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Berlin

Caitlin Doughty ist nicht nur Bestatterin, sie ist Kult

  • Fr, 04. März 2016
    Deutschland

Schwarze Helmfrisur, weißes Gesicht, dunkel geschminkte Augen. Das ist doch Cher, denkt man, in ihrer schrägsten Rolle als Morticia Addams, Chefin der Addams-Family. Das ist dieser morbide Clan aus der Kinokomödie, der am liebsten auf dem Friedhof chillt. Aber was hat diese Frau in Berlin verloren, im Anatomie-Hörsaal der Charité?

Hat in Los Angeles ein eigenes Bestattungsinstitut: Caitlin Doughty   | Foto: Verlag
Hat in Los Angeles ein eigenes Bestattungsinstitut: Caitlin Doughty Foto: Verlag
Caitlin Doughty, 31, trägt ein schwarzes Kleid mit bunten Blumen. Sie ist aus Los Angeles eingeflogen, um Werbung für ihr Buch zu machen, aus dem die Schauspielerin Anna Thalbach gleich vorlesen wird.

Dieses Buch heißt auf Deutsch "Fragen Sie Ihren Bestatter" (erschienen im Beck-Verlag). Doughty hat jahrelang als Aushilfe in einem Krematorium in San Francisco gearbeitet. Es ist ein harter Job. Leichen im Dutzend mit dem Transporter abholen, aus Krankenhäusern, Hospizen oder der Gerichtsmedizin. Sie noch einmal für eine letzte Begegnung mit den Angehörigen aufhübschen. Sie dann in einen Ofen wuchten, wo sie bei 800 Grad Celsius verbrennen. Vor der Scheibe stehen und abwarten, bis nur noch die Knochen übrigbleiben und diese dann mit einer Mühle zu feinem Staub zermahlen.

Caitlin Doughty hat das alles so aufgeschrieben, wie sie es erlebt hat. Sie erspart ihren Lesern keine Details. Man erfährt zum Beispiel, zu welchem Trick die Mitarbeiter greifen, wenn die Augen der Verstorbenen wieder aufgehen: Sekundenkleber reinspritzen. Doughty verrät, dass dicke Körper morgens immer als Erste verbrannt werden, weil der Ofen im Laufe des Tages immer heißer wird und man vermeiden möchte, dass es eine Fettexplosion gibt. Sie beschreibt auch, wie sie einem verstorbenen Mann einen Herzschrittmacher mit dem Skalpell entfernt hat. Die Lithiumbatterien könnten bei der Verbrennung explodieren.

Doch Doughty geht es nicht um Schockeffekte. Das wird an diesem Abend in der Charité deutlich. Zwischen den Passagen aus ihrem Bestseller erfährt man auch einiges Persönliche über sie. Dass sie acht Jahre alt war, als sie Zeuge wurde, wie in ihrer Heimat Hawaii ein gleichaltriges Mädchen in einem Einkaufscenter aus zehn Meter Höhe stürzte und mit dem Gesicht auf den Boden knallte. Dass sie seither eine panische Angst vor dem Tod umtrieb, die ihren Lebensweg prägte: Nach einer Jugend in der Gothic-Szene studierte sie mittelalterliche Geschichte, spezialisierte sich auf Todeskulte und Beerdigungsriten, bevor sie 2006 in einem Krematorium anheuerte, um ihr Trauma zu verarbeiten.

Inzwischen hat sie sich zur Bestatterin ausbilden lassen und sich mit einer Kollegin in Los Angeles selbstständig gemacht. "Undertaking L.A." heißt ihr alternatives Bestattungsinstitut. Sie sagt, Särge, Blumengestecke und teuren Chi-Chi gebe es dort nicht. Die Angehörigen sollen selber entscheiden, wie sie sich von dem Verstorbenen verabschieden wollen.

Caitlin Doughty hat eine Mission. Sie sagt, Leichen dürfen nicht einfach entsorgt werden. Heute online eine Verbrennung buchen, zwei Wochen später kommt die Urne mit UPS. "Klopf, klopf, klopf. Hier ist deine Mama." Sie will, dass ein Ruck durch die Branche geht. Ihre Lesereisen sind eine willkommene Gelegenheit, um diese Botschaft zu verbreiten. Ihr Buch ist kein Horrorbuch, es ist eine Kulturgeschichte des Sterbens. Sie hat es in einem Ton geschrieben, wie man ihn von amerikanischen Cartoons und Filmen kennt. Leicht und lakonisch. Die Firma Paramount hat denn auch die Rechte an ihrem Buch gekauft. Es gibt Pläne für eine TV-Serie nach dem Vorbild der Bestatter-Soap "Six Feet Under".

Einen Youtube-Kanal hat Doughty schon. Er heißt "Ask a Mortician". Darauf kommentiert sie klug und kenntnisreich Nachrichten aus ihrer Branche – immer mit einem Augenzwinkern, das ist ihr Markenzeichen. Youtube wurde zu ihrem Sprungbrett. 100 000 Klicks im Monat, fünf Millionen Klicks insgesamt weltweit, die meisten aus den USA, Kanada, England, Australien und Deutschland. So wurde das Internet zur Bühne für eine Branche, der man sonst gerne nachsagt, sie halte ihre Türen lieber geschlossen – angeblich aus Gründen der Pietät.

Doughty fällt noch ein anderer Grund für diese Zurückhaltung ein. Sie sagt das am Tag nach der Lesung, bei einem Spaziergang über den Friedhof in Berlin-Friedenau, wo sie nach dem Grab der von ihr verehrten Marlene Dietrich sucht. Sie sagt, Bestatter fühlten sich wie Halbgötter. Besessen von der Vorstellung, dass es ohne sie nicht ginge, würden sie Angehörige regelrecht entmündigen. Und das aus purer Profitgier, nicht aus Fürsorge. "Wenn du rausfindest, dass das gar nicht stimmt, siehst du ja auch nicht mehr ein, warum du für eine Beerdigung so viel Geld bezahlen sollst."

Es ist ein schöner Tag, die Februarsonne taucht den Friedhof in mildes Licht. Und so, wie Doughty wieder ganz in Schwarz an den Gräbern vorbeiflaniert und beim Anblick pittoresk bemooster Grabsteine entzückte Schreie ausstößt, muss man wieder an Cher in ihrer Rolle als Morticia Addams denken. "Visiting Marlene?", fragt ein verknitterter Ur-Berliner im Ledermantel, und noch bevor Doughty antworten kann, hat er den Weg zum Grab der berühmten Hollywood-Diva beschrieben.

Auf dem Weg dorthin lernt man eine Autorin kennen, die es genießt, vom PR-Rummel um ihre Person abzuschalten. "Tote chillen, die wollen nichts von dir. Das ist das Tolle an Friedhöfen", sagt sie, während sie das Grab der Dietrich fotografiert. Man hätte es beinahe übersehen. Auf einem schwarzen Marmorstein steht nur der Vorname: Marlene, 1901–1992. "Toll", sagt Caitlin Doughty. Sie selber will mal in einem Wald beerdigt werden, ohne Sarg und ohne Grabstein. "Ich gehe einfach so, wie ich gekommen bin."

Ressort: Deutschland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 04. März 2016: PDF-Version herunterladen

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