Bandenkriminalität
Entführung Hunderter Kinder und Gläubiger schockiert Nigeria
Entführte Mädchen, erschossene Gläubige, leere Schulen: Banden und Terrorgruppen versetzen Teile Nigerias in Angst. Selbst der Papst appelliert an die nigerianischen Behörden - doch die sind hilflos.
So, 23. Nov 2025, 19:38 Uhr
Panorama
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In Nigeria hat eine besonders schwere Welle an Massenentführungen im Nordwesten des Landes Entsetzen ausgelöst. Bewaffnete verschleppten am Freitag 303 Kinder und 12 Lehrer aus einer katholischen Grund- und Sekundarschule im Bundesstaat Niger, wie die Christliche Vereinigung von Nigeria mitteilte. Am Montag zuvor wurden 25 Mädchen aus einer staatlichen Schule im Bundesstaat Kebbi entführt. Kurz danach brachten Angreifer auf eine Kirche im Bundesstaat Kwara 38 Gläubige in ihre Gewalt. Mehrere Menschen wurden bei den Angriffen erschossen.
50 der Kinder, die aus der katholischen Schule entführt wurden, hätten zwischenzeitlich entkommen können und seien zu ihren Familien zurückgekehrt, teilte die Christliche Vereinigung Nigerias (CAN) nigerianischen Medien zufolge mit. Nach Angaben des Besitzers der Schule, eines katholischen Bischofs, sollen noch 253 Schüler in der Gewalt der Entführer sein.
Der Gouverneur des Bundesstaats Kwara verkündete, dass alle 38 aus der Kirche Entführten am Sonntag freigelassen worden seien. Er dankte den Sicherheitskräften und örtlichen Gemeinden. Die genauen Umstände der Befreiung blieben allerdings unklar.
Besondere Angst um kleine Kinder unter den Entführten
Unter den Entführten sollen sich viele kleine Kinder befinden. Medien des westafrikanischen Staats zitierten Eltern, die von Sechsjährigen sprachen. Auch unter den aus der Kirche Entführten sollen Kinder unter zehn Jahren sein. Um die Jüngsten besteht besonders große Sorge: Entführte werden unter harten Bedingungen festgehalten und kommen oft noch während laufender Verhandlungen oder Sucheinsätzen ums Leben.
Papst Leo XIV. äußerte am Sonntag vor dem traditionellen Angelus-Gebet auf dem Petersplatz in Rom seine Trauer. "Ich empfinde großen Schmerz, insbesondere für die vielen entführten Jungen und Mädchen und ihre verzweifelten Familien", sagte er. "Ich richte einen betrübten Appell an alle Beteiligten, die Geiseln unverzüglich freizulassen, und fordere die zuständigen Behörden auf, angemessene und zeitnahe Entscheidungen zu treffen, um ihre Freilassung zu gewährleisten."
Medien: Mindestens 2.500 entführte Schülerinnen und Schüler in elf Jahren
Im Norden und Zentrum des bevölkerungsreichsten Landes Afrikas mit mehr als 220 Millionen Einwohnern entführen sowohl kriminelle Banden als auch islamistische Terrorgruppen immer wieder Menschen. Im April 2014 erhielt die Entführung von 276 Schülerinnen durch die islamistische Miliz Boko Haram in Chibok im nordöstlichen Bundesstaat Borno weltweite Aufmerksamkeit. 82 der Mädchen werden bis heute vermisst.
Die nigerianische Zeitung "Vanguard" errechnete auf Basis von UN-Zahlen und eigenen Recherchen, dass in den elf Jahren nach Chibok mindestens rund weitere 2.500 Schülerinnen und Schüler entführt wurden – zuzüglich mutmaßlich einer Dunkelziffer unbekannter Fälle.
"Banditen" wollen Geld erpressen
Für die jüngsten Entführungen hat bislang keine Gruppe öffentlich Verantwortung übernommen. In der betroffenen Region sind allerdings vor allem bewaffnete kriminelle Gruppen, örtlich "Banditen" genannt, besonders aktiv. Anders als die islamistischen Gruppen verfolgen diese mit den Entführungen keine politischen Ziele, sondern wollen Geld erpressen. Angehörige der aus der Kirche Entführten haben nach eigenen Angaben Lösegeldforderungen in Höhe von 100 Millionen Naira (etwa 60.000 Euro) erhalten, wie nigerianische Medien berichteten.
Die Entführungen sind ein furchtbarer Alltag in Nigeria geworden. Nach Angaben der Sicherheitsberatungsfirma SBM Intel wurden allein zwischen Juni 2024 und Juni 2025 mindestens 4.722 Menschen in 997 Vorfällen entführt. Mindestens 762 Menschen seien in dem Zusammenhang getötet worden.
Kidnapper hätten in der Zeit Lösegelder von umgerechnet mindestens 1,6 Millionen Euro eingestrichen – und noch weit mehr gefordert. Lösegeldzahlungen sind seit 2022 in Nigeria verboten. Praktisch verscherbeln Familien jedoch alles, was sie haben, um Angehörige wieder freizukaufen. Da die Landeswährung Naira stark abgestürzt ist, verlangen die Entführer immer höhere Summen. Arbeitslosigkeit, Unsicherheit und Aussichtslosigkeit treiben zugleich immer mehr junge Männer dazu, sich den Banden anzuschließen.
Sicherheitskräfte können die Lage kaum eindämmen
Das Militär ist schlecht bezahlt und auch schlecht ausgerüstet, obwohl Nigeria als eine der größten Volkswirtschaften des Kontinents eine der größten Armeen besitzt. Krisen und Korruption haben die Staatsgewalt tief ausgehöhlt.
Die Einsätze der Sicherheitskräfte zur Suche nach den Entführten blieben nach offiziellen Angaben bislang ergebnislos. Im benachbarten Bundesstaat Zamfara rettete die Polizei am Samstag allerdings 25 Frauen und Kinder – wenige Stunden, nachdem sie aus einem Dorf verschleppt worden waren.
Behörden mehrerer Bundesstaaten im Norden des Landes haben die Schließung aller Schulen oder Räumung von Internaten angeordnet. Die nigerianische Regierung ließ außerdem alle staatlichen Schulen in besonders gefährdeten Regionen schließen. Präsident Bola Tinubu verzichtete auf eine Teilnahme am G20-Gipfel, um sich der Sicherheitslage zu widmen.
"Gefährlichstes Land der Welt für Christen" - aber auch viele muslimische Opfer
US-Präsident Donald Trump hatte kürzlich mit einem Militäreinsatz gedroht, falls Nigeria sich nicht für den Schutz der Christen einsetze. Konflikte und Gewalt verlaufen in dem Land, dessen Einwohner etwa zur Hälfte je Christen und Muslime sind, tatsächlich immer mehr entlang religiöser Trennlinien – diese werden von Experten aber meist nicht als Ursache angesehen. Christliche Gemeinden werfen dem Staat dennoch mangelnden Schutz vor.
Die US-Nichtregierungsorganisation International Christian Concern, die die Verfolgung von Christen weltweit dokumentiert, bezeichnete Nigeria 2022 als das "gefährlichste Land der Welt für Christen". Zugleich werden Muslime ebenfalls Opfer von Terror- oder Banditenangriffen ebenso wie von Racheakten.