Account/Login

Kinder können alleine nicht aussteigen

Heidi Ossenberg

Von

Do, 09. Mai 2019

Kino

DOKU: "Kleine Germanen" von Mohammad Farokhmanesh und Frank Geiger über die Indoktrination in rechtsradikalen Familien.

Elsa lernt zu salutieren (Animationsszene).  | Foto: dpa
Elsa lernt zu salutieren (Animationsszene). Foto: dpa
Es gibt Dinge, die hält man nicht für möglich: etwa, dass ein Großvater im Jahr 1974 seine vier- oder fünfjährige Enkelin in eine Wehrmachtsuniform steckt, sie mit einer Spielzeugpistole "den Bolschewiken" erschießen lässt und ihr für diese Heldentat ein Ehrenzeichen verleiht. Dass er ihr über Jahre hinweg einschärft, Juden und Ausländer seien ausnahmslos böse und gefährlich, die eigene "Rasse" bedroht. Elsa aber erzählt in dem Dokumentarfilm "Kleine Germanen", der die Gefährdung von Kindern durch rechtsextremistische Indoktrination in der Familie thematisiert, genau diese Geschichten von ihrem Opa. Und weiter berichtet Elsa von den fatalen Folgen für ihr Leben und das ihrer Kinder, die sie später mit dem rechtsradikalen Thorsten hat.

Bemerkenswert ist, dass der Kinozuschauer Elsa nicht sieht. Ja, sogar die Filmemacher Mohammad Farokhmanesh und Frank Geiger haben Elsa nach eigenem Bekunden nie gesehen, nur mit ihr gesprochen. Weil sie, nachdem sie endlich erkannt habe, wie teuflisch diese rechtsradikale Bewegung sei, bis heute vor ihr fliehen müsse. Elsas Geschichte wird in dieser Doku mittels Animation erzählt, ihre Stimme mit Voice-over-Technik verfremdet.

Ist Elsas Scheu vor der Kamera noch nachvollziehbar, so fragt man sich jedoch, ob sich die Filmemacher mit ihrem Konzept – wen machen wir sichtbar, wen hörbar, wer ist real, wer gecastet – nicht verzetteln. So kommen kluge Extremismus-Experten zu Wort, Forscher, Erziehungswissenschaftler, Szeneaussteiger, die etwa erklären, dass es für Kinder nahezu unmöglich ist, aus diesem Milieu auszubrechen – weil sie damit alles verlieren würden. Doch bleiben unverständlicherweise auch diese Fachleute unsichtbar; was wir sehen, sind blonde Kinder, die gecastet wurden, also nicht in einem rechtsextremen Milieu aufwachsen müssen.

Selbstbewusst und auskunftsfreudig in Bild und Ton zeigen sich zwei weitere Gruppen: zum einen junge Menschen, die, als sie dem Elternhaus entwachsen waren und auf andere Gesellschaften trafen, sich auch von der Ideologie der Eltern lösen konnten. Und schließlich: der rechte Verleger Götz Kubitschek, seine Frau Ellen Kositza, die ehemalige NPD-Funktionärin Sigrid Schüßler und der Vorsitzende der Identitären Bewegung Österreichs, Martin Sellner. Sie wurden von den Filmemachern etwa zu ihrem Aufwachsen befragt – und erzählen bereitwillig und ohne dass sie durch Nachfragen oder Widerrede in ihrem Fluss gestört würden, etwa von der eigenen "gerahmten Kindheit" und davon, dass Disziplin und Strenge heute leider "ins Belieben gestellt" seien (Kubitschek). Die Frauen stellen ihre Mutterrolle in den Fokus: Ellen Kositza hat sieben Kinder, Sigrid Schüßler berichtet, dass sie sich der Erziehung ihrer vier Sprösslinge widmet und überdies öfters vor Gericht erscheinen müsse – wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung.

Die Filmemacher vertrauen offenbar darauf, dass der Zuschauer die Statements aller Protagonisten richtig einordnet. Das soll dafür sorgen, dass der Film zu gesellschaftlichen Debatten anregt – ohne Zweifel ein ambitioniertes, mutiges Ziel.

"Kleine Germanen" (Regie: Mohammad Farokhmanesh, Frank Geiger) läuft in Freiburg. Ab 12.

Ressort: Kino

  • Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der BZ vom Do, 09. Mai 2019:
  • Zeitungsartikel im Zeitungslayout: PDF-Version herunterladen

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel