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Zischup-Interview

"Es kann sein, dass deine Schüler sterben"

  • Valerie Stolterfoth, Klasse 8c, St.-Ursula-Gymnasium (Freiburg)

  • Fr, 28. April 2023
    Schülertexte

Peter Hahne ist Klinikschullehrer an der Klinikschule des Freiburger Uniklinikums. Im Gespräch erzählt er von seinem Alltag.

Peter Hahne unterrichtet an der Klinik...o wie Gymnasiasten oder Berufsschüler.  | Foto: Privat
Peter Hahne unterrichtet an der Klinikschule Grundschüler genauso wie Gymnasiasten oder Berufsschüler. Foto: Privat
Zischup: Herr Hahne, Sie sind Lehrer an der Klinikschule des Universitätsklinikums Freiburg. Was genau kann ich mir unter einer Klinikschule vorstellen?

Hahne: Die Klinikschule ist eine Schule am Klinikum, aber sie gehört nicht zum Klinikum, sondern hat das Land Baden-Württemberg als Träger. Es handelt sich dabei um ein sogenanntes sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum für Schülerinnen und Schüler in längerer Krankenhausbehandlung, kurz "SBBZ SilK". In die Klinikschule kommen Kinder, die unterschiedlichste Schulformen besuchen, zum Beispiel Grundschulen, Werkrealschulen, Realschulen, Gymnasien, Berufsschulen. Obwohl ich eigentlich Gymnasiallehrer bin, habe ich all diese Schulformen bereits unterrichtet. Entsprechend groß ist die Altersspanne: von sechsjährigen Grundschülern bis hin zu 18-jährigen Abiturienten.

Zischup: Welche Fächer werden hauptsächlich unterrichtet?

Hahne: Wir unterrichten vor allem Hauptfächer wie Deutsch, Englisch, Mathematik, Spanisch und Französisch.

Zischup: Was unterrichten Sie?

Hahne: Ich bin da vor allem für die MINT-Fächer zuständig, zum Beispiel für Mathematik, Physik und Technik.

Zischup: Können Sie etwas über Ihren Unterricht erzählen? Gibt es zum Beispiel Klassenzimmer?

Hahne: Ich arbeite zu 50 Prozent in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und zu 50 Prozent in der Somatik, also in der Kinder- und Jugendmedizin. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie – da unterrichte ich in einer Tagesklinik für Jugendliche – gibt es tatsächlich eine Art Klassenzimmer. Das ist aber mit sechs Arbeitsplätzen viel kleiner als ein gewöhnliches Klassenzimmer. Weil die Jugendlichen meist aus ganz unterschiedlichen Klassenstufen und Schulformen kommen, findet auch viel Einzelunterricht statt. Wir tauschen uns mit den Lehrkräften aus der Stammschule aus und erhalten Informationen zu den aktuellen Lehrplaninhalten. Auf dieser Grundlage erstellen wir gemeinsam mit dem oder der Jugendlichen einen Wochenplan. In der Somatik sieht mein Arbeitsalltag ganz anders aus. Teilweise können die Schülerinnen und Schüler dort gar nicht aus dem Bett raus, weil sie an Pumpen angeschlossen sind, die sie mit Medikamenten oder Sauerstoff versorgen. Oder sie befinden sich in Umkehrisolation, zum Beispiel weil sie gerade eine Stammzellentherapie bekommen oder frisch operiert sind, ein Spenderherz oder eine Spenderniere bekommen haben. Wenn ich sie besuche, muss ich mich umziehen und einen Kittel, Handschuhe und eine Atemschutzmaske tragen. Dann unterrichte ich direkt am Krankenbett. Was möglich ist, versuche ich. Und was nicht geht, geht dann einfach nicht. Es gibt immer wieder junge Patienten in der Onkologie – das sind Kinder oder Jugendliche mit Krebserkrankungen – die ein paar Tage lang Therapie im Krankenhaus bekommen und sonst, soweit möglich, in ihre Stammschule gehen. Da gibt es manche, die sehr gut organisiert sind und mir eine E-Mail schreiben: "Nächste Woche schreibe ich eine Mathearbeit und ich würde gerne mit Ihnen das Thema XY besprechen."



Zischup: Das heißt also: Die Schülerinnen und Schüler schreiben, obwohl sie krank sind und im Krankenhaus, sogar Klassenarbeiten mit?

Hahne: Wenn die Kinder und Jugendlichen länger da sind, können sie auch Klassenarbeiten schreiben und es gab sogar Schüler, die einen Teil ihres Schulabschlusses in der Klinik geschrieben haben. In die Kinder- und Jugendmedizin kommen Patienten nicht nur aus der Gegend, sondern aus ganz Deutschland zur Behandlung. Wir Lehrkräfte müssen uns entsprechend in die Bildungspläne der jeweiligen Bundesländer hineindenken.

Zischup: Wie sind Sie Klinikschullehrer geworden?

Hahne: Früher habe ich als Physiker und Wissenschaftler gearbeitet. Und ich habe lange an einem beruflichen Gymnasium unterrichtet und wollte dann gerne etwas anderes machen. Da bekam ich das Angebot, an der Klinikschule zu unterrichten.

Zischup: Würden Sie Ihren Beruf weiterempfehlen?

Hahne: Nicht jeder Lehrer mag das machen. Es kann sein, dass deine Schüler sterben. Das habe ich dieses Jahr in der Onkologie leider schon zwei Mal miterlebt. Das ist sehr belastend. Ich glaube, ich komme ganz gut damit zurecht, aber es gibt auch Lehrer, die schnell merken: Das ist nichts für mich. Man muss sich auch klar machen, dass man jeden Tag im Krankenhaus unterwegs ist. Man muss unter den Schläuchen durchklettern, um überhaupt nah genug an den Schüler zu kommen und beispielsweise am iPad oder im Buch etwas erklären zu können.

Zischup: Das hört sich teilweise sehr belastend an. Was macht Ihnen Freude an Ihrem Beruf?

Hahne: Ich war oft erstaunt, wie viel mehr man in einer Stunde Einzelunterricht erreicht als mit einer ganzen Klasse. Und es kommt viel zurück. Wenn sie Klinikschule haben, sind die Kinder und jugendlichen nicht Patienten, sondern Schüler, sie erleben ein Stück Normalität. Sie sind oft dankbar und motiviert und wir arbeiten gemeinsam am Ziel, den Anschluss an die Klassen zu halten und möglichst ohne Lücken wieder zurückzukehren. Es ist wirklich ein ganz anderer Unterricht als in einer normalen Schule.

Ressort: Schülertexte

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 28. April 2023: PDF-Version herunterladen

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