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Im kühlen Weiß des Berges

  • Do, 14. August 2003
    Zisch

     

Einfach nur Abhängen war nie sein Ding: Schon als Teenager eroberte Eike Mrosek die Viertausender, mit 29 stand er auf dem Mount Everest - eine Vorstellung, die durchaus Gänsehaut macht / Text: Eva M. Müller und Fotos: Eike Mrosek.

W o einst nur buddhistische Götter zu Hause waren, kam vor fünfzig Jahren schließlich auch der Mensch an. Hillary war oben, Messner und jüngst auch Eike Mrosek: auf dem höchsten Berg der Welt, dem Mount Everest. Für die JuZ haben wir den Freiburger Arzt und Extrembergsteiger Eike Mrosek getroffen und ein bisschen Höhenluft geschnuppert.

Eikes Leben ist eine einzige Rekordesammlung: im zarten Alter von 15 Jahren hat er den ersten Marathon bestritten, mit 19 ein 1,0-Abi gemacht, mit 20 ist er beim "Ironman" in Hawaii gestartet, hat sechs Stunden täglich trainiert und in schlappen neun Semestern das Medizinstudium absolviert. Eike Mrosek, 29 Jahre jung, klein, braun gebrannt, neugierig dreinschauende, kastanienbraune Augen - und Oberarme mit einem muskulösen Durchmesser, den manch anderer nicht einmal an den Oberschenkeln vorweisen kann.

Vor drei Monaten, am 25. Mai 2003, stand Eike Mrosek auf dem Dach der Welt, dem Mount Everest, haargenau 49 Jahre und 361 Tage nachdem Edmund Hillary und sein Sherpa Tenzing Norgay einst den Gipfel der Träume erreicht hatten - und Elisabeth II. und ihr Empire um eine Errungenschaft reicher und die Welt um ein Geheimnis ärmer waren. Eike Mrosek war im Mai 2003 als erster Deutscher dieses Jahres auf dem Mount Everest und als 21. Deutscher überhaupt. Hinter seinem Erfolg verbergen sich Verzicht, literweise Schweiß und vor allem ein enormer Wille. "Die Berge meiner Jugend waren Krücken, mit denen ich mein werdendes schwaches Ego stützte", zitiert Eike aus der Autobiografie des Schweizer Extrembergsteigers und Höhenmediziners Oswald Oelz. Für ihn waren die Berge Trophäen, die er - getrieben vom eigenen Ehrgeiz - sammelte. Warum? "Erfolge sind auch heute eine wesentliche Stütze meines Selbstbewusstseins." Eike sitzt am Küchentisch und liest diese Sätze vor. Vorsichtig formen seine Lippen Wort für Wort, als wären die Silben zerbrechlich, könnten durch den Klang der Stimme zerstört werden - und erklärt: "In diesen Worten erkenne ich mich selber wieder."

Eike ist Arzt in Tuttlingen. Sein Klinik-Ausbildungsjahr absolvierte er in Zürich bei Oswald Oelz. Den Professor zählt er heute zu seinen großen Vorbildern. Leistung wurde in Eikes Familie zwar nicht gefordert, aber durchaus gefördert. Bereits mit 12 Jahren belegte er Ausbildungskurse in Fels und Eis. In der Pubertät, als Klassenkameraden heimlich die ersten Zigaretten pafften, eroberte der Teenager Eike die Viertausender der Alpen. Stundenlang in Cafés sitzen und Cappuccino schlürfen, faulenzen auf dem Badetuch im Schwimmbad oder Chips mampfend auf der Couch rumlümmeln - das gönnt sich Eike bis heute selten. "Ich kenne keine Minute in Eikes Leben, die nicht in irgendeiner Weise sinnvoll und aktiv gestaltet wäre", erzählt Medizinstudentin Jasmin Kron - Eikes Freundin und Vertraute.

Gibt es denn niemals Motivationsschwierigkeiten, meldet sich nie der innere Schweinehund zu Wort? "Ich habe einen sehr großen inneren Schweinehund, aber der Knüppel, der ihn zähmt, ist eben größer", lüftet Eike schmunzelnd das Geheimnis seines Erfolges. Und das Austesten der eigenen Grenzen macht ihm einfach Spaß. Medien nennen das den "ultimativen Kick". Psychologen beschreiben es als Phänomen der Postmoderne. Kulturbedingt kommt es zu einer zunehmenden Oberflächlichkeit, die zu einer seelisch erlebten Sinnleere und einem ausgehöhlten Selbstbildnis führt. Über Leistung kann dieses Selbstbildnis neu definiert werden. Schneller, höher und weiter war denn auch das Motto von Eikes Jugend und seiner Zeit als Leistungssportler. Manche sozialen Kontakte wurden vernachlässigt und nur ein abgebrochenes Training bedeutete, vom schlechten Gewissen verfolgt zu werden. Heute sieht Eike das etwas gelassener. Auf dem Mount Everest aber war das alles wieder da: Der ungebrochene Wille und die beharrliche Leistungsbereitschaft, die Spitze des höchsten Berges der Erde zu erklimmen.

U nd dieser Wille entscheidet in einer Höhe von 8000 Metern, der "Todeszone", eben tatsächlich über Leben oder Tod. Es ist eine Höhe in der jeder Schritt, jede Bewegung Schmerz bedeutet. Der Luftdruck nimmt mit jedem weiteren Höhenmeter ab, immer weniger Sauerstoff gelangt in die Lunge. Durch den Sauerstoffmangel leidet besonders das Gehirn: Halluzinationen treten auf - und einfache Rechenaufgaben lösen oder Klavierspielen wäre in dieser Höhe undenkbar, erklärt Eike. Und, sagt er, die extremen Blutwerte in dieser Höhe könnten unter normalen Bedingungen die sofortige Einweisung auf die Intensivstation bedeuten.

10 000 Euro musste Eike für die Verwirklichung seines Traumes zahlen, viel mehr noch finanzierten die Sponsoren. Und zehn Wochen verbrachte Eike schließlich im kühlen Weiß des Berges. Für die Mount-Everest-Expedition hatte er seinen Job an der Uniklinik Freiburg gekündigt; und schon Wochen vor der Tour, sagt er, sei er geistig abwesend gewesen. Seine Gedanken kreisten allein um den Berg im Himalaja. "Freunde erzählen mir von Gesprächen, die sie damals mit mir geführt haben, von gemeinsamen Unternehmungen - die sind wie ausgeblendet, ich habe einfach keine Erinnerung mehr daran", berichtet Eike.

Darf man eigentlich Angst haben, wenn man versucht auf einen Berg zu klettern, auf dem nach buddhistischer Vorstellung die Götter wohnen, dessen Gipfel in 50 Jahren erst 1700 Personen erreichten (das sind 0,00002 Prozent der Erdbevölkerung, von Massentourismus also keine Spur), und der seit der Erstbesteigung 162 Bergsteiger im ewigen Eis begraben hat? Angst? Eike spricht lieber von "Respekt". "Eine Mount-Everest-Besteigung ist für mich sowohl aus bergsteigerischer Sicht als auch aus rein ausdauersportlicher Sicht eine große Herausforderung, der ich mit allergrößtem Respekt gegenüberstehe", schreibt er auf der Internetseite der Jubiläumsexpedition, "und es ist mehr als nur eine Grenzerfahrung." Daran gezweifelt lebend wieder an die Dreisam zu kommen, hat er allerdings nicht.

Das Gelingen einer solchen Tour ist neben psychischer und physischer Verfassung und dem Wetter auch vom Team abhängig. Einer aus der Jubiläumsexpeditionsgruppe, der sich auch Eike anschloss, litt zum Beispiel an Schneeblindheit. Der sofortige Abstieg in der Begleitung zweier weitere Bergeroberer war zwingend - und der Verzicht der Begleiter einmal auf dem höchsten Punkt der Erde zu stehen in dieser Situation selbstverständlich. Auch Eike wäre umgekehrt - als Begleiter für einen Verletzten, aber auch wenn der eigene Körper Zeichen von akuter Schwäche gezeigt hätte, die eine Umkehr unabdingbar gemacht hätten. Denn Erholung gibt es in einer Höhe von 8000 Metern nicht mehr. Jede Minute in dieser Höhe zehrt Kraftreserven auf.

Und was empfindet man dann am Ende auf dem Gipfel, 8848 Meter über dem Meeresspiegel? "In diesem Moment", sagt Eike, "wird der große Traum Realität." Und er spricht von orgiastischen Glücksgefühlen, die sich mit Unfassbarkeit, Erschöpfung und Müdigkeit zu einer Wahrnehmung mischen, die mit nichts zu vergleichen ist.

Gab es denn eigentlich je Niederlagen in diesem geradezu vom Erfolg gezeichneten Leben? "Einige", gibt Eike zu. Eine Mini-Niederlage ereignete sich wenige Wochen nach der Mount-Everest-Besteigung. "Nur zur Entspannung" wanderte Eike auf dem unspektakulären Bietschhorn. Obwohl dieser Berg nicht einmal halb so hoch wie sein großer Bruder Everest ist, erreichte Eike den Gipfel nicht: Die kleine Tour scheiterte kläglich bei dem Versuch, einen reißenden Gebirgsbach zu überqueren.

In seinen Bücherregalen stehen die Mount-Everest-Bücher dicht an dicht. Auf dem Boden aber liegt Florian Illies "Generation Golf zwei", den Schrank ziert eine Flasche guter Rotwein. Eike strahlt Zufriedenheit aus. Ist etwa nach dem Erklimmen des Superlativs - einer kaum zu toppenden Höchstleistung - Ruhe in den einst immer nur nach Höherem strebenden und rastlosen Eike eingekehrt? Oder locken bereits neue Herausforderungen? Der große K2 vielleicht? Vielleicht, sagt Eike und lächelt.

Der kürzeste Weg zum Mount Everest ist virtuell, äußerst lohnenswert und auch für völlig Ungeübte ziemlich ungefährlich: http://www.mounteverest.net

Ressort: Zisch

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 14. August 2003: PDF-Version herunterladen

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