Kritisch oder antisemitisch?

Nobelpreisträgerin Annie Ernaux holt ihre Unterstützung für anti-israelische Aktivisten ein.  

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Annie Ernaux bei einer Preisverleihung im Mai 2022  | Foto: JULIE SEBADELHA (AFP)
Annie Ernaux bei einer Preisverleihung im Mai 2022 Foto: JULIE SEBADELHA (AFP)
"Die dunkle Seite der Nobelpreisträgerin" überschreibt die Bild-Zeitung gerade die Debatte, die am Donnerstag die Jerusalem Post angestoßen hat. Dem Tag, an dem die Französin Annie Ernaux den Literaturnobelpreis erhielt. Und was in Frankreich schon länger immer wieder für Aufregung sorgte, ist nun auch bei uns aufgeschlagen: Ernaux’ Unterstützung von anti-israelischen Kampagnen.

Neben ihrer Unterschrift für Aktionen der Israel-Boykott-Organisation BDS trat Ernaux für die umstrittene Ex-Sprecherin der Partei Indigènes de la République ein. Houria Bouteldja fiel in Frankreich durch Aussagen auf, die ihr Homophobie- und Antisemitismusvorwürfe einbrachten. In einem Unterstützerbrief unterzeichnete auch Ernaux die Aussage, "niemals" sei Bouteldja antisemitisch. Die hatte davor erklärt, die frisch gewählte Miss France sei für die Wahl ungeeignet: Wegen ihres italienisch-israelischen Vaters könne sie nicht öffentlich auftreten ohne anzuerkennen, was die "israelische Identität für Millionen Palästinenser" bedeute. "Man kann nicht unschuldig israelisch sein", schloss Bouteldjas Statement.

Ernaux habe laut Jerusalem Post außerdem vier israelkritische Kampagnen unterzeichnet. So unterzeichnete sie 2021 einen offenen Brief, in dem Israel als Apartheidsstaat bezeichnet werde – aufgelistet seien dort israelische Angriffe auf Gaza und Palästinenser, während palästinensische Anschläge und Raketen nicht erwähnt würden. 2018 unterstützte Ernaux eine Kampagne zur Beendigung der französisch-israelischen Kulturzusammenarbeit. Darin heißt es, es sei "die moralische Verpflichtung jedes Menschen mit einem Gewissen, die Normalisierung der Beziehungen zum Staat Israel abzulehnen". Das Kulturprojekt diene dem "Whitewashing", also der Reinwaschung des Staates Israel. Im gleichen Jahr habe Ernaux die Freilassung von Georges Abdullah unterstützt, der seit 1982 in Haft ist, weil er 1980 einen US-Militärattaché und einen israelischen Diplomaten ermordet hatte. Im Mai 2019 schließlich forderte Ernaux mit 100 weiteren Unterzeichnern der französischen Kulturszene den Boykott des Eurovision Song Contest in Tel Aviv sowie einen Übertragungsverzicht in Frankreich.

Auch in Deutschland hat sich Ernaux in eine BDS-Debatte eingebracht. Die Stadt Dortmund entschied 2019, den Nelly-Sachs-Preis nicht an die pakistanisch-britische Autorin Kamila Shamsie zu vergeben, nachdem deren Sympathien für BDS bekannt wurden. Der Preis fördert "geistige Toleranz, gegenseitigen Respekt und Versöhnung unter den Völkern". Ernaux unterzeichnete gegen diese Entscheidung eine Protestnote – genau wie Alexander Kluge und 250 weitere Künstler.

BDS ist international hervorragend vernetzt. Gerade unter der europäischen Linken und in der Kulturszene genießt die Kampagne den Ruf, sich gegen das Unrecht des Staates Israel an den Palästinensern zu richten. Sie fordert aber auch das Ende der "Besetzung und Besiedlung allen arabischen Landes" – was manche als Angriff auf das Existenzrechts Israels lesen. Der deutsche Bundestag hat BDS als antisemitisch eingestuft und die BDS-Nähe mancher Künstler der Kassler Documenta war Grund vieler Debatten.
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