Kindheit im Zweiten Weltkrieg

"Der Himmel war taghell erleuchtet"

Am 1. September 1939 begann mit dem Überfall der Deutschen auf Polen der Zweite Weltkrieg. Viele Soldaten starben im Verlauf dieses bis 1945 gehenden Krieges. Doch wie ging es denen, die daheimgeblieben waren?  

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Feldküche zur Verpflegung der Soldaten. Foto: privat
Wie haben diese Menschen den Krieg erlebt? Johanna Gilsbach hat ihre Oma, eine Zeitzeugin, die namentlich nicht erwähnt werden möchte, über ihre vom Zweiten Weltkrieg geprägte Kindheit befragt.

Zischup: Wie alt warst du bei Kriegsbeginn?

Zeitzeugin: Bei Kriegsbeginn war ich sechs Jahre alt, also zwölf bei Kriegsende.

Zischup: Wann hast du zum ersten Mal vom Krieg gehört?

Zeitzeugin: Zum ersten Mal vom Krieg gehört habe ich tatsächlich am 1. September 1939. Mein Vater wurde als Soldat eingezogen, hatte eine Uniform an und musste nach Schmitt in die Eifel, später dann in den Frankreichfeldzug.

Zischup: Kannst du mir Beispiele aus dem Kriegsalltag nennen?

Zeitzeugin: Mein Vater war also als Soldat im Einsatz und meine Mutter, meine Tante und wir drei Kinder waren nun allein auf unserem Bauernhof und versuchten, ihn, so gut es ging, weiter zu bewirtschaften. 1939/40 bekamen wir die erste, sogenannte Einquartierung, das heißt, sämtliche Zimmer im ersten Stock mussten deutschen Soldaten aus Westfalen, später aus Bayern zur Verfügung gestellt werden. Ein Zimmer wurde zur Schreibstube. Außerdem wurde in unserer Scheune ein Pferdelazarett eingerichtet. An den Stabsarzt, also den Tierarzt, kann ich mich noch gut erinnern, und zwar wegen seiner Stiefel, für die er eigens einen Knecht – wie man damals sagte – hatte, um sie auszuziehen. Kochen musste meine Mutter nicht für die Soldaten, denn auf dem Hof wurde eine Feldküche aufgebaut, die wir Kinder in den ersten Kriegsjahren auch neugierig ab und zu sogar getestet haben.

Zischup: Was gab es für Unterschiede zwischen dem Leben auf dem Land und in der Stadt?

Zeitzeugin: In der ersten Kriegsphase blieben wir hier auf dem Land von Bomben verschont. Die Ziele der Fliegerangriffe waren zwecks Industrievernichtung in unserer Gegend eher Städte wie Mönchengladbach, Rheydt sowie das Ruhrgebiet. Trotzdem gab es auch hier immer wieder Alarm beim Anflug. Später fielen dann die Bomben auch auf die ländlichen Gebiete, und bei jedem Alarm sind wir in ein Erdloch hinter unserem Haus gekrochen. In einer Bombennacht war das Loch, da wir in einem Quellgebiet wohnten, voller Wasser, so dass wir unter einem Baum Schutz suchen mussten. Im nächsten Dorf waren Scheunen getroffen worden, die lichterloh brannten. Der Himmel war taghell erleuchtet und die Erinnerung daran kommt bei heutigen Feuerwerken immer wieder zurück, die ich deshalb auch ungern sehe. Mein Vater kam später verwundet aus Frankreich zurück und organisierte den Bau eines Bunkers für den Hof und das Dorf.

Zischup: Welchen Einfluss hatte der Krieg auf deine Schulzeit?

Zeitzeugin: Schulunterricht fand bis Herbst 1944 statt. 1943 war ich von der Dorfschule zum Gymnasium der Kreisstadt gewechselt. Dort waren mehrere streng nationalsozialistisch eingestellte Lehrer und auch als Kind spürte man schnell, dass man häusliche politische Gespräche nicht in der Schule wiedergeben sollte. Während dieser Zeit gab es Alarme auch während des Unterrichts, bei denen wir – wie wir es vorher geübt hatten – bis zur Entwarnung in den Keller der Schule mussten. Als die Tagesalarme 1944 zunahmen, musste ich in der Quinta, heute sechste Klasse, die Schule für die Dauer des Krieges wieder verlassen. Zuhause halfen wir Kinder dann – soweit es trotz Fliegergefahr möglich war – weiter bei der Feld- und Gartenarbeit. Obwohl das jetzt nichts mit der Frage nach der Schule zu tun hat, erinnere ich mich in dem Zusammenhang an ein kleines, ganz leise fliegendes Flugzeug mit englischer Kreis-Markierung, das während unserer Mirabellenernte Flugblätter mit dem Aufruf zur Kapitulation abwarf.

Zischup: Wie hast du das Ende des Krieges erlebt?

Zeitzeugin: Wir haben Tag und Nacht im Bunker gelebt. Die Front der Amerikaner rückte von Westen her näher und unser Haus sowie der Bunker waren voller Flüchtlinge aus dem Grenzgebiet zu den Niederlanden. Es ist mir heute nicht mehr klar, wie die Versorgung all dieser Menschen vonstattenging. Als dann ein erster amerikanischer Panzer im Nachbardorf gesichtet wurde, ist ein älterer Mann mit einem weißen Betttuch als Fahne auf die Straße gerannt. Alle amerikanischen Soldaten trugen Maschinengewehre. Einer von ihnen wurde am Bunkereingang positioniert und ließ jeden einzeln die Treppe hoch- und herauskommen. Meine damals siebenjährige Schwester war krank, sie sollte mit meiner Mutter im Bunker zurückbleiben, was in mir die große Angst auslöste, die beiden nie wiederzusehen. Damals grassierte Diphtherie und aus Angst vor Ansteckung isolierten die Amerikaner unklare Krankheitsfälle. Die Dorfbewohner mussten auf einem Feld warten, bis alle Häuser nach Waffen und NSDAP-Zeichen durchsucht waren, dann durften sie wieder zurück. Die amerikanischen Soldaten benahmen sich sehr ordentlich, uns Kindern schenkten sie Kaugummis, die wir uns aber aus Angst vor Vergiftung nicht trauten zu kauen, so viel hatte die Propaganda bewirkt. Wie wir später erfuhren, war sogar auf Anordnung der Amerikaner ein Pastor zu meiner kranken Schwester geschickt worden. Wir waren sehr froh, dass der Krieg bei uns vorbei war, und umso entsetzter hörten wir im Radio von dem noch andauernden Leid im Osten.

Zischup: Wie stehst du zum Vergleich der damaligen mit der heutigen Situation?

Zeitzeugin: Krieg brachte und bringt jetzt wieder Angst, Not, Hunger und Flucht. Die zerstörten Städte in der Ukraine sehen aus wie die deutschen Städte 1945, die Menschen hausen in den U-Bahnschächten wie wir damals in Bunkern und Kellern. Der mögliche Plan Putins, Phosphorbomben auf die Ukraine zu werfen, erinnert mich nochmal verstärkt an eine Nacht auf unserem Hof, in der Phosphorbomben das Haus trafen und unsere Tante unsere Mäntel in die Pferdetränke warf, um uns dann damit zu schützen. Hier im Westen waren die Besatzer Retter und Befreier, in der Ukraine kann davon nicht die Rede sein. Die Tapferkeit, der Durchhaltewillen der Ukrainer beeindrucken mich sehr.

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