Im Alter kommt der Psalter – oder aber nichts
Mit dem Älterwerden wandelt sich auch die Religiosität: Die Befreiung aus Strukturen kann ebenso hilfreich sein wie die Geborgenheit in ihnen
Udo Janson

Wir liegen entspannt in unseren Liegestühlen und schauen in den blauen Sommerhimmel. Gespräche über Gott und die Welt. Er ist gerade dreißig Jahre älter als ich, zweiundneunzig. "Was erwartest du nach dem Tode?" Seine Antwort: "Nichts". Der alte Herr war zeitlebens ein treuer, praktizierender Katholik. Ein Zweifel hat ihn nie erschüttert. Und doch: "Nichts". Die Buddhisten nennen es lieber Leere, um nicht an den destruktiven Nihilismus des Westens zu erinnern.
Ähnlich die Begegnung mit einem achtzigjährigen Prälaten aus der Nachbarschaft, der sich etwas verschmitzt im Gespräch über das Jenseits äußert, im Diesseits wisse er doch wenigstens, was er habe. Alte Menschen werden manchmal unverblümt frei, können loslassen.Staunen auf meiner Seite. Ist das so selbstverständlich, was ich da erfahre? Keineswegs. Die Gründe und Ursachen sind vielfältig: das eigene Leid, das alle geistigen und körperlichen Kräfte braucht und aufzehrt; ...