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"Früher war’s schöner"

  • Hannah Schwarz, Klasse 4b, Markgrafenschule (Freiburg)

  • Fr, 01. April 2022
    Zisch-Texte

ZISCH-INTERVIEW mit Margot Ernst, die als Kind während des Zweiten Weltkrieges aufwuchs und trotzdem gerne daran zurückdenkt.

Margot Ernst ist 93 Jahre alt und hat den Zweiten Weltkrieg miterlebt.  | Foto: privat
Margot Ernst ist 93 Jahre alt und hat den Zweiten Weltkrieg miterlebt. Foto: privat

Zwischen 1933 und 1945 war Deutschland eine Diktatur und hat den Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Damals fielen viele Bomben in Europa, auch in Deutschland. Margot Ernst wurde 1929 geboren und hat diese Zeit miterlebt. Ihrer Enkelin, der Zisch-Reporterin Hannah Schwarz, hat die 93-Jährige erzählt, wie ihre Kindheit damals in Freiburg war, und dass sie sich Frieden für alle Menschen wünscht.

Zisch: Kannst du mir bitte mal aus deiner Kindheit erzählen ? Das ist ja nun schon fast 90 Jahre her. Wie war es damals?

Ernst: Schlecht war’s. Es war Krieg. Es hat nichts gegeben. Wir haben um alles gebettelt, auch um Essen. Mein Vater war als Gefreiter an der Front im Krieg. Meine Mutter war mit uns sechs Kindern alleine. Meine Mutter ist manchmal mit dem Zug in den Schwarzwald gefahren und hat bei den Bauernhöfen um Essen gefragt. Wenn sie Glück hatte, konnte sie Bettwäsche oder Leintücher gegen Lebensmittel tauschen. Sie klapperte dann mehrere Höfe zu Fuß ab und kam mit etwas Glück mit Kartoffeln, Mehl oder Eiern zurück. Das war dann ein guter Tag, wenn sie wieder heimkam. Oft war sie über Nacht im Schwarzwald. "Hamstern gehen" hat man damals diese Bettelausflüge zu den Bauernhöfen genannt. Gespielt haben wir im Hof oder auf der Straße – Spielzeug gab es keines mehr. Mit sieben Jahren bin ich in die Schule gekommen, mit 14 Jahren war ich mit der Schule fertig. Danach habe ich ein oder zwei Jahre meiner Mutter mit den kleineren Geschwistern geholfen und wurde dann mit 16 zu einem Bauern als Hilfe geschickt. Ich musste bei ihm im Haushalt und bei der Feldarbeit helfen. Das bedeutet: waschen, putzen, Feld umgraben, Heu machen und vieles mehr.

Zisch: Und wie war es in der Schule?
Ernst: Für uns Kinder war das schön. Dort haben wir andere Kinder getroffen. In der Klasse waren wir ungefähr 25 Kinder, nur Mädchen. Wir haben nach unserem Schulabschluss jedes Jahr ein Klassentreffen gemacht, um uns einmal im Jahr zu sehen – das ganze Leben lang. Das letzte Treffen war letztes Jahr. Es leben nur noch drei meiner Klassenkameradinnen.

Zisch: Wart ihr in der Schule immer brav?
Ernst: Meistens. Aber nicht immer. Wenn wir Blödsinn gemacht oder geschwätzt haben, mussten wir als Strafarbeit ganze Seiten abschreiben. Oder es gab was mit dem sogenannten Tatzenstock auf die Finger. Unsere Lehrerin hatte einen Stock, mit dem hat sie uns zur Strafe auf die Hände geschlagen.

Zisch: Wenn du dich zurückerinnerst – was gab es für schöne und was für schlimme Momente in deiner Kindheit?
Ernst: Schöne Momente waren, wenn es uns mal gut ging. Wenn meine Mutter von den Bauern genug Essen erbetteln oder tauschen konnte. Schlimme Momente waren, wenn es im Krieg abends Fliegeralarm gab und wir in den Keller mussten, um uns zu schützen. Ich wollte immer lieber im Bett in der Wohnung bleiben, dabei hatten wir sogar ganz einfache Luftschutzbetten im Keller. Ich habe zu meiner Mama immer gesagt: Wenn die Bombe mich trifft, dann komm ich mit dem Bett nach unten nach. Wir waren acht Familien im Keller, wenn Fliegeralarm war. Das war gegen Ende des Krieges 1945. Als die erste Bombe auf Freiburg gefallen ist, hat meine Mutter das Nötigste gepackt und ist mit dem Leiterwagen und uns, damals waren wir noch vier Kinder, zu Fuß los in den Schwarzwald. Raus aus der Stadt. Wir sind dann gelaufen bis Weilersbach, dort durften wir bei einer Familie übernachten. Am nächsten Tag sind wir weiter gelaufen, hoch auf die Höhe bei Oberried. Da gab es die Weilersbacher Hütte – da sind wir ungefähr zwei Jahre geblieben. Während des Krieges war ich nicht in der Schule. Wir haben alle auf der Hütte geholfen. Ich musste manchmal mit dem Rucksack richtig weit runter Richtung Oberried zum Einkaufen. Nach ungefähr zwei Jahren ist meine Mutter mit uns zurück nach Freiburg. Das war dann die Zeit, in der wir abends in den Keller mussten, wenn Fliegeralarm war.

Zisch: Was würdest du dir wünschen, wenn eine Fee dir Wünsche erfüllen würde?
Ernst: Dass meine Kinder, Enkel und Urenkel immer brav sind und gut miteinander auskommen. Und dass überall Frieden ist.

Zisch: Würdest du etwas anders machen in deinem Leben, wenn du die Zeit nochmal zurückdrehen könntest?
Ernst: Nein. Ich glaube, ich habe immer alles recht gemacht. Ich bin mit allen gut gestellt, habe mit keinem Krach. Das ist viel wert. In meiner Kindheit und Jugend waren es wirklich schlechte Zeiten und trotzdem sag ich: Früher war’s schöner. Auch wenn wir gar nichts gehabt haben. Ich bin der Meinung, wir haben die Kindheit mehr genießen können, als ihr heute.

Ressort: Zisch-Texte

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 01. April 2022: PDF-Version herunterladen

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