Themen-Woche in der ARD

Heftige Debatte um Toleranz-Projekt

Die ARD hat für die kommende Woche eine Themenwoche der Toleranz ausgerufen. Doch das gefällt nicht jedem. Und die Kritik kommt aus allen Richtungen.  

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Eines der Fotos, mit denen die ARD die Themenwoche beworben hat.  | Foto: dpa
Eines der Fotos, mit denen die ARD die Themenwoche beworben hat. Foto: dpa
Vier Fotos genügen. Vier, die Klischees transportieren vom "andersartigen" Dunkelhäutigen (Überschrift: "Belastung oder Bereicherung?"), vom sich küssenden Schwulenpärchen ("Normal oder Nicht-normal?"), vom schreienden Kind ("Nervensäge oder Zukunft?") und vom Behinderten im Rollstuhl ("Außenseiter oder Freund?") – und die Republik ist schon mitten in einem heftigen öffentlichen Empörungszustand.

Dabei sollten die inkriminierten Werbeplakate genau das bezwecken – Provokation. Die ARD macht mit ihnen auf ihre am Samstag beginnende und von da an auf allen Kanälen und durch alle Formate (bis hin zum "Tatort") laufende Themenwoche Toleranz unter dem Slogan "Anders als du denkst" aufmerksam. Mit Blick auf die Resonanz eine gelungene PR-Kampagne, allerdings im Sinne von Negativ-Marketing. Von vielen Seiten hagelt es Kritik. Die taz spricht von einem "Spiel ohne Reflexion" und fordert "Akzeptanz statt Toleranz"; Volker Beck (Grüne) nennt das ganze ARD-Spektakel ein "Diskriminierungs-Themenspecial"; die Zeit hält fest, "ohne eine einzige Sendung gesehen zu haben..., dass Konzept und Überbau dieser Themenwoche altmodisch im schlechten Sinn sind". Und auf den einschlägigen Foren twittert, bloggt und parodiert es landauf, landab in solcher Vehemenz, dass sich Hans-Martin Schmidt, der verantwortliche Koordinator der ARD-Themenwoche, zu einer Stellungnahme veranlasst sieht: "An den Aussagen auf den Plakaten soll sich der Betrachter reiben. Intolerantes Verhalten wird oft von Äußerlichkeiten und Vorurteilen geprägt. Genau damit spielt die Kampagne. Wir wollen zur intensiven Diskussion anregen und zum Nachdenken über eigene Haltungen und Vorurteile. Eine gewisse Provokation haben wir dabei in Kauf genommen, jedoch sollte sich niemand persönlich verletzt fühlen."

Frage: Ist es überhaupt möglich, Letzteres zu vermeiden, wenn man sich auf solch sensibles Terrain begibt und wissentlich "Provokation in Kauf nimmt"? Konstatieren wir mal, dass das Plakat auf Reibung zielte. Und konzedieren wir, dass die Wahl der Mittel, seine Inhalte und Gestaltung weder besonders originell noch auf der Höhe der Zeit sind. Und unterstellen wir sogar, dass der Autor der Zeit nicht unrecht hat, wenn er dem Konzept der Themenwoche noch vor deren Ausstrahlung schlechte Zensuren ausstellt, weil die ARD "ohne Haltung an ihr Thema" herangehe.

Doch all das beantwortet noch nicht eine ganz andere, möglicherweise viel interessantere Frage: Wie halten wir es eigentlich mit dem gesellschaftlichen Diskurs, wie diskutieren wir, wie gehen wir miteinander um, wenn wir unsere Meinungen vertreten? Und: Mit welcher Absicht geschieht das? Um einen Prozess nachhaltig in Gang zu bringen oder nur um der schnellen und lauten Empörung willen? Wenn nicht alles täuscht, ist der Furor in solchen (Schein-)Debatten nur Selbstzweck. So wie es Jacques Schuster vor einigen Monaten in der Welt skizzierte: "In dieser Wucht der Empörung ist Nachdenklichkeit genauso wenig gefragt wie Zwischentöne. Es herrscht eine moralische Unerbittlichkeit und ein inquisitorischer Eifer, der uns jegliches Augenmaß vergessen lässt."

Auf die Empörung

folgt die Erschöpfung

Wagen wir eine Prognose. Die ARD-Themenwoche wird am Samstag wie geplant beginnen und angesichts der Überdosis von über 60 Beiträgen pro Tag in Funk und Fernsehen in der öffentlichen Wahrnehmung untergehen wie der Wald, den man vor lauter Bäumen nicht sieht. Und am Ende wird nicht mehr die Frage, ob besser über Akzeptanz denn Toleranz diskutiert werden sollte, im Mittelpunkt stehen, sondern einfach nur eines: allgemeine Erschöpfung. Denn niemand ist in der Lage, die unzähligen Standpunkte, Diskussionen, Interviews, Reportagen und fiktionalen Formate inhaltlich nur annähernd vollkommen aufzunehmen, geschweige denn zu reflektieren. Und vermutlich konzentriert sich der nächste Shitstorm dann schon längst wieder auf ein anderes Ziel. Gemäß der Devise: Wer ihn initiiert und zu Beginn am lautesten schreit, hat die größten Chancen, gehört zu werden.

Gewiss, das ist kein Betriebsunfall in einer offenen Gesellschaft, weil deren Konstitution – im Gegensatz zu totalitären Systemen – öffentlich ausgetragene Konfrontationen nicht nur zulässt, sondern sie postuliert. Die Geschichte der alten Bundesrepublik mit ihrem Wechselspiel von Rebellion und intellektueller Reflexion und den daraus resultierenden tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen ist, lässt man die extremen, militanten Verirrungen einmal beiseite, ein durchaus positives Beispiel für die Fruchtbarkeit eines solchen Prozesses. Doch genau daran scheint der gegenwärtige öffentliche Diskurs zu kranken – ihm fehlt es an Prozessualität.

Da gibt es sehr viele wichtige Streitthemen – von Rassismus, Ausländerfeindlichkeit über Religionsfreiheit und -missbrauch, Geschlechterkampf bis zur Selbstbestimmung am Lebensende. Befruchten sie die Gesellschaft? Bewirken sie deren Teilhabe? Bezwecken sie diese überhaupt? Oder suchen sie nicht bloß nach dem Theaterdonner, nach der medial wirkungsvollen Empörung? Die Demokratie ist auf dem besten Wege, sich in eine Aufschrei-Gesellschaft zu verwandeln, in der Erregung das Maß aller Dinge zu sein scheint: Wer am lautesten schreit, ist der beste Demokrat. Dass die Plattformen für derart ausgetragene Konfrontationen längst nicht mehr die Parlamente des Landes sind, sondern Talkshows und andere mediale Foren, entlarvt diese offenbar abhandengekommene Fähigkeit zum nachhaltigen Debattieren.

Vielleicht beschleunigt die (anonymisierte) Form der Kommunikation im Internet, deren Schnell- und Kurzlebigkeit auch noch diesen Verlust an Diskussionskultur. "#toleranz #ard das ist keine coole provokation das ist absoluter bullshit des letzten jahrtausends!", twitterte vor ein paar Stunden ein gewisser "trobb" im Netz. Beiträge dieser Art, und sie haben hohe Frequenz, verheißen nichts Gutes zur Zukunft unserer Diskussionskultur. Und, ganz nebenbei bemerkt, auch zu der der Toleranz.

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