Militär
Die Bundeswehr begeht ihren 60. Geburtstag
Die Bundeswehr wird 60. Zum Geburtstag darf sie sich mit einem besonders großen Zapfenstreich am Reichstag feiern. Im nächsten Jahrzehnt muss sie sich auf einen gewaltigen Spagat einstellen.
Do, 12. Nov 2015, 0:00 Uhr
Deutschland
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Nach wie vor ist die Bundeswehr in Auftrag, Führungsprinzip und Selbstverständnis geprägt vom Geist ihrer Gründerzeit: von der Abkehr von der Nazi-Zeit, vom Nie-wieder-Krieg. Nur zehn Jahre nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs wurden am 12. November 1955 in der Bonner Ermekeilkaserne die ersten hundert Bundeswehrsoldaten vereidigt. Bundeskanzler Konrad Adenauer soll die Zeremonie damals ziemlich mickerig gefunden haben, weil weder mit Pauken und Trompeten aufgespielt wurde, noch genügend Uniformen für die erste Kompanie der neuen Armee zur Verfügung standen. Aber die Schlichtheit und der Mangel an Pomp reflektierten damals die jüngeren Zeitbezüge, und sie passen auch heute noch.
Der Vernichtungskrieg der Nazis lag erst zehn Jahre zurück. Nach der Befreiung am 8. Mai 1945 war es ein zentrales Ziel der Alliierten gewesen, Deutschland zu entmilitarisieren. Mit dem Koreakrieg (1950) erwachte in den USA, Großbritannien und Frankreich aber die Sorge, dass sowjetischer Expansionsdrang nicht nur Asien, sondern auch Europa treffen könnte. Nur aus dieser bedrohlichen Erfahrung heraus lassen sich die Gründung der Nato und die – von den Westdeutschen mehrheitlich abgelehnte – Wiederbewaffnung erklären. Weil es für die Nato in Europa darum ging, "die Amerikaner drinnen, die Russen draußen und die Deutschen unten zu halten", so ein Bonmot des ersten Nato-Generalsekretärs, wurde die Bundeswehr vielleicht als einzige Armee der Welt von vornherein als Teil eines Bündnisses konzipiert, und nicht als Streitkraft, die im Ernstfall im Alleingang Krieg führen könnte.
Es sollte sich im Lauf der Jahrzehnte als Pfund erweisen, dass sie von Anfang an auf multilaterales militärisches Handeln festgelegt, auf europäische statt nationale Interessen verpflichtet war. Das Leitbild vom Soldaten als Staatsbürger in Uniform sorgte für eine fundamentale Demokratisierung der Bundeswehr, die weit über die institutionelle Aufteilung militärischer Macht hinaus wirkte und wirkt. Hurra-Militarismus ist in dieser Republik nicht denkbar – dafür ist neben dem Primat der Politik und dem Parlamentsvorbehalt auch das Wesen der Bundeswehr ein Garant.
Zu den großen Glücksmomenten der Bundeswehr-Geschichte zählt gewiss, dass sich diese Grundkonzeption über die Jahre hinweg als tragfähig erwies. Sie taugte im Kalten Krieg, als die deutschen Soldaten ihren Beitrag zur Abschreckung leisteten und allein der Verteidigung des Bündnisgebiets verpflichtet waren, ebenso wie in den Jahren nach der Wiedervereinigung, als die Nationale Volksarmee in die Bundeswehr integriert wurde, und die Hoffnung auf eine "Friedensdividende" am stärksten war. Und sie bewährte sich in der Zeit danach, als Auslandseinsätze – vor allem in Afghanistan – als wichtigster Truppenbeitrag zur Sicherheit Deutschlands galten.
Im Jahr ihres sechzigsten Bestehens stehen das Land und seine Armee wieder vor einer Zeitenwende. Russland ist vom Partner in Sicherheitsfragen wieder zum potenziellen Gegner geworden. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) erschüttert die südlichen Nachbarländer des Bündnisses. Und noch nie haben Kriege und Krisen irgendwo auf dem Globus die innere Stabilität Europas und Deutschlands so unmittelbar erschüttert, wie es in der Flüchtlingskrise der Fall ist.
Einige Illusionen über die Reichweite und Durchschlagskraft von Militäreinsätzen, hat die westliche Welt in den vergangenen 15 Jahren verloren. Die ernüchternde Bilanz der Amerikaner im Irak und die bescheidenen Ergebnisse der Stabilisierungsmission in Afghanistan (Isaf) ließen der "Enttabuisierung des Militärischen", die Gerhard Schröder nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ausgerufen hatte, große Ernüchterung folgen. Schon vor dem Ende von Isaf galt der Einsatz am Hindukusch eher als Abschreckung denn als Blaupause für künftige Militärmissionen anderswo.
In Ansätzen ist inzwischen zu erkennen, wie die Regierung Merkel gedenkt, "mehr Verantwortung in der Welt" zu übernehmen, wie es Bundespräsident Joachim Gauck vor zwei Jahren gefordert hat. Der "vernetzte Ansatz", der diplomatische, militärische und entwicklungspolitische Mittel verbindet, wird demnach konzeptionell weiter gespannt: Griechenlandhilfen dienen der Stabilität in Europa; die Aufnahme von Flüchtlingen entschärft das Elend in und am Rand von Krisengebieten. Mit Waffenlieferungen an die Kurden im Nordirak, medizinischer Hilfe von Soldaten in Ebola-Gebieten, der Seenotrettung im Mittelmeer, der Unterbringung von Flüchtlingen in heimischen Kasernen wird der Instrumentenkasten militärischer Beiträge neu genutzt.
Zwar betont Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) gebetsmühlenhaft, hoheitliche Aufgaben könne die Bundeswehr in der Flüchtlingskrise nicht übernehmen. Sie nutzt jedoch Spielräume, die viele vorher gar nicht gesehen haben. Die Grenze zwischen innerer und äußerer Sicherheit verwischt. Viel spricht dafür, dass dies der Anfang einer Entwicklung ist. Am Geburtstag kann die Truppe sicher sein: Ruhig wird das siebte Jahrzehnt nicht.
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