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Türkei

Deniz Yücel nennt das Urteil gegen sich "politisch"

Gerd Höhler
  • & dpa

  • Do, 16. Juli 2020, 21:14 Uhr
    Ausland

Der frühere Türkei-Korrespondent der "Welt" wird in der Türkei wegen "Terrorunterstützung" zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Yücel spricht von einer Blamage des türkischen Staats.

Staatschef Recep Tayyip Erdogan  | Foto: - (dpa)
Staatschef Recep Tayyip Erdogan Foto: - (dpa)
Zwei Jahre, neun Monate und 22 Tage Haft – das ist das Urteil, das die Richter am Donnerstag im Istanbuler Justizpalast Caglayan gegen den "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel verkündeten. Die Ankläger hatten bis zu 16 Jahren Haft wegen "Terrorunterstützung" und "Volksverhetzung" gefordert. Yücel erfuhr von der Verurteilung durch seinen Anwalt Veysel Ok. Er selbst nahm an der Urteilsverkündung nicht teil. Yücel war im Februar 2018 nach fast einem Jahr in Untersuchungshaft, davon neun Monate in strenger Isolationshaft, freigelassen worden und konnte nach Deutschland ausreisen.

"So oder so musste sich der türkische Staat heute blamieren. Das hat er auch." Deniz Yücel
Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur kritisierte Yücel die Entscheidung scharf: "Das Gericht hat sich mit diesem Urteil über das türkische Verfassungsgericht hinweggesetzt. Das zeigt einmal mehr, wie es um die türkische Justiz bestellt ist, nämlich erbärmlich." In einem Beitrag für die "Welt" schrieb der Journalist am Donnerstag, dass es sich um ein "politisches Urteil" handle. "So oder so musste sich der türkische Staat heute blamieren. Das hat er auch." Yücels Beitrag Beitrag hat den Titel: "Ich bereue nichts". Das Urteil "ändert nichts an dem, was ich vom Moment meiner Festnahme an wusste: Ich wurde gefangenen genommen, weil ich meine Arbeit als Journalist gemacht habe." Daran bereue er nichts. "Und früher oder später wird ein Gericht das auch feststellen."

Beendet ist der Fall mit dem Richterspruch vom Donnerstag nicht: Der Anwalt Veysel Ok kündigte Berufung gegen das Urteil an. Wie außerdem das Gericht bekanntgab, laufen zwei weitere Verfahren gegen Yücel, wegen Beleidigung des türkischen Präsidenten und des Staates.

Die Verhaftung des deutschen Journalisten im Februar 2017 führte zu schweren Spannungen zwischen Berlin und Ankara. Zehn Monate lang saß Yücel in Untersuchungshaft, ohne überhaupt zu wissen, was ihm vorgeworfen wird. Staatschef Recep Tayyip Erdogan bezeichnete ihn öffentlich als "Spion" und "Terroristen". Später legte die Staatsanwaltschaft eine Anklage vor.

Yücel soll Propaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK gemacht haben, so die Ankläger. Vorgeworfen wurde ihm unter anderem, dass er ein Interview mit dem Vizechef der PKK, Cemil Bayik geführt hatte. Yücel habe die PKK damit als "legitime politische Organisation" hingestellt. Dass Yücel einmal vom "Völkermord an den Armeniern" geschrieben haben soll, wertete die Anklage als "Volksverhetzung". Den Vorwurf, Yücel habe auch Propaganda für die Gülen-Organisation betrieben, die Erdogan für den Putschversuch vom 15. Juli 2016 verantwortlich macht, ließen die Ankläger später wieder fallen.

Der Prozess gegen Yücel wirft ein Schlaglicht auf den Zustand der Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei. 189 Verlage, Fernsehstationen und Radiosender ließ Erdogan nach dem Putschversuch per Dekret schließen, 319 Journalisten wurden festgenommen. Heute gibt es in der Türkei nur noch eine Handvoll unabhängige Publikationen. Die meisten Verlage und TV-Sender gehören zu Konglomeraten, die von Erdogan-nahen Unternehmern kontrolliert werden. Oppositionspolitiker sagen, dass inzwischen 95 Prozent der Medien auf Regierungslinie liegen. Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG) führt die Türkei in ihrer globalen Rangliste der Pressefreiheit unter 180 beobachteten Staaten auf Platz 154. Nach einer Statistik des Stockholm Center for Freedom sitzen derzeit in der Türkei 82 verurteile Journalisten in Strafhaft. Weitere 95 befinden sich in Untersuchungshaft und warten auf ihren Prozess. 168 Journalisten, gegen die Haftbefehle bestehen, sind untergetaucht oder leben im Exil.

Derzeit sitzen etwa 60 Deutsche aus politischen Gründen in türkischen Gefängnissen. Dutzende weitere Deutsche werden mit einem Ausreiseverbot in dem Land festgehalten. Das Auswärtige Amt (AA) warnt in seinen Reisehinweisen: "Deutsche Staatsangehörige werden weiterhin willkürlich festgenommen, mit einer Ausreisesperre belegt, oder ihnen wird die Einreise in die Türkei verweigert." Vor allem im Zusammenhang mit "regierungskritischen Stellungnahmen in den sozialen Medien" oder wegen "Präsidentenbeleidigung" drohe Strafverfolgung, warnt das Auswärtige Amt.

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sagte der "Welt": "Die Verurteilung von Deniz Yücel zeigt vor allem eins: Die Türkei wendet sich von den gemeinsamen demokratischen Werten ab." Claudia Roth und Cem Özdemir, Grüne, schrieben: "Das unfassbare Urteil gegen Deniz Yücel wurde allem Anschein nach im Präsidentenpalast getroffen und ist zugleich ein Urteil gegen Pressefreiheit und Menschenrechte in der ganzen Türkei."

Ressort: Ausland

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