Femizid
Femizid-Forscherin: "Der Mordparagraf hat überall Schwächen"
Fast jeden Tag wird in Deutschland eine Frau getötet. Doch Femizide werden in Deutschland selten als Mord eingestuft. Die Juristinnen Konstanze Jarvers und Cristina Valega finden: Das muss sich ändern.
Sa, 5. Jul 2025, 17:00 Uhr
Freiburg
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BZ: Am Landgericht Freiburg ist ein Mann, der in Simonswald im Kreis Emmendingen seine Frau auf sehr grausame Weise getötet hatte, wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Dass er nur wegen Totschlags angeklagt war, hat viele Menschen gewundert. Wie kann das sein?
Jarvers: Das ist ja kein Einzelfall. Ich habe bisher kaum einen Femizidfall in Erinnerung, der tatsächlich als Mord eingestuft wurde. Eine schwere Tat sollte auch schwer bestraft werden, da geht es um die Verhältnismäßigkeit. Das Mordmerkmal der Grausamkeit, das in so einem Fall auch in Frage käme, wird relativ zurückhaltend angewandt. Meistens stürzen sich die Gerichte und Staatsanwaltschaften auf das Merkmal der niedrigen Beweggründe. Die aber sind täterbezogen.

BZ: Was heißt das genau?
Jarvers: Um die niedrigen Beweggründe bejahen zu können, muss man sich in den Täter hineinversetzen. Bei deutschen Gerichten besteht leider die Neigung, dass sie die falschen Motivationen hinter der Tat sehen. Sie sehen, dass jemand – ich meine das nicht auf diesen Fall bezogen – verlassen wurde oder dass die Frau vielleicht fremdgegangen ist. Dann scheuen sie sich, niedrige Beweggründe anzunehmen, denn das Opfer könnte ja seinen Teil dazu beigetragen haben. Die Gerichte übersehen dabei, dass Eifersucht Ausdruck von Besitzdenken ist.
BZ: Wie definiert sich denn ein niedriger Beweggrund?
Jarvers: Nach dem Bundesgerichtshof sind das sittlich auf niedrigster Stufe stehende und damit besonders verwerfliche Motivationen.
Konstanze Jarvers, 1964 in Heidelberg geboren, ist promovierte Juristin und Senior Researcher am Max-Plack-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg. Cristina Valega, 1992 in Lima geboren, stammt aus Peru, wo sie Rechtswissenschaften studiert hat. Sie arbeitete unter anderem für das Peruanisches Ministerium für Frauen und gefährdete Bevölkerungsgruppen und ist Doktorandin am MPI zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg.
fz
BZ: Das ist ja sehr abstrakt…
Jarvers: Ja, das ist ein sehr schwammiges Merkmal. Dementsprechend haben die Gerichte einen wahnsinnig großen Beurteilungsspielraum bei der Auslegung, und es ist sehr subjektiv. Und genau das sind die Schwierigkeiten, die dieses Mordmerkmal mit sich bringt.Valega: Man kann Femizide auf unterschiedliche Weise im Gesetz regulieren, aber im Strafrecht könnte man schon mehr machen. Ich komme aus Lateinamerika, wo Femizid in 18 Ländern ein eigener Straftatbestand oder zumindest ein strafverschärfendes Merkmal ist. Wichtig sind dort, anders als in Deutschland, nicht die subjektiven Gründe des Täters, sondern der Kontext, in dem die Frau getötet wird – ein Kontext, in dem sie ein diskriminierendes Geschlechterstereotyp verletzt hat oder ihr ein solches Stereotyp auferlegt wurde. In dem aktuellen Fall wird gesagt, dass der Täter die Frau für ihr "angeblich respektloses Verhalten" bestraft und gemaßregelt hat, er hat sie kontrolliert, ihr Gewalt angedroht und angetan, so dass sie nicht frei sein konnte. Das ist ein wichtiges Charakteristikum für einen Femizid im Sinne dieser Definition.
"Das Problem ist, dass der Mordparagraf 211 des Strafgesetzbuches überall Schwächen hat. "Konstanze Jarvers
BZ: Was müsste man in Deutschland strafrechtlich ändern?
Jarvers: Das Problem ist, dass der Mordparagraf 211 des Strafgesetzbuches überall Schwächen hat. Er wird seit Jahrzehnten kritisiert, und es gibt immer wieder Versuche, ihn zu reformieren, aber es gab nie eine Mehrheit dafür. Er stammt ja noch aus der Nazi-Zeit.
BZ: Irgendwie unverständlich.
Jarvers: Ja, sehr unverständlich. Schon allein wie er formuliert ist, darin steht: "Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft." Wir haben aber eindeutig kein Täterstrafrecht mehr in Deutschland, sondern ein Tatstrafrecht. "Der Dieb”, "der Mörder", so formuliert man keine Tatbestände mehr. Man könnte ein entsprechendes Mordmerkmal Femizid konstruieren, das man sinnvollerweise eher objektiv formulieren würde, weil ein subjektives Merkmal Beweisprobleme mit sich bringt, während der objektive Kontext einer Diskriminierung viel leichter bewiesen werden kann. Vorstellbar wäre neben einem eigenen Tatbestand auch ein Erschwerungsgrund im Totschlagsparagraf 212. Laut Absatz 2 kann in besonders schweren Fällen auch bei Totschlag eine lebenslange Strafe verhängt werden. Dieser wird aber kaum angewandt. Es stellt sich in Deutschland auch die Frage, ob man aus verfassungsrechtlicher Sicht, wegen des Gleichheitsgrundsatzes, einen Femizidtatbestand oder -erschwerungsgrund überhaupt geschlechtsspezifisch formulieren könnte.
"Man muss mit den Männern arbeiten, bei ihnen muss sich etwas ändern"Konstanze Jarvers
BZ: Was meinen Sie?
Valega: Im Strafrecht kann man viel verändern, aber das Wichtigste ist die Prävention, Bildung in Sachen Gleichheit kann vorbeugen. Oder man könnte das Strafrecht so verändern, dass ein diskriminierender Kontext als strafverschärfendes Merkmal berücksichtigt wird – wenn jemand wegen seiner Identität getötet wird, wegen seines Geschlechts, seiner Nationalität, seiner Behinderung.Jarvers: Frauen müssen ins Frauenhaus ziehen, sie müssen sich irgendwie schützen, aber man muss mit den Männern arbeiten, bei ihnen muss sich etwas ändern. Sie wegzusperren oder ihnen eine Fußfessel anzulegen, hilft – vielleicht – im konkreten Fall, aber es hilft nicht, das Phänomen Gewalt gegen Frauen und Femizide einzudämmen. Da muss man in der Kindheit anfangen.
Schwester eines Femizid-Opfers: "Bei Kundgebungen gegen Femizide vermisse ich die Männer"
BZ: Sie untersuchen am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg, wie Femizide in verschiedenen Ländern bestraft werden. Was genau untersuchen Sie?
Jarvers: Wir fragen Landesberichterstatter aus elf verschiedenen Ländern ab und haben fünf Femizid-Fallgruppen gebildet: erstens Partner-Tötungen, in Deutschland mit Abstand die größte Gruppe; zweitens Tötungen in der Familie; drittens Tötungen im Zusammenhang mit anderen geschlechtsbezogenen Delikten, denn es gibt nicht nur Sexualdelikte, sondern auch andere Straftaten wie Stalking; viertens Tötungen im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität, dazu gehören Tötungen im Kontext von Zwangsarbeit und Zwangsprostitution; und zu guter Letzt Hassdelikte gegen Frauen. Jack the Rippers Taten waren solche klassischen Hassdelikte.
BZ: Wie sieht es rechtlich in Europa aus?
Jarvers: Es gibt ein paar Länder, die es mit einem Femizid-Tatbestand versuchen, zum Beispiel die Türkei, wo es aber nicht besonders gut gelungen ist, dort gilt als Erschwerungsgrund, wenn ein Mann eine Frau tötet. So pauschal widerspricht das natürlich dem Gleichheitsgrundsatz. Und es gibt ja auch andere Gründe, warum eine Frau getötet wird, dann liegt kein Femizid vor: etwa bei Tötungen im Straßenverkehr. Ein anderer klassischer Fall ist der Terroranschlag. Wird der leichter bestraft, wenn nur Männer getötet werden?Valega: In Spanien gelten diskriminierende Motive – wenn jemand etwa bei Diskriminierung wegen des Geschlechts verletzt oder getötet wird – als straferschwerende Umstände.
BZ: Das schließt Gewalt gegen homosexuelle Männer oder Transmenschen ein.
Jarvers: Genau, oder auch gegen Männer, die in Frauenkleidern herumlaufen oder sich sonst nicht dem Stereotyp entsprechend verhalten. Italien ist eines der Länder, wo schon früher sehr viele Femizidfälle als schwerer Fall gewertet wurden, und trotzdem ist dort jetzt noch ein Femizidparagraf ins Parlament eingebracht worden, der Gesetzgebungsprozess ist noch im Gange. Aber auch das italienische Modell ist nicht so gut gelungen, es ist sehr unbestimmt gefasst. In Italien gibt es wie in Deutschland viele Verfassungsrechtler, die finden, man könne Mann und Frau nicht unterschiedlich behandeln, sondern muss das Gesetz geschlechtsneutral formulieren.Valega: Ich favorisiere die Variante, bei der diskriminierende Kontexte allgemein als strafverschärfende Umstände gelten. So kann man auch Fälle erfassen, in denen Menschen wegen ihrer Nationalität oder wegen ihres Alters benachteiligt werden, denn es werden auch Menschen getötet, weil sie alt und pflegebedürftig sind.
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