Die letzten Tage: Die Zeit vor dem Tod
Das Thema Tod beschäftigt Jonatha Lickert. Er hat miterlebt, wie seine Oma gestorben ist. Das hat ihn nicht mehr losgelassen. Außerdem arbeitet sein Vater im Hospiz, ein Haus in dem sterbende Menschen begleitet werden.
Jonathan Lickert, Klasse 8 & Integrative Waldorfschule Emmendingen
Fr, 25. Nov 2011, 12:39 Uhr
Schülertexte
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Der Weg bis hin zum Tod eines geliebten Menschen ist für Angehörige oft nicht leicht. Sie könnten sich fragen, wie sie am besten helfen können, wenn schlimme Schmerzen vorherrschen, oder was sie im Moment des Sterbens tun sollen? Die Angehörigen können manches Mal an ihre Grenze des für sie ertragbaren kommen. Denn der Tod bringt viele Gefühle zu Tage, wie Trauer, Angst, Zweifel, Wut und sogar Ohnmacht und Reue. In diese Zeit lebt man wie in einer anderen Welt.
Die Endgültigkeit des Todes an sich ist mir persönlich unfassbar gewesen und geblieben, einfach nicht begreiflich, wohin die Seele denn gehen soll, wenn der Körper gestorben ist … Darum denke ich, dass es wichtig ist, Hilfe zu bekommen und zu suchen. Wie soll ich denn Abschied nehmen, wie lasse ich los? Meine Oma sagte zu uns: "Bitte haltet mich nicht mehr fest, ich will jetzt gehen …"
Mir persönlich hat auch geholfen, dass ich in unserer Kirche als Ministrant arbeite, bei vielen Beerdigungen Menschen trauern sehe und sie zum Friedhof begleite, wo sozusagen schon alles vorbei ist. Oder fängt es da erst an? Ich gehe oft nicht freiwillig in die Kirche und doch bin ich hinterher immer froher als vorher, denn ich kann ehrlich mitfühlen, wie sich diese Trauergäste fühlen müssen. Das ist gut.
Ein Mensch, der Abschied von dieser Welt zu nehmen hat, will oft noch unerledigte Dinge seines Lebens aufarbeiten. Das heißt vielleicht auch, sich zu entschuldigen, wenn man jemanden verletzt hat. Oder ein Vater sehnt sich noch danach, seinen Sohn wiederzusehen, mit dem er sich vor 30 Jahren zerstritten hatte, und er kann erst in Frieden sterben, wenn der Sohn doch noch kommt.
In dieser Zeit verfügt der Sterbende über immer weniger körperliche Kraft. Er will immer mehr in Ruhe gelassen werden und zieht sich ganz in sich, in sein Selbst zurück. Er interessiert sich nicht mehr für Fernsehen, er möchte vielleicht auch nicht, dass Bekannte oder Nachbarn ihn besuchen. Aber es gibt auch Menschen, die ganz außer sich geraten und schlimmste Ängste durchmachen, sie wollen noch nicht sterben.
Mancher Sterbende hält im Halbschlaf oder im Traum Rückblick auf sein Leben. Manche machen das ganz mit sich selbst aus, andere brauchen jemand, um sich auszusprechen. Manchmal will der Sterbende eine sanfte Berührung, manchmal möchte er es nicht. Durch Essen führen wir unserem Körper Energie zu, um zu leben. Wenn der Körper stirbt, ist es normal, dass er nichts zu essen möchte. Nichts schmeckt mehr. Zuerst schwerverdauliche Speisen und dann langsam auch die die leichter verdaulichen sind. Der Kranke möchte nicht mehr essen, sondern viel mehr trinken. Auch wenn das Schlucken nicht mehr möglich sein sollte, gibt es Wege, ihm den Durst zu lindern.
Oft fehlt dem Menschen die Orientierung. Er kann nur schwer aus seinem Schlaf geweckt werden. Er verliert jedes Zeitgefühl, erkennt Leute nicht mehr. Er sieht oder spricht vielleicht zu Verstorbenen. Er kann sehr unruhig werden. Es kann sein, dass er die Leintücher herauszieht oder ziellos mit Armen und Beinen durch die Luft fährt.
Ein paar Tage vor dem Tod kann es nochmal ein letztes Aufblühen geben. Dies ist ein wunderbarer Zeitpunkt, nochmals einen echten Austausch zu halten und alles zu sagen, was einem noch wichtig ist. Denn der Sterbende ist ganz wach und klar, nimmt Anteil am Leben. Diese folgenden körperlichen Anzeichen zeigen, dass er wieder schwächer wird: Der Blutdruck sinkt, der Puls verändert sich, er braucht weniger Schmerzmittel.
Manche Menschen fallen in diesen letzten Tagen in das Koma. Jedoch hören sie alles, was um sie herum gesagt wird. Kurz vor dem Tod kann man erkennen, dass er bald abscheiden wird: Die Augen werden glasig, die Körperunterseite färbt sich dunkel, der Puls wird noch schwächer. Der Tod tritt ein, wenn der Herzschlag und der Atem aufhören.
Wenn ich jetzt über all das nachdenke, was ich geschrieben habe, dann hätte ich mir gewünscht, mehr meiner Oma zu helfen, wenn sie mich gebraucht hätte. Und ich hätte ihr öfter sagen sollen, wie gern ich sie hatte. Es ging alles so schnell für mich. Aber trotz dieser Gedanken spüre ich, dass es nie zu spät ist! Heute, viereinhalb Jahren nach ihrem Tod, kann ich ihr von ganzem Herzen sagen: "Liebste Großmutter, ich hab dich lieb." Und ich kann ihre Antwort hören: "Ich dich auch!"
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