Kreml verschärft Angriff auf Ukraine

Gewaltiger Militärkonvoi vor Kiew / Ukrainischer Präsident appelliert ans Europaparlament / Uno: bis zu vier Millionen Flüchtlinge.  

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Nach dem Beschuss des Rathauses von Ch... liegt der zentrale Platz in Trümmern.  | Foto: Pavel Dorogoy (dpa)
Nach dem Beschuss des Rathauses von Charkiw liegt der zentrale Platz in Trümmern. Foto: Pavel Dorogoy (dpa)

(dpa/AFP/BZ). Trotz internationaler Appelle für ein Ende des Krieges hat Russland seine Angriffe auf die Ukraine ausgeweitet. Aus dem Zentrum der zweitgrößten Stadt Charkiw wurde am Dienstag eine gewaltige Explosion gemeldet, auf die Hauptstadt Kiew bewegte sich ein Militärkonvoi von wohl mehr als 60 Kilometern Länge zu. Das Verteidigungsministerium in Moskau kündigte gezielte Angriffe auf die Informationsinfrastruktur des ukrainischen Geheimdienstes an.

Kiew beschuldigte Russland, Zivilisten zu töten und die zivile Infrastruktur zu zerstören. Charkiws Bürgermeister Ihor Terechow sagte, das russische Militär sprenge Umspannwerke. Dadurch komme es zu Problemen bei der Strom- und Wasserversorgung. Unabhängig überprüfen lässt sich das nicht. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof forderte Russland per "einstweiliger Maßnahme" dazu auf, Angriffe auf die Zivilbevölkerung in der Ukraine zu unterlassen. Ein solcher Spruch ist laut Gericht verbindlich, und er erfolgt nur selten und bei unmittelbarer Gefahr auf irreparable Schäden.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) und UN-Generalsekretär António Guterres forderten den russischen Präsidenten Wladimir Putin erneut auf, den Krieg sofort zu beenden. Die Vereinten Nationen stellen sich auf die Versorgung von bis zu vier Millionen Flüchtlingen ein. Seit dem Überfall auf die Ukraine seien 677 000 Menschen in Nachbarländer geflüchtet, die Hälfte nach Polen. Etwa 3000 hätten Deutschland erreicht, so die Bundespolizei.

Putin bekräftigte indes laut Kreml seine Bedingungen für eine Beendigung der "Militär-Operation" in der Ukraine. Die Regierung in Kiew müsse die "Volksrepubliken" Luhansk und Donezk sowie Russlands Souveränität über die Schwarzmeer-Halbinsel Krim anerkennen. Zudem müsse die Ukraine entmilitarisiert und in einen neutralen Status überführt werden. Es war die erste Äußerung dieser Art, nachdem am Montag Vertreter beider Seiten über eine Beendigung des Krieges verhandelt hatten. Die Gespräche sollen demnächst fortgesetzt werden.

Die Ukraine bot russischen Soldaten Straffreiheit und umgerechnet mehr als 40 000 Euro an, wenn sie sich ergeben. Finanziert werde die Aktion von der internationalen IT-Industrie.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verlangte per Videoschalte in einem emotionalen Appell ans Europaparlament die Aufnahme seines Landes in die EU: "Wir kämpfen für unsere Rechte, für unsere Freiheit, für unser Leben. Und nun kämpfen wir ums Überleben."

Russlands Außenminister Sergej Lawrow warf der Ukraine vor, die internationale Sicherheit zu bedrohen. Die Regierung in Kiew wolle eigene Atomwaffen, behauptete Lawrow per Video vor der Ständigen Abrüstungskonferenz in Genf.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg schloss erneut eine Beteiligung des Militärbündnisses am Ukraine-Krieg aus.

Die US-Regierung von Präsident Joe Biden beantragte beim Kongress umgerechnet fast sechs Milliarden Euro an weiteren Finanzhilfen für die Ukraine. Biden wollte in der Nacht zu Mittwoch (MEZ) unter dem Eindruck des Kriegs seine Ansprache zur Lage der Nation halten.

Baerbock will internationalen Schulterschluss gegen Putin

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte 500 Millionen Euro an humanitärer Hilfe an – zusätzlich zu jenen 500 Millionen Euro der EU für Waffenlieferungen an die Ukraine.

Der russische Angriff hat nach Einschätzung der US-Regierung zu einem Schulterschluss der Nato und anderer westlicher Verbündeter geführt. Die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, nannte Putin "einen der größten Einiger der Nato in der modernen Geschichte". Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) rief zum internationalen Schulterschluss gegen Putin auf.

Auch die baden-württembergischen Hochschulen brechen jetzt ihre Verbindungen zu Russland und Belarus weitgehend ab. "Es ist angesichts eines ungerechtfertigten Angriffskriegs selbstverständlich, dass staatliche russische – und belarussische – Institutionen nicht von Projektmitteln der Bundesrepublik profitieren dürfen", so die Landesrektorenkonferenz. Der Austausch mit russischen Wissenschaftlern soll auf individueller Ebene fortgesetzt werden.

Lars Feld, Berater von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Freiburger Wirtschaftsprofessor, begrüßte im BZ-Interview das 100-Milliarden-Euro- Sondervermögen für die Modernisierung der Bundeswehr. "Die Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr wird über mehrere Jahre anstehen und ist daher am besten durch ein Sondervermögen zu lösen."
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