"Ich brauch’ Kaffee und Zigaretten"
FUDDER-INTERVIEW mit "11 Freunde"-Redakteur Dirk Gieselmann, der den coolsten Fußball-Liveticker Deutschlands schreibt.
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Subjektiv, witzig, feuilletonistisch: Mit einer Handvoll Kollegen vom Fußballmagazin "11 Freunde" schreibt Dirk Gieselmann den unterhaltsamsten Liveticker der Republik. 2010 gewannen sie damit den Henri-Nannen-Preis; Anfang Mai wurden sie für den Grimme-Online-Award nominiert. Am Samstag tickert Dirk Gieselmann das Champions-League-Finale Bayern gegen Dortmund. Fudder-Redakteur Manuel Lorenz hat ihn gefragt, wie er sich auf das Spiel vorbereitet und welchen Fußballsong er am liebsten hört.
Dirk: Sobald das Spiel losgeht, ist das, als stünde man auf dem Zehn-Meter-Turm: Wenn man nicht springt, macht man sich zum Gespött des ganzen Freibads. Es muss einfach die Arschbombe kommen.
Fudder: Und wie sieht so eine Arschbombe dann aus?
Dirk: Von außen betrachtet: erzlangweilig. Wir trinken kein Bier, rauchen keine Joints, lachen nicht mehr über die Einträge des anderen. Wir sitzen da wie zwei Rainmen – total konzentriert. Wir müssen nur darauf achten, dass wir in der Chronologie bleiben. Deshalb rufen wir uns zu: "Ich mach’ die 57. Minute!" – "Okay, dann mach’ ich die 58.!"
Fudder: Von wo aus macht ihr das eigentlich immer?
Dirk: Wenn das Spiel nur auf Sky läuft, in der Redaktion. Wenn’s im Free-TV übertragen wird, bei mir oder einem Kumpel – je nachdem, ob meine Kinder schon im Bett sind oder nicht. Solange es still ist und nicht zu viele Leute da sind, ist es egal, wo wir sitzen. Ich brauch’ auch keinen großen Service: Kaffee und Zigaretten – das war’s.
Fudder: Der Fußballkommentator Wolff Christoph Fuss gilt als akribischer Vorbereiter, arbeitet vor jedem Spiel dicke Dossiers durch und pflastert seinen Arbeitsplatz mit gelben Post-its. Wie bereitest du dich auf ein Spiel vor?
Dirk: Gar nicht. Ich arbeite in einer Fußballredaktion und muss sowieso über die groben Entwicklungen in der Bundesliga informiert sein. Wenn mir jetzt das Schicksal zuteil wird, Augsburg gegen Fürth tickern zu müssen, lese ich mir nicht die Vereinschronik der Spielvereinigung durch. Stattdessen mache ich aus der Not eine Tugend. Das gehört ja auch zu unserem Sound dazu: Nicht so zu tun, als wüsste man alles, sondern auch mal den Mut zur Lücke zu haben.
Fudder: Formulierungen wie "Der eingesprungene Chapuisat" und "Die Messi ist gelesen": Nicht bei einem Feierabendbier ausgedacht? Alles spontan?
Dirk: Zu 99 Prozent.
Fudder: Und wo kommt all das unnütze Fußballwissen her, das du im Liveticker zelebrierst?
Dirk: Aus meiner frühen Kindheit und Jugend. In den Sommerferien hatte ich ein Zelt im Garten, in dem sich zwei Kästen befanden: einer mit Asterix-Heften, ein anderer mit allen Kicker-Sonderheften, die jemals erschienen sind. Die habe ich auswendig gelernt. Ich kann noch heute wie aus der Pistole geschossen sagen: Klaus Toppmöller, 108 Bundesliga-Tore.
Fudder: Und Horst Hrubesch?
Dirk: 136.
Fudder: Was ist aus dieser Kategorie dein Lieblingsfakt?
Dirk: In meiner Kiste mit den Kicker-Sonderheften lag auch ein Panini-Sammelalbum der WM 1986. Mein Lieblingsspieler daraus war der dänische Stürmer Preben Elkjær Larsen, weil er den mit Abstand gefährlichsten Blick draufhatte. Später habe ich gelesen, dass er Kettenraucher war und vor dem Spiel wie in der Halbzeit zwei Kippen geraucht hat. Ich bin selbst Raucher und rauch’ während des Spiels ’nen ganzen Aschenbecher voll – insofern ist er mir sehr sympathisch.
Fudder: Apropos unnützes Fußballwissen: Was ist dein Lieblingsfußballbuch?
Dirk: "Alle unsere frühen Schlachten" von Javier Marías.
Fudder: Dein Lieblingsfußballfilm?
Dirk: "Zidane: A 21st Century Portrait" von Douglas Gordon und Philippe Parreno.
Rainmen – total konzentriert"
Dirk: Das Wort "Lieblings" würde ich in diesem Zusammenhang nicht in den Mund nehmen. In Deutschland ist das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit immer peinlich. Kevin Keegans "Head Over Heals in Love", das er ja als HSV-Spieler für den deutschen Markt aufgenommen hat, funktioniert immerhin noch als Popsong. Wenn ich aber an so was denke wie "Wir sind schon überm Brenner" von Udo Jürgens oder "Mexiko, mi amor" von Peter Alexander, so ’nen Schrott, wo sich die Nationalmannschaft mit Sombreros ins Studio von Jack White stellt: Das ertrage ich nicht.
Fudder: "Fußball – das Musical" im Hamburger Operettenhaus: Wie sähe das aus?
Dirk: Ich könnte mir das im Moment eher an der Berliner Volksbühne vorstellen, als Tragödie über den Aufstieg und Fall des Uli Hoeneß. Ich hab allerdings auch keine Probleme damit, mir Marko Arnautovic auf Rollschuhen in "Starlight Express" vorzustellen.
Fudder: Zurück zum Liveticker. Bist du nicht traurig, dass du das Champions-League-Finale am Samstag nicht im Wembley-Stadion erleben wirst?
Dirk: Nee. Mittlerweile vermisse ich die Computertastatur sogar, wenn ich mir ein Spiel mal einfach so angucke. Ich gehe zwar gerne ins Stadion – das muss aber nicht unbedingt ein Champions-League-Finale sein. Tickern will ich die Partie auf jeden Fall. Das ist das letzte Kapitel einer Erzählung, die ich über mindestens eine Saison mitverfolgt habe.
Fudder: Hast du irgendeine Idee, was in diesem letzten Kapitel stehen wird?
Dirk: Oh. Ich habe viele Ideen. Dieses große Epos, das um diese beiden Mannschaften entstanden ist, hätte man nicht besser erfinden können: der Götze-Wechsel, der Hoeneß-Skandal, der sich anbahnende Lewandowski-Transfer, von dem man annehmen muss, dass er zwei Tage vorm Finale öffentlich wird, Klopp und Heynckes, die beide für einen vollkommen unterschiedlichen Trainertyp stehen. Allein Heynckes, der schon achtmal weg vom Fenster war und jetzt sich und die Mannschaft neu erfunden hat. Das wird sein letztes großes Spiel sein. Wenn er das gewinnt, möchte ich mal in den Kopf von Guardiola gucken.
Fudder: Dein Tipp fürs Spiel?
Dirk: So wie die Bayern zurzeit drauf sind, werden sie’s gewinnen. Ich würde sagen 3:1 – in regulärer Spielzeit.
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