Lawinengefahr am Feldberg

Lebendig begraben: Lawinenübung mit der Bergwacht Schwarzwald

Am Sonntag hat sich am Feldberg eine Schneelawine gelöst. Sie verletzte niemanden. Doch für den Ernstfall ist die Bergwacht Schwarzwald gerüstet. Ein Selbstversuch am Feldberg.  

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Am Baldenweger Buck löste am vergangenen Sonntag das abgebrochene Stück einer überhängenden Schneewechte diese Lawine aus. Verletzt wurde niemand. Schätzungen zufolge gehen bis zu zehn Lawinen in einem Winter am Feldberg ab. Foto: Peter Francke
Nur wenige Zentimeter über dem Hinterkopf schließt sich die Schneedecke zum eisigen Verlies. Das Gesicht liegt auf gefrorenem Boden, Eiskristalle rieseln fein von oben herab. Die Arme kleben am Körper, links und rechts eingeschlossen von weißen Wänden. Nasskalter Schneegeruch. Dumpfe knirschende Laute von irgendwoher. Die Atmung rebelliert kurz, dann wieder Normalpuls. So fühlt es sich also an, lebendig begraben zu sein.Königswetter am Feldberg. Stefan Schaake holt seine Schaufel raus. "Lawineneinsätze sind im Schwarzwald selten. Das Problem ist, sie sind sehr komplex", sagt der Mann von der Bergwacht Freiburg. Fünf bis zehn Lawinen gehen seinen Schätzungen zufolge jeden Winter am Höchsten runter. Am vergangenen Wochenende waren es gleich zwei. Am Zastler lösten zwei Menschen eine Lawine aus. Am Baldenweger Buck brach von einer Schneewechte ein Stück ab, das in den darunter liegenden Neuschnee fiel und die Schneemassen in Bewegung setzte. Verletzt wurde niemand.

1980 gab es einen Lawinentoten am Feldberg

Häufig können sich die Menschen nach Lawinenabgängen im Schwarzwald selbst befreien. Doch manchmal endet es auch tödlich. So wie 1980 als es den bisher letzten Lawinentoten am Feldberg gab. Es war Schaakes allererster Einsatz bei der Bergwacht. Damals war er 14 Jahre alt. Heute schult er seine Bergwachtkollegen am Feldberg für Lawineneinsätze und bereitet sie für den Ernstfall vor.

Die Jacke ruft Hilfe. Eine Diode, die in die Kleidung eingenäht ist, reflektiert ein Radarsignal, das die Helfer aussenden. Die beste Suchmethode ist zwar immer noch die Schnauze der Lawinenhunde – doch der Vierbeiner ist an diesem Tag woanders im Einsatz. Das Suchfeld wird abgesteckt, nun wird jeder Zentimeter durchkämmt. Knapp einen halben Meter unter dem glitzernden Weiß, kriecht langsam die Wärme aus dem Körper.

Lungen verstopft

"Die meisten Todesopfer ersticken, weil der Schnee ihnen die Lungen verstopft", sagt Sachaake. Gerät man selbst in eine Lawine gibt es ein alles entscheidendes Überlebensprinzip: Hände vor den Mund bekommen, sobald die Lawine langsamer wird. "Mehr kann man oft nicht machen, das geht alles so schnell. Gerade genießt man noch das Wetter bei der Abfahrt und kurze Zeit später überschlägt man sich bereits", sagt Schaake.

Beim letzten großen Lawineneinsatz im Jahr 2002 waren laut Schaake vier junge Schneeschuhwanderer und Skitourengänger am Zastler unterwegs als eine Wechte über ihnen abbrach und die Lawine auslöste. Einer von ihnen tauchte nicht wieder auf. 60 Minuten waren die Retter auf der Suche nach ihm. In der Regel bedeutet eine solange Suchzeit das Todesurteil. Doch dann fanden sie ihn – zwar stark unterkühlt aber lebend und ansonsten nahezu unverletzt. "Der junge Mann wurde damals durch ein Wäldchen gespült, dabei lösten sich mehrere Äste. Einer davon lag am Ende auf seinem Gesicht. Das hat ihm das Leben gerettet", sagt Schaake. In anderen Skigebieten seien auch schon Menschen nach zwei Tagen aus dem Schnee befreit worden. "Wir graben solange bis wir den Körper gefunden haben", sagt der Berwachtler.

Wie Lawinen entstehen

Eine orangene Stange durchbricht die Schneedecke und rammt sich neben dem Anorak in den Boden.Vorsichtiges Tasten. Dann zischt sie wieder nach oben. Knirschende Schritte. Die Stange schnellt erneut herab und trifft den Arm. Rettung naht. Doch plötzlich wird das über einem schwebende Gewicht spürbar. Ein Gedanke nistet sich in Hirn: Wenn jetzt die Schneemasse nur einen handbreit nachgibt, zerquetscht sie alles unter sich.

Damit eine Lawine am Feldberg entsteht, benötigt es bestimmte Voraussetzungen: An einer steilen Stelle muss eine Gleitschicht vorhanden sein, darauf muss Neuschnee liegen und jemand oder etwas muss die Lawine auslösen. Die typischste Form einer Gleitschicht im Schwarzwald entsteht, wenn es zuerst schneit und dann regnet. Regenfälle im Winter sind bei einer Gipfelhöhe von 1493 Metern am Feldberg keine Seltenheit. Bei entsprechenden Temperaturen kann das dazu führen, dass die Schneeoberfläche gefriert und spiegelglatt wird. Auf dieser gefrorene Fläche, können sich die Schneekristalle nur schwer verhaken. "Fällt nun Neuschnee oder wird Schnee durch Winde auf diese glatte Fläche verfrachtet, kommt es zu einer heiklen Lawinensituation", sagt Schaake. Es kann aber auch sein, dass die Eisschicht nur sehr dünn ist, dann wirkt als Gleitschicht der vom Regen aufgeweichte obere Teil des Altschnees. "Dieser ist zu einer Art Schneepampe geworden, die wenig Stabilität aufweist."

"Die meisten Todesopfer
ersticken, weil der Schnee
ihnen die Lungen verstopft."Stefan Schaake
Gefahrenstellen am Feldberg befinden sich besonders an den kammnahen Hängen unterhalb des Bismarckdenkmals am Seebuck, am Baldenweger Buck und am Zastler. Der Wind bläst den Schnee über diese Kämme hinweg, es bilden sich Wechten und darunter türmt sich der Schnee. "Oft ist das Schrottschnee, weil der Wind die Schneekristalle zerstört hat. Dieser Schnee unterhalb der Kämme hat oft nur wenig Halt", sagt Schaake.

Tritt jetzt ein Mensch auf diese Flächen mit eingeblasenem Schnee und einer Gleitschicht darunter oder fällt ein Stück von einer Schneewechte darauf, rutscht das sogenannte Schneebrett herab. "Das ist dann so, als ob man einem ein Handtuch unter den Füßen wegzieht", sagt Schaake. Die Kraft der Schneemassen sollten Wintersportler nicht unterschätzen. "Es fühlt sich an, wie wenn dich ein weicher Lastwagen mit Tempo 50 trifft, da kann man sich unmöglich halten", sagt der Bergwachtler.



Kratzende und schabende Schaufeln durchbrechen das Verlies. Sonnenlicht. Stimmen erhalten Konturen, der dumpfe Schleier verschwindet. Zuerst wird der Kopf freigelegt und nachgeschaut, ob sich Schnee in den Lungen befindet. In V-Form arbeiten sich die Männer und Frauen wie Schaufelbagger von der Seite in die Schneemassen. Nach wenigen Sekunden lässt sich der Vorderste an der Spitze nach hinten fallen. Sein Platz wird sofort ersetzt.

Keiner soll versuchen, den Held zu spielen und nachher erschöpft zusammen brechen. Die hinteren Kollegen schaufeln die Schneemassen weg, das rotblaue Menschenknäuel funktioniert wie ein lebendiges Förderband. "Wer schon mal richtig im Schnee festgesteckt ist, kennt es. Im Grund müssen wir jeden Zeh freilegen, weil die Person wie in Beton gegossen ist", sagt Schaake.

Der Zeh ist frei. Die Piste am Seebuck ist voll. Niemand scheint zu bemerken, wie sich der "Verschüttete" bei seinen Helfern bedankt und diese in ihre Einsatzhütte zurückkehren – in ständiger Erwartungen Menschen aus Notsituationen zu befreien.

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