Ein Roboter-Café bringt die Inklusion voran

In Tokio nutzt ein Café Robotertechnik, um Menschen mit Mobilitätseinschränkung zu beschäftigen. Kurz nach seiner Eröffnung wurde das Dawn Café zum Medienphänomen – auch weil der Service einmalig menschlich ist.  

Zu den Kommentaren
Mail

Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen

Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.

Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.

Akzeptieren
Mehr Informationen
Der Kaffee wird von einem Roboter gebr...er Ferne von Menschen mit Behinderung.  | Foto: Felix Lill
Der Kaffee wird von einem Roboter gebracht. Gesteuert wird dieser aus der Ferne von Menschen mit Behinderung. Foto: Felix Lill
"Hallo, wie geht es Ihnen?", fragt der Roboter, kurz nachdem sich die Gäste an ihren Platz gesetzt haben. "Mein Name ist Chifuyu", fügt er hinzu. "Darf es etwas zu trinken sein?" Während die Augen dieses weißen Humanoiden rosa leuchten, ist der Name auf einem digitalen Namensschild auf Brusthöhe zu lesen. Und dass Chifuyus Stimme so menschlich klingt, ist kein trügender Eindruck – sie ist ein Mensch.

Was geht hier vor sich? Wer hat hier die Kontrolle? Im Dawn Café, einem vor zwei Jahren gegründeten Café in Tokio, stellen sich diese Fragen kaum, dass man Platz genommen hat. Physisch serviert werden die Getränke von einem Roboter. Aber autonom sind die brusthohen Konstruktionen, die sich über am Boden angebrachte Sensorschienen fortbewegen, kaum. Vielmehr werden sie ferngesteuert. Dieser weiße Humanoid – übrigens mit blauer Krawatte ausgestattet – bringt die Bestellung auf Kommando von Chifuyu an den Tisch.

"Hier kommt ihr schwarzer Kaffee!", sagt der Roboter, oder besser: Chifuyu. Und sie erklärt noch, dass sie zuhause sitzt, während sie diesen Roboter steuert: "Das mache ich alles per Mausklick." Die junge Frau wohnt in einem anderen Viertel von Tokio. Sie sitze im Rollstuhl, erzählt sie durch das Mikrofon des Roboters. Vor zehn Jahren habe man bei ihr multiple Sklerose diagnostiziert. Und aufgrund dieser Mobilitätseinschränkung könne sie kaum zur Arbeit kommen. "Alle, die hier arbeiten, haben ähnliche Herausforderungen. Aber wir lieben diesen Job. Er ist so persönlich!"

Wohl aus diesem Grund ist das Dawn Café, ein mit warmem Licht und vielen Pflanzen ausgestattetes Etablissement voller herumfahrender Roboter, binnen kurzer Zeit zu einer Institution der Tokioter Gastroszene geworden. Man wird nicht nur auf menschliche Weise von einem Roboter bedient, sondern kommt auch mal mit den Bedienungen ins Gespräch. Chifuyu erzählt etwa, dass sie länger nach einem Job habe suchen müssen, der zu ihren Lebensumständen gepasst habe. Und fügt hinzu: "Durch das Dawn Café bin ich nicht mehr allein, wenn mein Mann arbeitet. Ich merke jetzt, dass ich gebraucht werde."

Kentaro Yoshifuji, Mitgründer des Unternehmens Ory Laboratory, dem Hersteller der hier eingesetzten Roboter und Betreiber des Cafés, hatte genau das im Sinn: Personen mit Behinderung würden häufig als hilflos oder als Last gesehen. Hier aber seien sie Arbeitskräfte, die je nach individuellen Möglichkeiten mehrere Tage die Woche im Dienst seien und durch die Kontrolle über die Roboter zu Protagonisten würden. Rund 50 Jobs hat das Café seit seiner Öffnung geschaffen.

Das Café ist aber mehr als nur eine Initiative für Menschen mit Behinderung. Seit einigen Jahren hat in Japan der Begriff "tayousei" – Diversität – Hochkonjunktur. Jahrzehntelang hatte sich das ostasiatische Land als homogene Gesellschaft verstanden und hierin auch lange eine Stärke gesehen: Alle in Japan seien irgendwie ähnlich, hieß es, und deshalb habe man ein Zusammenleben ermöglicht, in dem die Wohlstandsunterschiede relativ niedrig und das Kriminalitätsniveau gering ist.

Doch diese Betonung von Homogenität ist auch eine Form von Tyrannei: So wird Mädchen bis heute oft vorgegeben, schlank zu sein. Und Jungen, so die gesellschaftliche Vorgabe, sollten keine langen Haare und später keinen Bart tragen. Tattoos werden weiterhin mit dem organisierten Verbrechen, der Yakuza, in Verbindung gebracht. Als Faustregel gilt: Wer dazugehören will, muss einem engen Korsett von Normen entsprechen. Wer das nicht tut, gilt als nicht normal und wird – deutlicher als in anderen offiziell liberalen Gesellschaften – ausgegrenzt.

Auch Menschen mit Behinderung leiden unter dieser Enge. Und das nicht nur, weil sie – wie in anderen Ländern auch – aufgrund ihres Handicaps am Arbeitsmarkt regelmäßig Diskriminierung erfahren. Durch ein Eugenikgesetz wurden in Japan noch zwischen 1948 und 1990 rund 16.500 Personen mit einer Behinderung, auch Kinder, sterilisiert und so an der Fortpflanzung gehindert. Heute gibt es über dieses Kapitel endlich eine größere öffentliche Debatte. Vor dem Hintergrund vieldiskutierter Klagefälle erließ das japanische Parlament 2019 ein Gesetz zur Entschädigung in Höhe von 3,2 Millionen Yen (rund 20.300 Euro) für Betroffene. Viele halten die Summe für viel zu niedrig, gemessen an dem Leid, das Betroffene ertragen mussten.

Dass so ein Gesetz überhaupt durch das Parlament ging, dürfte aber auch an einem Wertewandel liegen. Dieser ist nicht zuletzt auch – zumindest vordergründig – auf die Olympischen Spiele von Tokio zurückzuführen: Denn im Vorfeld des Mega-Events, das inmitten der Pandemie von 2020 auf den Sommer 2021 verschoben wurde, war überall dieser Werbespruch zu lesen und zu hören: "Unity in Diversity", Einheit in Vielfalt.

Das Motto bezog sich auf eine gesellschaftliche Öffnung Japans – sowohl gegenüber Menschen aus dem Ausland als auch queeren Personen und solchen mit Handicap. Und als kurz darauf die Paralympischen Spiele starteten, waren Medienberichterstattung und öffentliche Begeisterung fast euphorischer als bei den Olympischen Spielen. Anders als Olympia, das in Japan unter dem Ruf der Profitgier stand, galten die Paralympischen Spiele als inklusives Festival der Benachteiligten.

Noch nie war das Bild von Menschen mit Behinderung in Japan so positiv wie heute. Und das Dawn Café, das ebenfalls im Vorfeld der Olympischen Spiele öffnete, dürfte seinen Teil dazu beigetragen haben. Japanische und internationale Medien lobten das inklusive Element und die innovative Idee. Und beim G7-Gipfel in Hiroshima im Mai war das Dawn Café mit einem Pop-up-Store vertreten. Damals gehörte auch Chifuyu zu den Mitarbeitenden, die vor Ort mit Kunden aus aller Welt plauschten, manchmal weit über die konkrete Bestellung hinaus.

"Wenn da ein Roboter zu ihnen spricht, sind viele Personen neugierig und wollen wissen, wer ich bin", sagt Chifuyu. Aufdringlich finde sie das nicht, sie freue sich vielmehr drüber. "Das ermöglicht mir, die Leute auch mal auszufragen, oft entstehen spannende Unterhaltungen." Außerdem: Die Angestellten des Dawn Café benutzen ihre Humanoide nicht nur als Arbeitsinstrument, sondern auch als Augen. "Während ich hier zuhause am PC sitze, kann ich natürlich auch Sie sehen", sagt Chifuyu und lacht. So werde ihr nie langweilig. "Was glauben Sie, was man als Kellnerin so alles mitkriegt!"
PDF-Version herunterladen Fehler melden

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel