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Kampf gegen den Ebergeruch

Bernhard Walker
  • Fr, 03. August 2018
    Wirtschaft

     

Weil Verbraucher den Geruch als unangenehm empfinden, werden Ferkel kastriert / Agrarbranche will dem dänischen Modell folgen.

Millionen männlicher Ferkel müssen der...en lassen, wenn sie kastriert werden.   | Foto: dpa
Millionen männlicher Ferkel müssen derzeit eine Tortur über sich ergehen lassen, wenn sie kastriert werden. Foto: dpa
Das deutsche Tierschutzgesetz ist klar: Ab dem 1. Januar 2019 dürfen Ferkel nicht mehr ohne Betäubung kastriert werden. Gegen das Verbot laufen nun allerdings Agrarverbände Sturm. Und Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) signalisiert, dass sie bereit ist, die Wünsche der Verbände zu erfüllen. "Eine Änderung des Tierschutzgesetzes wird nicht an der CDU/CSU scheitern", sagte sie Ende Juni auf dem Bauerntag. Klöckner riet den Landwirten, mit den Landesregierungen über das Thema zu sprechen. Dieser Rat blieb nicht ungehört.

So ist in der SPD-Bundestagsfraktion zu erfahren, dass vor allem die Landesregierungen von Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen Druck ausüben. Gerade die rot-schwarze Regierung von Hannover will so erreichen, dass Union und SPD im Bundestag das Tierschutzgesetz ändern.

Es ist also völlig offen, ob die betäubungslose Kastration ab 2019 vorbei sein wird. Diese Tortur müssen Millionen männlicher Ferkel jedes Jahr erleiden: Sie werden rasch nach der Geburt in einem Gestell fixiert, bevor ihnen mit einem Skalpell die Hoden entfernt werden. Damit verhindern die Schweinehalter, dass das Fleisch der Tiere beim Erhitzen einen Ebergeruch freisetzt, den die Verbraucher als unangenehm empfinden.

Schon seit Jahren kämpfen Tierschützer gegen die chirurgische Kastration. Sie konnten 2006 erreichen, dass die Erlaubnis, ein Tier betäubungslos zu kastrieren, nur bis zum siebten Lebenstag gilt, zuvor war es bis zur vierten Woche erlaubt.

Tierschützer machen sich für die Impfung stark

Im Jahr 2010 einigten sich Vertreter der Fleischwirtschaft, Bauernverbände und Tierschutzorganisationen aus ganz Europa auf die "Brüsseler Erklärung". Dieses Dokument, das auch der Deutsche Bauernverband mit unterzeichnet hat, besagt, dass die chirurgische Kastration ab 2018 enden soll. Dieses Ziel hat Deutschland nicht erreicht. Die höchst umstrittene Praxis soll ja erst 2019 enden. Diese Festlegung, die die schwarz-gelbe Koalition traf, kommt allerdings keineswegs überraschend. Sie steht seit Juli 2013 im Gesetzblatt. Schwarz-Gelb gab den Tierhaltern also eine lange Übergangsfrist. Deshalb ist es fast kurios, wenn der Landesbauernverband von Niedersachsen nun eine "schier endlose Hängepartie" beklagt.

Dahinter steht ein ökonomisches Kalkül. Die Agrarlobby fürchtet, dass weiter viele Ferkel aus dem Ausland importiert werden. Diese Entwicklung hat es in den letzten Jahren tatsächlich gegeben. Führte Deutschland im Jahr 1998 knapp 1,7 Millionen Ferkel ein, waren es nach Angaben der Bundesregierung im vergangenen Jahr 10,2 Millionen Tiere. Fast alle Importe stammen aus Dänemark und den Niederlanden. Der Agrarbranche wäre es nur recht, wenn künftig in der Bundesrepublik möglich wäre, was in Dänemark erlaubt ist (sogenannter "skandinavischer" oder "Vierter Weg").

In Dänemark wird zwar die betäubungslose Kastration ebenfalls ab 2019 verboten sein. Dort darf jedoch seit 2018 ein Tierhalter selbst die Hodenentfernung vornehmen, sofern er das Tier lokal betäubt. Das Verfahren, das ohne Tierarzt stattfindet, ist kostengünstig und genau deshalb der Wunsch der deutschen Agrarbranche. Die Lösung, wie sie in Holland praktiziert wird – dort werden die Tiere mit einem Mittel namens Isofluran betäubt – spielt in der deutschen Debatte keine Rolle. Denn in Deutschland gibt es nach Auskunft der Bundesregierung kein dafür zugelassenes Tierarzneimittel.

Aus Sicht der Bundestierärztekammer und der Tierärztlichen Vereinigung Tierschutz (TVT) kommt das dänische Prozedere, das die deutsche Agrarwirtschaft übernehmen will, keinesfalls in Betracht. "Die Verabreichung einer Lokalanästhesie in Hoden und Samenstränge ist für die Tiere hochgradig schmerzhaft. Sie sind durch die Fixation und Injektion gestresst und eine ausreichende Schmerzausschaltung während der Prozedur kann nicht garantiert werden – abgesehen davon, dass auch hinterher die Schmerzausschaltung in der Heilungsphase sichergestellt werden muss", betont die TVT.

Was also tun? Die TVT macht sich für die Impfung stark. Sie unterdrückt bei männlichen Ferkeln die Hodenfunktion und damit die Entstehung des Ebergeruchs im Steak, der Wurst oder im Schnitzel. Das Verfahren, so die TVT, sei völlig unbedenklich und führe zu einwandfreien Lebensmitteln. Allerdings meint die Agrarlobby, dass die Bürger Fleisch von geimpften Tieren nicht kaufen würden. Diesen Einwand weist die Bundesregierung zurück und meint, dass die Branche nicht genug getan habe, um diese Produkte voranzubringen.

Ressort: Wirtschaft

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 03. August 2018: PDF-Version herunterladen

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