Interview
Flüchtlingsforscher Knaus: "Wir sehen wachsende Gewaltbereitschaft auch von EU-Staaten"
Gerald Knaus ist einer der führenden Migrationsexperten des deutschsprachigen Raums. Sein Rückblick auf die europäische Flüchtlingspolitik des zu Ende gehenden Jahres fällt ernüchternd aus.
Do, 29. Dez 2022, 16:45 Uhr
Ausland

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Flüchtlinge und Migranten warten auf einem überfüllten Schlauchboot im Mittelmeer darauf, gerettet zu werden. Foto: Olmo CalvoKnaus: 2022 ist das Jahr einer humanitären Großtat angesichts der größten Fluchtbewegung in Europa seit den 1940er-Jahren, der Flucht aus der Ukraine. Es ist gleichzeitig ein Jahr, in dem die Europäische Union an ihren Außengrenzen dramatisch dabei gescheitert ist, ihre Werte und Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen. Wir sehen enorme Empathie angesichts der Millionen Menschen, die aus der Ukraine fliehen müssen und regulär kommen. Und wir sehen angesichts einer zahlenmäßig sehr viel kleineren irregulären Migration Ängste, wachsende Gewaltbereitschaft auch von EU-Staaten und ein Gefühl, dass nur radikale Maßnahmen irreguläre Migration in die EU stoppen können. Es fehlt auch nicht an Wissen und Berichten über diese Gewalt, Zurückweisungen an der Grenze (Pushbacks) oder die Folgen für Migranten wegen unserer Kooperation mit Libyen. Was fehlt, ist die Überzeugung, dass und wie es möglich ist, die natürliche Empathie der meisten mit dem Wunsch nach Kontrolle von Mehrheiten durch "humane Kontrolle" zu verbinden.
Gerald Knaus, 52, hat Philosophie, Politik und ...