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Lebensmittel

Ein Belgier sammelt Sauerteig-Kulturen aus der ganzen Welt

  • Birgit Reichert (dpa)

  • Di, 13. Juni 2023, 12:28 Uhr
    Panorama

     

Der Belgier Karl De Smedt hat eine einzigartige Sammlung mit 144 Sauerteigen aus 28 Ländern aufgebaut. Sie dient Forschungszwecken, aber auch als Back-up für Bäckereien hat sie sich schon bewiesen.

Karl De Smedt ist der Herr der alten Sauerteige Foto: Birgit Reichert (dpa)
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Der eine ist weißlich-flüssig, der andere gelblich-klumpig, ein dritter ist hellbraun und mit Blasen durchsetzt. In Einmachgläsern stehen sie hinter Glastüren in Kühlschränken. 144 Sauerteige aus 28 Ländern hat Karl De Smedt, der gelernter Konditor und Chocolatier ist, im belgischen St. Vith bisher gesammelt. Sie sind teils Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte alt. Sauerteig muss nur gefüttert werden, um am Leben zu bleiben und sich wieder zu vermehren. Und jederzeit kann man einen Teil entnehmen, um einen neuen Teig anzusetzen und für neues Backwerk zu nutzen.

"Wir erforschen die Biodiversität der Sauerteige." Karl De Smedt
"Jeder Sauerteig ist einzigartig", sagt De Smedt. Das liegt an den Ursprungszutaten, aber vor allem an den Mikroorganismen, die sich in den Sauerteigen entwickelt haben. "Nummer 100 ist ein japanischer Sauerteig von 1875", sagt De Smedt und holt das Glas heraus. "Er ist ziemlich flüssig. Er ist der einzige aus gekochtem Reis." Wie alle Teige, die es in den erwählten Kreis in der Bibliothek geschafft haben, hat er eine besondere Geschichte. "Er stammt von einem der letzten Samurai in Japan", erzählt De Smedt. Kimura-san hatte damals quasi umgeschult und sich die Kunst des Backens von einem Westler erklären lassen. "Es gab damals keinen Zugang zu Hefe, also machte er Sauerteig-Brot und er fand den richtigen Geschmack." Noch heute werde in Japan mit dem Teig gebacken.

Die Tradition des Sauerteigs ist laut De Smedt wohl älter als 10.000 Jahre. "Woher es kommt, wissen wir nicht." Sicher wisse man aber aus Aufzeichnungen, dass die alten Ägypter Sauerteigbrot hatten. Zu De Smedts Sammlung gehören Sauerteige aus Italien, Griechenland, China, Australien, Dubai, Singapur, der Türkei, der Schweiz und Brasilien. Aus Deutschland sind fünf Exemplare dabei, darunter einer aus Stavenhagen (Mecklenburg-Vorpommern) von 1941. "Wir erforschen die Biodiversität der Sauerteige. Es werden nur Teige aufgenommen, die durch spontane Fermentierung entstanden sind", sagt De Smedt. Also keine auf Grundlage einer kommerziellen Starterkultur.

De Smedt bekommt jeden Tag Anfragen von Teig-Besitzern

In den Kühlschränken steht seit November 2022 auch der Sauerteig "Winfried Schmitz" aus Daleiden in der Eifel. Er hat die Nummer 138. Der Sauerteig sei so alt wie seine Bäckerei – also um die 125 Jahre, sagt der Spender Manuel Schmitz. "Wir machen heute noch unser Brot damit", sagt der 42-Jährige. Dass der Eifeler Teig in die Bibliothek aufgenommen wurde, sei "eine Ehre", sagt Schmitz. Es sei aber auch eine Absicherung für den Familienbetrieb. Wenn wegen einer Umweltkatastrophe oder eines anderen Unglücks die Backstube mal verschwinden sollte, könne man auf den Teig in St. Vith zurückgreifen.

"Wir hatten schon 43 Sauerteige. Da kam uns die Idee, eine Bibliothek zu gründen, auch um die Teige zu bewahren." Karl De Smedt
Mit der Bibliothek los ging es vor fast zehn Jahren im Oktober 2013. Für die Backmittelfirma Puratos hatte De Smedt eine Studie über die Biodiversität von italienischen Sauerteigen gemacht. Dann kam ein Hilferuf von einem Bäcker aus dem Libanon. Er hatte Angst, dass sein Sauerteig, den er aus fermentierten Kichererbsen machte, verlorengehen könnte. Seine Söhne wollten auf das Backen mit Hefe umsteigen.

"Wir hatten schon 43 Sauerteige. Da kam uns die Idee, eine Bibliothek zu gründen, auch um die Teige zu bewahren", sagt De Smedt. Einmal habe sich das schon bewährt. 2021 hatte ein Bäcker aus Kopenhagen in Dänemark angerufen, weil aus Versehen der ganze Mutter-Sauerteig zum Backen benutzt worden war. "Ich schickte ihm dann einen Teil von seinem Teig. Er war sehr glücklich."

Jeden Tag erreichen De Smedt Anfragen von Teig-Besitzern, die einen Platz in den zwölf Kühlschränken in St. Vith bekommen möchten. "Wir nehmen jedes Jahr 20 bis 25 neue auf." Ganz frisch dabei sind zwei aus einem Kloster auf dem Berg Athos in Griechenland – darunter einer aus Mehl, der nach einer 1000 Jahre alten Tradition hergestellt werde. "Das ist ein besonderer Teig, weil der Ort isoliert ist."

Die Bakterienkultur wird wissenschaftlich untersucht

Die Vielfalt der Sauerteige fasziniert De Smedt immer wieder. Es gebe griechische Teige, die mit basilikumgetränktem Wasser angesetzt worden seien. Einer aus Mexiko werde mit Bier, Eiern und Limetten gemacht. Ein Schweizer Rezept startete mit einem geriebenen Apfel. Und bei Nummer 108 aus Italien sei Wasser mit getrocknetem Kuhdung benutzt worden. In Kuhdung seien viele Mikroorganismen, die im gefilterten Wasser dazu beitragen, dass der Teig verdaulicher sei.



Bei Neuzugängen von Teigen wird zuerst die Bakterienkultur an der Universität Bozen in Italien analysiert. "Wir konnten schon 1500 verschiedene Stämme identifizieren", sagt der Experte. Diese würden bei minus 80 Grad sicher gelagert.

Die Sauerteige in seinen Kühlschränken werden alle zwei Monate gefüttert. De Smedt und sein Team entnehmen aus jedem Glas 20 Gramm und frischen den Teig in drei Stufen mit Mehl und Wasser auf – bis es wieder 500 Gramm sind.

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Ressort: Panorama

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 13. Juni 2023: PDF-Version herunterladen

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