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Ein Jahr nach der Flucht aus der Ukraine

  • Marie Graf, Klasse 9b, Albert-Schweitzer-Gymnasium (Gundelfingen)

  • Fr, 28. April 2023
    Schülertexte

Im April 2022 flüchtete die Ukrainerin Yevheniia Barabash mit ihren beiden Söhnen von Krasnohrad nach Deutschland. Wie sieht ihr Leben ein Jahr nach der Flucht aus?.

Die Familie Barabash: Illia, Yevheniia und Denys.  | Foto: Privat
Die Familie Barabash: Illia, Yevheniia und Denys. Foto: Privat
Die heute 34-jährige Yevheniia Barabash flüchtete vergangenes Jahr im April mit ihren beiden Söhnen Illia und Denys von Krasnohrad, etwa 100 Kilometer südlich von Charkiw in der Ukraine, mit dem Zug über Kiew nach Budapest und von dort aus gelangte sie nach Wien und schließlich nach Frankfurt am Main. Dort holte meine Familie sie nachts ab und brachte sie zu uns nach Gundelfingen.

Yevheniia Barabash hatte gerade ihren Wocheneinkauf erledigt, stand in ihrer Küche und kochte für die Familie das Mittagessen. Plötzlich hörte sie ein Donnern, das durch Bombeneinschläge verursacht wurde. Sie packte sofort das Wichtigste für ihre Kinder und sich zusammen. Yevheniia verabschiedete sich von ihrem Mann und ist dann in den nächstmöglichen Zug eingestiegen und verließ sofort ihr Heimatland, um in Sicherheit zu sein. Zunächst floh sie mit ihren Söhnen Denys und Illia nach Budapest. Ihre einzige Motivation für sich selbst und ihre Kinder hieß: Überleben!

Yevheniia Barabash wurde am 14. Dezember 1989 in Krasnohrad in der Ukraine geboren. Sie arbeitete in einem pharmazeutischen Unternehmen und war dort für die Qualitätskontrolle zuständig. Sie ist verheiratet, ihr Mann heißt Alexander. Mit ihm hat Yevheniia zwei Söhne, Denys und Illia. Ich kenne sie als freundliche und lebenslustige Person, die gerne kocht, spielt, Fahrrad fährt, Ausflüge macht und Sport treibt. Außerdem ist sie sehr motiviert beim Lernen der deutschen Sprache. Inzwischen hat sie einen Job als Aushilfe in einem Restaurant gefunden. Trotz des schlimmen Krieges geht es den beiden Kindern und der Mutter inzwischen gut.

Anfangs hatten sie noch sehr viel Angst und sie fühlten sich auch lange sehr unsicher: Jedes Mal, wenn ein Flugzeug oder Hubschrauber vorbeigeflogen ist, bekamen sie sehr viel Angst. Dies galt insbesondere auch bei Gewitter, was bei dem jüngsten Kind, Illia, Weinkrämpfe auslöste. Yevheniia war während der gesamten Flucht auf sich alleine gestellt und hatte zusätzlich die Verantwortung für ihre beiden Kinder. Oft mussten sie im Zug schlafen oder waren in Flüchtlingslagern untergebracht. Mehrere Wochen verbrachten sie in Budapest, da Yevheniia dort sehr krank wurde und an eine Weiterreise nicht zu denken war. Die Flucht abzüglich der Krankheitsphase dauerte ungefähr zwei Wochen. Anfangs lebten sie bei uns im Haus und wir haben alle zusammen versucht, ein gemeinsames Familienleben aufzubauen. Yevheniia hat uns oft osteuropäische Spezialitäten gekocht, wie zum Beispiel "Borschtsch". Inzwischen wohnen Yevheniia und ihre Kinder in einem eigenen, von der Gemeinde angemieteten Wohnhaus, das sie sich mit zwei weiteren Müttern und deren Kindern aus der Ukraine teilen.

Yevheniia Ehemann Alexander Barabash ist weiterhin in der Ukraine im Krieg. Er hat insofern Glück, als dass er nicht als Soldat an der Front kämpft, sondern den Auftrag bekam, verwundete Soldaten ins Krankenhaus zu fahren. Diese Tätigkeit ist zwar ebenfalls mit vielen Gefahren verbunden, aber nicht unmittelbar lebensgefährlich. Yevheniia erzählte uns eines Tages, dass die vier besten Freunde ihres Mannes zum Kämpfen an die Front eingezogen wurden und keiner von ihnen mehr zurückkehrte. Alexander telefoniert regelmäßig mit seiner Frau und seinen Kindern.

Der Alltag der Familie Barabash ist gut geregelt und organisiert. Vormittags geht Denys in die Schule und Illia in den Kindergarten, Yevheniia geht zum Deutschkurs. Die Arbeitszeiten am Nachmittag und Abend teilen sich die drei Mütter immer so auf, dass immer eine Mutter zu Hause ist, um auf die Jungs aufzupassen. Um hier in Deutschland zurechtzukommen und um sich verständigen zu können, ist es wichtig, dass die ukrainische Familie die deutsche Sprache lernt. Nicht nur die Kinder müssen lernen, auch die Mutter. Inzwischen können alle drei gut Deutsch sprechen.

Ich kenne Yevheniia und ihre Jungs jetzt schon fast ein ganzes Jahr, sie sind mir ans Herz gewachsen und wir haben auch schon viel zusammen erlebt. Ich habe mich auch sehr gerne um die Jungs gekümmert und viel mit ihnen gespielt. Immer wieder klingeln sie an unserer Türe und möchten mit mir spielen. Wir sehen uns regelmäßig, da wir uns gegenseitig zu den Geburtstagen einladen.

Natürlich gab es ab und an ein paar Probleme: Der bürokratische Aufwand für die Familie Barabash war groß. Beispielsweise um den Aufenthaltstitel, die Fiktionsbescheinigung, finanzielle Unterstützung, eine Krankenversicherung und vieles mehr zu bekommen. Immer wieder kam es aufgrund der sprachlichen Barriere zu Missverständnissen, die beispielsweise zeitweise dazu führten, dass Yevheniias Mitgliedschaft seitens ihrer Krankenkasse gekündigt wurde. Sie mussten sehr viele Formulare unterschreiben und Nachweise bringen. Yevheniia und ihre Söhne haben zwar keine deutsche Staatsbürgerschaft, dafür haben sie einen befristeten Aufenthaltstitel, der sie dazu berechtigt, für die Dauer des Krieges in Deutschland zu leben. Ich hoffe sehr, dass der Krieg in der Ukraine bald endet und Yevheniia, Denys und Illia wieder ihren Mann und Vater sehen können. Dann wird sich entscheiden, ob sie zurück in die Ukraine gehen oder ob sie sich in Deutschland ein neues Leben aufbauen möchten. Ich bewundere Yevheniia sehr für ihr Durchhaltevermögen und ihre Stärke, mit der sie die vergangenen Erlebnisse bewältigt hat und es nun schafft, in einem völlig fremden Land in einer anderen Gesellschaft zurechtzukommen. Sie ist ein sehr positiv denkender und lebensfroher Mensch. Ich wünsche mir sehr, dass ihr das Schicksal ab jetzt viel Gutes beschert.

Ressort: Schülertexte

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 28. April 2023: PDF-Version herunterladen

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