auf dem Boden lagen, weil Kinder Böller in die Menge geworfen hatten. "Diese Leute haben die Arbeit eines Jahres in einer Stunde kaputt gemacht."

Lahr ist einer von vielen Orten, an denen die Fasnacht in diesem Jahr aus dem Ruder gelaufen ist, bevor sie so richtig begonnen hat. Auch in Malterdingen, Herbolzheim und Denzlingen gab es Problem. Zunftchefs klagen über Prügler und Randalierer, über Betrunkene und Ruhestörer. "Es wird immer schlimmer", sagt Berthold Schneider.

Jugendliche kommen mit Wodka im Rucksack

Der 69-jährige Wyhler ist Präsident der Europäischen Narrenvereinigung Baden-Württemberg, einem Zusammenschluss von 160 Fasnachtsgruppen. Schneider ist wütend. Er schimpft auf Jugendliche, die mit Wodka im Rucksack zum Narrentreffen fahren. Die erst mal den Mann beleidigen, der ihnen für drei Euro eine Plakette verkaufen will. Die mit dem Rücken zum Umzug an der Straße stehen und die Flasche kreisen lassen – und dann durchdrehen. "Du musst aufpassen, dass du keine auf die Fresse kriegst", sagt er.

Wird es tatsächlich immer schlimmer? Die Polizei hat keine Zahlen, die Kriminalstatistik weist Straftaten bei Narrentreffen und Umzügen nicht gesondert aus. "Die Frage, ob die Fasnacht im Laufe der Zeit krimineller oder unsicherer wurde, würde ich verneinen", erklärt Karen Stürzel, Sprecherin des Offenburger Polizeipräsidiums. Prügeleien unter Betrunkenen habe es früher schon gegeben. Sie sieht aber eine Verschiebung der Grenzen: Früher war eine Schlägerei vorbei, wenn einer am Boden lag. "Hier wird eine Verrohung erkennbar, die es früher in dieser Brutalität nicht gab."

Großteil der Störer: männlich, heranwachsend, alkoholisiert

Ihr Kollege Frank Fanz im Freiburger Polizeipräsidium benennt die Täter: "Bei den Störern", teilt er auf BZ-Anfrage mit, "handelt es sich im Großteil um heranwachsende und männliche Personen, die sich vorzugsweise im alkoholisierten Zustand und in Gruppen bewegen."

In Orten, die an der Bahn liegen, gibt es mehr Ärger als im tiefen Schwarzwald. In Dörfern mit gewachsener Fasnachtstradition wiederum gibt es weniger Stress als in Gemeinden, in denen Dämonencliquen zur XXL-Megaparty laden. "Es gibt heute viel mehr Zünfte als früher", sagt Roland Wehrle. "Das heißt nicht, dass alle Neuen schlecht sind – aber da sind auch Gruppen dabei, die gegründet wurden, um die Sau rauszulassen."

Zünfte müssen 92-seitige Sicherheitskonzepte vorlegen

Wehrle führt die Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte, einen traditionsreichen Verband mit alten Mitgliedszünften. "Wir haben weniger größere Probleme", sagt er. Aber auch er klagt: über gestiegene Sicherheitsauflagen. "Für unser Narrentreffen in Markdorf mussten wir ein 92-seitiges Sicherheitskonzept vorlegen. Irgendwann sind Veranstaltungen nicht mehr möglich, weil haftungsrechtliche Fragen nicht geklärt sind – und keiner will mehr ein Ehrenamt übernehmen."

Die Behörden stellen Regeln auf. Bei Abendveranstaltungen sind professionelle Security-Leute Pflicht, bei Umzügen schreiben die Landratsämter vor, wie hoch das Geländer auf einem Festwagen sein muss – und dass neben den Zugmaschinen Ordner laufen müssen. Das funktioniert, wie Thorsten Hammer bestätigt, der Ärztliche Leiter im Notfallzentrum der Uniklinik Freiburg – die Zahl der schweren Unfälle sei gesunken. Viel Arbeit haben er und seine Kollegen trotzdem, nicht nur wegen Prügeleien, auch wegen Unfällen: "Wir haben immer wieder Hästräger in der Notaufnahme."

Die Fasnacht als Plattform

Einige Brennpunkte konnten entschärft werden in den vergangenen Jahren – mit Platzverweisen für Störer, mit Rucksackkontrollen, mit Glasflaschenverboten. "Ich rate meinen Zünften immer: Werbt mit Brauchtum", sagt Klaus-Peter Klein, Chef des Verbandes Oberrheinischer Narren VON. "Vermeidet Plakate, auf denen ,Party‘ oder ,DJ‘ steht – dann interessiert es die Chaoten nicht."

Die Schwarzweißmalerei störe ihn, erklärt er. "Die Fasnacht hat sich verändert, aber das gilt auch für die Gesellschaft. Schauen Sie mal, was auf Dorffußballplätzen oder im Straßenverkehr abgeht – das ist erschreckend." Er sagt auch: "Die Fasnacht wird leider immer wieder zur Plattform für Gruppen, denen es gar nicht um die Fasnacht geht."
Hintergrund: Die Polizei rüstet auf

Straßensperren gegen Amokfahrer, Polizisten mit Maschinenpistolen gegen Terroristen: In Karnevalshochburgen wie Köln und Düsseldorf verstärkt die Polizei unter dem Eindruck des Attentates auf den Berliner Weihnachtsmarkt ihre Sicherheitsvorkehrungen. Auch Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) kündigt eine erhöhte Polizeipräsenz an. Zwar gebe es für die Fasnachtsveranstaltungen im Südwesten "keine konkreten Gefährdungserkenntnisse", wie sein Ministerium auf BZ-Nachfrage mitteilt, angesichts jüngster Vorfälle in Paris, Brüssel, Berlin und München sei "aber auch festzustellen, dass es absolute Sicherheit nicht gibt und auch nicht geben kann".

Mehr Stellen und mehr Geld gibt es für die Aufrüstung nicht. Die Präsidien müssen die Mehrbelastung mit ihrem Stammpersonal stemmen, können nur im Einzelfall bei sehr großen Veranstaltungen auf Verstärkung durch Bereitschaftspolizisten hoffen. "Die Polizei kann natürlich nicht in jeder kleinen Gasse vertreten sein", sagt Freiburgs Polizeisprecher Frank Fanz. Er rät Besuchern dazu, Streit aus dem Weg zu gehen und Orte zu meiden, an denen sich zu viele offensichtlich Betrunkene aufhalten. Wer in einer Menschenmasse sei, solle darauf achten, den Ort jederzeit ohne größere Mühe verlassen zu können – ohne sich in der Menge einklemmen zu lassen. Der Polizist warnt aber auch vor einer anderen Gefahr: Rucksäcke seien leicht zu öffnen, Geld sollte am besten in einem Brustbeutel oder einer verschlossenen Tasche aufbewahrt werden. "Taschendiebe freuen sich über beengte Situationen."

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Ressort: Südwest

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 18. Februar 2017: PDF-Version herunterladen

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