Kein einziger Elch, aber viele Rentiere

SERIE "WAS TUN IM AUSLAND" (TEIL 3): Wandern als Schuljahresarbeit – mit Zelt und Rucksack im schwedischen Teil Lapplands.  

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Dieser Tage präsentierten Waldorfschülerinnen und -schüler ihre Jahresarbeiten. Die beiden Zwölftklässlerinnen Edda Winter und Charlotte Thieme sind elf Tage durch Lappland gewandert – und haben dazu viel recherchiert. Für die JuZ hat Edda Winter die Wanderung in einem Bericht zusammengefasst.

Einst war er die graue Eminenz der Wälder – heute zählt er zu den bekanntesten Wahrzeichen Schwedens: der Elch, Mythos auf wackeligen Beinen. Weit über Schwedens Grenzen hinaus kennen wir ihn als Kultobjekt. Einmal den Elch persönlich treffen, das ist eines der Ziele, mit denen wir uns auf den langen Weg nach Lappland machen. Dort suchen wir auf dem weniger bekannten Wanderweg "Padjelantaleden" elf Tage lang Freiheit und Abenteuer – und den Elch.

Nach einer beschwerlichen dreitägigen Anreise mit Flugzeug und Eisenbahn erreichen wir das schwedische Fjäll, den Gebirgszug an der Grenze zu Norwegen. Unserere Tour fängt an in Kvikkjokk, einem kleinen Dörfchen, malerisch am Hang gelegen. Auf einem Campingplatz am oberen Rand des Dorfes genießen wir zum vorläufig letzten Mal die Vorteile der Zivilisation: WC und warme Dusche. Von Kvikkjokk aus lassen wir uns in einem kleinen Motorboot über den See zu unserem Wanderweg bringen. Jetzt realisieren wir erst, wie weit wir von unserer gewohnten Umgebung und unseren Freunden weg sind.

Ausgerüstet mit Zelt, Schlafsack, Proviant, Kochgeschirr und wetterfester Kleidung im Rucksack biegen wir auf einen kleinen trampelpfadartigen Weg in den Wald ein. Idyllisch schlängelt sich der Padjelantaleden das Tarratal hinauf. Nach unserer Wanderung über unzählige kleine Bäche und Rinnsale, vereinzelte Felsblöcke und Hügel erreichen wir endlich die erste schwankende Metallbrücke. Am Nachmittag verrät uns ein Blick auf die Landkarte, dass wir erst sechs Kilometer gewandert sind.

Wir können es kaum glauben, denn diese paar Kilometer haben schon ziemlich an unseren Kräften gezehrt. Der so sorgfältig und durchdacht gepackte Rucksack ist schwerer als erwartet und die Schuhe drücken jetzt schon. Aber vor allem das Vorankommen in der wilden Landschaft dauert – anders als auf unseren heimischen Wanderwegen – fast unerträglich lange.

Doch dann erreichen wir die erste Wanderraststätte des STF (Schwedischer Touristenverband). Mit ihrem dunkelbraunen Anstrich macht sie auf uns einen tristen Eindruck und das Plumpsklo ist für uns ein deutliches Zeichen dafür, dass wir vollkommen abgeschottet sind von der modernen Zivilisation. Aber genau das ist die Herausforderung nach der wir gesucht haben.

Am nächsten Morgen blicken wir nach einem steilen Anstieg zurück ins Tal und all unsere Anstrengungen werden mit einem traumhaft schönen Panorama belohnt. Überall fließt das allerklarste Wasser. Für uns Stadtmädels ist dieser Überfluss an leckerem Trinkwasser jedes mal ein Hochgenuss – und außerdem eine Entlastung für Gepäck und Rücken.

Die tief hängenden Wolken erwecken den Eindruck, als würden sie aus aller Welt zusammenkommen um sich hier, nördlich des Polarkreises, zu treffen. Dieser Anblick löst ein überwältigendes Gefühl von Freiheit aus. Ganz unerwartet öffnet sich der Wald und vor uns liegt ein gigantisches Geröllfeld. Als wir mitten drin stehen, sind wir umgeben von großen grauen Steinen, die einst von weit oben kamen. In diesem Moment fühlen wir uns fast erschlagen von der Macht der Natur und uns wird klar, dass wir nur ein winziger unbedeutender Teil der Erde sind.

An der Grenze vom Sareks-Nationalpark zum Padjelanta-Nationalpark sehen wir endlich die für Schweden und speziell für Lappland und deren Urbevölkerung bekannten Rentiere. Den Elch können wir weit und breit nicht entdecken.

Fast vier Tage lang wandern wir im Tarratal immer höher und erreichen die Baumgrenze. Auf dieser Hochebene treffen wir auf eine in allen Blau-, Grün-, Türkis-Tönen schimmernde und glitzernde Seenlandschaft. Immer wieder müssen wir Flüsse überqueren, indem wir von Stein zu Stein balancieren um keine nassen Füße zu bekommen. Wir stehen mitten in einem uns undurchquerbar erscheinenden Fluss, als drei Schweden von der anderen Seite auf uns zu kommen. Sie rufen uns ein freundliches "hej" zu. Skeptisch betrachten sie, wie wir krampfhaft versuchen unter Einsatz der Wanderstöcke, keine nassen Füße zu kriegen. Die drei laufen ohne auf die Tiefe des Wassers zu achten, einfach durch den Fluss – und wir zwei fühlen uns wie echte, unbeholfene Greenhörner.

Uns zieht es nach Staloluokta, einem Dorf in dem noch heute Sami wohnen, die Rentiere halten. Das einstige Nomadenvolk musste in den vergangenen Jahrhunderten die Unterdrückung ihrer Kultur und Sprache, musste Rassismus und Ausbeutung ertragen. In 80er Jahren wurde ein Großteil ihrer Lebensgrundlage durch die Verseuchung nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl und später auch durch den Bau von Stauseen zerstört. Heute nutzen auch die Sami die Vorteile der modernen Zivilisation: Die Rentierherden werden mit Geländemotorrädern getrieben – und für weite Strecken buchen die Treibereinfach Helikopterflüge. Bis heute ist das Volk der "Sonne und des Windes" politisch nicht vollständig ins Recht gesetzt.

Schon von Weitem sieht man die blaue Fläche des Virihauresees, an dessen Ufer Staloluokta liegt. Als wir auf einem Hügel oberhalb des samischen Sommerlagers stehen, verzaubert uns die Schönheit des Fjälls aufs Neue: Direkt vor uns liegt der Virihauresee, dessen Wasser an manchen Stellen so türkisblau ist wie das Meer der Karibik. Im Hintergrund thronen riesige Berge mit weißen Gletschern.

In dem kleinen Ort am Ufer des Sees angekommen sehen wir die alten Wohnstätten der Sami, die so genannten Koten. Diese Hütten sind rund, aus Baumstämmen und Ästen gebaut und mit Gras bedeckt. Sogar eine Kirche und ein kleiner Glockenturm sind in dieser alten Bauweise gebaut. Ganz am anderen Ende des Dorfes finden wir einen kleinen Kiosk. Auf Empfehlung von deutschen Wanderern, die uns unterwegs begegnet sind, wollen wir dort das traditionell selbst gebackene Sami-Brot kaufen. Unsicher betätigen wir eine Klingel, über der ein Schildchen hängt: "For service press here!" Das Geräusch der elektrischen Glocke ist durch’s ganze Dorf zu hören. Kurze Zeit später stehen wir mit der Ladenbesitzerin vor ihrem Haus, in dem sie das legendäre Brot aufbewahrt. Neben dem Haus steht eine Kota, in der bäckt sie jeden Tag das große, runde, an eine unbelegte Pizza erinnernde Fladenbrot. Nach den tagelangen Fertigmahlzeiten genießen wir den frischen leckeren Brot-Geschmack.

"Wir hatten keine Zeit,

um über Angst

nachzudenken."

Edda Winter
Am siebten Tag verlassen wir den "karibischen" See und tauchen wieder in die schwedische Bergtundra ein. Gemächlich wandern wir bei strahlendem Sonnenschein zwischen den Bergen Mulkka und Huornnasj hindurch immer höher bis auf den höchsten Punkt des Padjelantaleden-Weges. Von nun an gelangen wir langsam von der Mondlandschaft mit ihren leuchtenden Gletschern, Flüssen und Seen wieder in ein Tal mit grünen, saftigen Wäldern und nähern uns dem Ende des Padjelantaleden. Kurz bevor der Fluss in den Akkajaure mündet, schlagen wir ein letztes Mal – direkt am Wasser mit Blick auf das Flussdelta – unser Zelt auf. Das etwas mulmige Gefühl der ersten Nächte, angespannte Horchen nach ungewohnten Geräuschen, ist mittlerweile ganz verschwunden. Aber meist waren wir ohnehin so müde, dass wir gar keine Zeit hatten über Angst nachzudenken sondern sofort einschliefen.

Nach schwankender Überfahrt in einem kleinen Schiff erreichen wir am elften Tag, den Ort Ritsem, das Ende des Padjelantaleden. Wir sind in "der letzten Wildnis Europas" gewandert, haben eine beeindruckende Natur und viele Rentiere gesehen. Abenteuer und Freiheit haben wir reichlich genossen, woran uns auch gelegentliche Mückenplagen nicht hindern konnten. Und der Verzicht auf zivilisatorische Annehmlichkeiten wie Klo und Dusche ist uns Greenhörnern leichter gefallen als befürchtet. Der Elch jedoch hatte wohl Reißaus genommen. So haben wir die phlegmatische Eminenz der schwedischen Wälder leider nie "live" zu Gesicht bekommen. Aber was ist schon ein Elch gegen das viele, was wir erlebt haben?

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