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Film

Greta Gerwigs weltweit umjubeltes und vielfach preisgekröntes Teenagerdrama "Lady Bird"

Gabriele Schoder
  • Di, 17. April 2018, 19:30 Uhr
    Kino

Abnabelung, Selbstentwurf und die Fallstricke der eigenen Wurzeln: Darum geht es in "Lady Bird", dem Regiedebüt von Greta Gerwig

Hinreißend: Saoirse Ronan als Christine alias Lady Bird  | Foto: UPI Media
Hinreißend: Saoirse Ronan als Christine alias Lady Bird Foto: UPI Media
An der High School im kalifornischen Sacramento erfährt Christine McPherson (Saoirse Ronan) die freundliche Spießigkeit einer katholischen Schule, zuhause täglich Trouble mit der Mutter – und die Jungs öffnen ihr auch nicht gerade das Tor zum Paradies. Wo soll sie bloß hin mit ihren Träumen, wie kann sie ihren Weg finden zwischen Trotz und Resignation? Wann kann sie endlich sich selber leben? Den Anfang hat sie gemacht und sich einen neuen Namen gegeben, Lady Bird. Das Vögelchen aber, das da flügge wird, hat nur ein Ziel: weg von Sacramento. Und zwar richtig. Nicht bloß an der Berkeley studieren, sondern an der Ostküste, am liebsten in New York.

So ungewöhnlich ist es ja nicht, dass man mit 17 denkt, das Leben finde ganz woanders statt. Selbst in Kalifornien – zumindest im ländlichen Norden, dessen Herz Sacramento ist. Lady Bird jedenfalls will raus. Als sie, nach Absagen und einer Zitterpartie auf der Warteliste, dann tatsächlich einen Collegeplatz in New York bekommen hat, wird sie dort auf einer Party gefragt, woher sie komme – und antwortet, weil ihr Gegenüber sich unter Sacramento offenbar nichts vorstellen kann, kurzerhand "San Francisco". Eine Lüge, die nur ihr selber weh tut.

Das alte Lied, neu gesungen

Abnabelung, Selbstentwurf und die Fallstricke der eigenen Wurzeln: Darum geht es in "Lady Bird", dem Regiedebüt von Greta Gerwig ("Greenberg", "Frances Ha"), dem Indie-Star des neuen amerikanischen Kinos. Sie wurde selbst in Sacramento geboren, 1983, ging selbst früh nach New York – wegen Woody Allens Filmen, wie sie sagte – und wurde als weiblicher Stadtneurotiker des 21. Jahrhunderts gefeiert. Mit ihren ironischen Drehbüchern, ihrem erfrischenden Schauspiel, ihrer zugleich komischen wie glaubwürdigen Darstellung urbaner Unkonventionalität und Einsamkeit. Wie sie jetzt eine hinreißende Saoirse Ronan zeigt, als jüngeres Alter Ego ihrer Regisseurin in einem Coming-of-Age-Film, der im Jahr 2002 spielt. Die 1994 in New York geborene Irin, die als Lady Bird bereits ihre dritte Oscarnominierung bekam (die erste gab es 2008 für "Abbitte"), ist mit ihren lila Fingernägeln und den "Lola rennt"-roten Haaren geradezu der Inbegriff des Mädchens, das so gar nicht passen will in eine kirchliche Schule.

Und gleichzeitig ist sie auch ganz American Girl – in ihrer Sehnsucht nach Erfolg, Wohlstand und vorzeigbarem Elternhaus auf der richtigen Seite der Bahngleise, mit strahlender Fassade und Flagge vor der Tür. Sowas können Marion (Laurie Metcalf) und Larry (Tracy Letts) ihr nicht bieten – die Mutter ist Krankenschwester (wie Gerwigs eigene übrigens auch) und arbeitet bis zum Umfallen, seit der Vater den Job verloren hat, die Hütte ist bescheiden. Gleichwohl aber offen für Christines erste Dates wie für die Freundin von Adoptivsohn Miguel (Jordan Rodrigues). Es sind freundliche und keinesfalls prekäre Verhältnisse, in denen Lady Bird lebt, und für den Abschlussball der Highschool bekommt sie das sündhaft teure Kleid, in das sie sich verguckt hat.

Das alte, das ewige Kinothema vom jugendlichen Hin- und Hergerissensein zwischen Mainstream und Avantgarde, Rebellion und Anpassung: Wann war es so spannend wie in diesem Film, der gleichzeitig unspektakulär und bigger than life ist? "Lady Bird" wurde weltweit bejubelt und mit Preisen überschüttet – wohl genau wegen dieses hohen Identifikationspotenzials. Die Regisseurin und Drehbuchautorin überzeichnet ihre subtile Beobachtung der Wirklichkeit gerade so weit, dass das Wiedererkennen nicht schmerzt. Etwa von Himmel und Hölle der ersten Liebeserfahrungen: Da ist der wunderbare Höhenflug des großen Gefühls, der Knabe (Lucas Hedges) aber leider schwul, da ist das herrliche Frühlingserwachen der Lust, der Knabe (Timothée Chalamet) aber leider ein gefühlskalter Narziss. Da ist die Herzensbindung zur besten Freundin, die so irritierend innig ist wie zum anderen Geschlecht noch lange nicht. Lady Bird geht denn auch mit Julie (Beanie Feldstein) zum Abschlussball – und lässt sich in ihrem prächtig roten Kleid mit ihr ablichten. Nein, die beiden sind keine Junglesben, nur Schwestern in Lebenshunger und Enttäuschung.

Greta Gerwig schlägt auf der abgenudelten Kinoklaviatur der menschlichen Beziehungen eigene Akkorde an und macht auf diese Weise die alten Lieder wieder neu, unterstützt von einem Soundtrack (Jon Brion), der das Lebensgefühl der Jahrtausendwende zeitlos aushorcht. Etwa wenn Marion bei Christines Abflug nach New York der Tochter hinterherstürmt wie ein Liebender, der in letzter Sekunde erkennt, dass er nicht beleidigt ziehen lassen darf, woran sein Herz doch hängt. Überhaupt diese beiden: Laurie Metcalfe und Saoirse Ronan sind ein wunderbares Duo, absolut auf Augenhöhe, Verwandte nicht nur des Bluts, sondern vor allem der Seele. Lady Bird kann es freilich erst in der Ferne erkennen.

Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen, heißt es in Goethes "Faust": Christine wird, was sie ererbt von ihrer Mutter, erst in New York erwerben – weshalb sie dort auch den Namen wieder ablegen kann, den sie sich in Selbstermächtigung verliehen hat. Und die Kamera (Sam Levy) taucht ihre Erinnerungsbilder von Sacramento und den Autofahrten mit der Mutter in ein goldenes Licht. Das Leben, die Liebe zeigen sich, wenn überhaupt, erst in der Rückschau. Umso schöner, wenn es dann nicht zu spät ist.

"Lady Bird" (Regie: Greta Gerwig) kommt am Donnerstag in die Kinos. Ab 0

Ressort: Kino

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mi, 18. April 2018: PDF-Version herunterladen

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