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Arbeitsknigge

Den Chef duzen? Warum die Förmlichkeit in Deutschland auf dem Rückzug ist

  • Beate Laurenti (KNA), dpa und tst

  • Do, 11. Mai 2023, 11:24 Uhr
    Panorama

Mehr als zwei Drittel der Beschäftigten in Deutschland duzen ihre Führungskraft. Auch sonst werden Förmlichkeiten seltener. Ein Knigge-Experte sagt: Das ist eine jahrzehntelange Entwicklung.

Das Duzen allein belegt noch nicht, da...esonders flache Hierarchien herrschen.  | Foto: Peter Scholl via www.imago-images.de
Das Duzen allein belegt noch nicht, dass in einem Unternehmen besonders flache Hierarchien herrschen. Foto: Peter Scholl via www.imago-images.de
Wir leben in einer Kultur des Duzens: ob in den sozialen Netzwerken, am Arbeitsplatz oder im Radio. Das "Du" ist mittlerweile fester Bestandteil der Alltagskommunikation. Und sogar dort gang und gäbe, wo es früher nicht denkbar gewesen wäre; etwa beim Einkaufen oder in der Werbung. Für Knigge-Experte und Business-Etikette-Trainer Clemens Graf von Hoyos ist das die Folge einer Entwicklung, die bereits vor Jahrzehnten eingesetzt hat. Der Trend könnte sich aber auch wieder ändern, sagt er.

Entspannte Anrede im Büro bringt gute Stimmung

Derzeit duzen mehr als zwei Drittel (68 Prozent) der Beschäftigten ihren Chef oder ihre Chefin. Das geht aus einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Bilendi im Auftrag der Königsteiner Gruppe und der Online-Jobbörse stellenanzeigen.de hervor. Die entspannte Anrede geht offenbar oftmals mit guter Stimmung im Betrieb einher.

Als freundschaftlich würden demnach 70 Prozent der insgesamt 1055 Befragten den Führungsstil ihrer Vorgesetzten beschreiben. Aufbrausende Vorgesetzte hat demnach nur etwas mehr als jeder Fünfte (21 Prozent). 78 Prozent der Befragten schätzen ihre Führungskraft als fachlich kompetent ein. Jeder Dritte (33 Prozent) ist der Umfrage zufolge allerdings unzufrieden mit der eigenen Führungskraft. 23 Prozent der Befragten geben an, dass die Führungskraft schon einmal die eigene gute Arbeit als die ihre verkauft habe. Bei Beschäftigten mit männlichen Vorgesetzten stimmt der Aussage jeder Vierte zu. Bei Befragten mit Chefinnen knapp jeder Fünfte.

In vielen Sprachen gibt es kein Siezen

Die Abgrenzung zwischen dem "Du" und "Sie" ist kein Alleinstellungsmerkmal der deutschen Sprache. Das hat eine Analyse des World Atlas of Language Structures (WALS) ergeben. Demnach wird in mehr als der Hälfte der 207 untersuchten Sprachen keine Unterscheidung zwischen dem Duzen und Siezen getroffen, etwa im Englischen. 49 Sprachen weisen dagegen, wie das Deutsche, ein binäres System auf. Mehr als ein Dutzend Sprachen haben ein komplexeres Höflichkeitssystem.

"Vor rund 200 Jahren hat man es noch möglichst vermieden, das Gegenüber überhaupt mit einem Pronomen anzusprechen", sagte Hoyos, der seit knapp zehn Jahren Vorsitzender der Deutschen-Knigge-Gesellschaft ist. "Ich hoffe, Ihre Hochwohlgeboren haben gut geschlafen", hieß es damals. Daraus wurde dann "Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen, Herr Mustermann" und schließlich "Ich hoffe, Du hast gut geschlafen". Drehe man diese Entwicklung weiter, könnte es sein, dass irgendwann gar nicht mehr mit Namen und Anrede hantiert werde. Die Frage würde dann lauten: "Jo, Diggi, gut geschlafen?"

Video: Dürfen Sc-Spieler Christian Streich duzen?

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Vor dem Hintergrund einer Sprache, die auch nichtbinäre Personen mitdenkt, die sich nicht den Kategorien von Mann und Frau zuordnen, könnte sich Hoyos auch vorstellen, dass irgendwann auf entsprechende Zusätze verzichtet werde. In Mails könnte das so aussehen: "Guten Tag, Erika Mustermann." Es gehe in der Kommunikation vorwiegend darum, sich auf andere Personen einzustellen.

Umgangsformen unterlagen laut Hoyos schon immer Wellenbewegungen. Ausgeschlossen sei es jedenfalls nicht, dass das Siezen in den kommenden zwei Jahrzehnten wieder prominenter werde. Hoyos verweist auf den Philosophen Arthur Schopenhauer, der 1851 in seiner Parabel der Stachelschweine folgendes Phänomen beschrieb: An kalten Wintertagen drängen sich die Tiere recht nah zusammen, um sich zu wärmen. Sobald sie zusammenrücken, piksen sie sich jedoch und gehen wieder auf Distanz. Ähnlich könnte es sich, so Hoyos, mit der Anrede verhalten: Es sei immer ein Ringen um Nähe und Distanz.

Vertrauensvolle Kommunikation oder Grenzüberschreitung?

Eindeutig entschieden hat sich der Hörfunksender SWR 3. Seit Juli 2020 ist man im gesamten Programm zum Duzen im Plural, dem "Ihrzen", übergegangen: In den Moderationen werden Hörerinnen und Hörer mit "Ihr" und "Euch" angesprochen. Das schaffe "eine zeitgemäße Nähe und eine angenehme Atmosphäre", sagt Simon Dreidoppel, stellvertretender SWR3-Programmchef. Vom Publikum sei sei das in einer Befragung mit klarer Mehrheit bestätigt worden.

Für den einen ist das Duzen eine vertrauensvolle Kommunikation auf Augenhöhe, für den anderen eine Grenzüberschreitung. Dafür brauche es Feingefühl, mahnt der Hoyos. In jedem Fall gelte: einmal Du, immer Du. Er selbst sei deshalb kein Fan von sogenannten Golfplatz- oder Workshops-Dus. Dass viele Möbelhäuser oder Konzerne ihre Kunden duzten, bei Mahnungen hingegen wieder zum "Sie" wechselten, sei "gegen jede Etikette und einfach nur schlechter Stil". Besonders am Arbeitsplatz dürfe man sich von einer Kultur des Duzens nicht täuschen lassen, betont Hoyos. Oft werde dadurch suggeriert, dass in einem Unternehmen besonders flache Hierarchien herrschten, – obwohl das nicht der Fall sei. "Kultur fängt im Kopf an und ist keine Frage des Duzens oder des Krawatte-Tragens."

Ressort: Panorama

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 11. Mai 2023: PDF-Version herunterladen

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