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Der Wandel hat begonnen

  • Mo, 13. März 2023
    Kultur

Golineh Atai las in Freiburg aus ihrem Buch über mutige iranische Frauen. Und äußerte sich kritisch zur Verbindung Freiburg-Isfahan.

Golineh Atai am Freitagabend in Freiburg.  | Foto: Rita Eggstein
Golineh Atai am Freitagabend in Freiburg. Foto: Rita Eggstein
Bei ihrer Ankunft in Freiburg ist die Journalistin Golineh Atai unruhig und aufgewühlt. Eine ihrer Kontaktpersonen im Iran sei an einem europäischen Flughafen festgenommen worden. Ohne ersichtlichen Grund. "Als Iranerin ist man nirgendwo sicher" – als sie diesen Satz ausspricht, brodelt es merklich in ihr, die sich selbst als hochemotional bezeichnet. Wie sie bei der Arbeit mit ihren oftmals schwierigen und schmerzhaften Themen umgeht? "Meine Berichterstattung ist meine Methode, zur Ruhe zu kommen", sagt sie im Gespräch vor ihrem Auftritt im Kunstraum Delphi Space. Und tatsächlich ist es gerade Atais Unaufgeregtheit und Ausgewogenheit, für die viele ihre journalistische Arbeit besonders schätzen.

An diesem Freitagabend liest die 48-jährige auf Einladung der Grünen-Stadträtinnen Annabelle Kalckreuth und Anke Wiedemann aus ihrem Buch "Iran – Die Freiheit ist weiblich". Nach Erscheinen Ende 2021 war Atai zunächst entsetzt, wie wenige Deutsche der Situation in ihrem Geburtsland Beachtung schenkten. Doch seit Jina Mahsa Aminis Tod im September 2022 und den darauf folgen-den Massenprotesten schaut alle Welt gebannt auf den Iran.

Das zeigt sich auch im Delphi Space. Rund 200 Besucherinnen und Besucher aus den verschiedensten gesellschaftlichen Sphären interessieren sich für Atais Lesung: eine Ethik-Schulklasse des DFG, der Islamwissenschaftler Tim Epkenhans, ältere Ehepaare, Lokalpolitiker und Studierende. Als Leiterin des ZDF-Studios in Kairo reiste Atai jüngst in die türkischen und syrischen Erdbebengebiete, zuvor war sie anlässlich der Katar-WM im Nahen Osten unterwegs. 2013 bis 2018 beschäftigte sie sich als ARD-Korrespondentin mit dem russischen Regime, den Maidan-Protesten und dem Ukrainekrieg. Doch natürlich ist gerade der Iran, aus dem sie mit fünf Jahren nach Deutschland kam, eine Herzensangelegenheit.

Vor diesem Hintergrund ist auch ihr Buch entstanden, welches neun iranische Frauen und ihren Kampf für Freiheit porträtiert. Emotional und doch besonnen liest und erzählt Atai ausschnittsweise einige Geschichten daraus. Fatemeh Sepehri etwa, der Witwe eines Märtyrers, wurde ihr Erbe verweigert. Daraufhin forderte sie den Rücktritt des Obersten Führers, nahm dafür Gefängnis und Folter in Kauf. Mama Schahnaz ist Mutter eines Mannes, dessen Tod das Regime abstreitet. Sie und ihre Tochter protestieren und werden bedroht und schikaniert – doch lassen sie sich nicht mundtot machen.

Nach der Lesung herrscht zunächst langes, überwältigtes Schweigen, bevor eine Diskussion in Gang kommt. Unter anderem geht es um die deutschlandweit einmalige Städtepartnerschaft Freiburg-Isfahan, die im Stadtrat und in der Freiburger Öffentlichkeit aktuell wieder für Kontroversen sorgt. Atai spricht sich dezidiert gegen offizielle politische Kontakte zum Iran aus. Zivilgesellschaftliche Kontakte seien sehr wichtig und wertvoll; doch "jegliche institutionalisierte Zusammenarbeit muss beendet werden". Es sei illusorisch zu denken, dass die Kommunalpolitik nicht ins Regime eingebunden sei.

Allem Leid und aller Gewalt zum Trotz schaut Atai guten Mutes in die Zukunft. Im Iran habe ein tiefgreifender Wandel bereits begonnen. Das sei ein längerer Prozess, aber es werde so offen wie noch nie von der Notwendigkeit einer Revolution gesprochen. Und auch im Ausland tue sich etwas: "In Deutschland schauen wir endlich auch in die Abgründe des Regimes, und kratzen nicht mehr nur an der Oberfläche." Ähnlich wie im Fall von Russland habe sich eine wertvolle Debatte über autoritäre Regimes, Propaganda und Expertenmeinungen in den Medien entwickelt – eine Debatte, die wir laut Atai schon viel früher gebraucht hätten.

Ressort: Kultur

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mo, 13. März 2023: PDF-Version herunterladen

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