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Leisetreter statt Lautsprecher

Frank Hellmann
  • Mi, 16. Mai 2018
    Fussball

Bundestrainer Joachim Löw nominiert den vorläufigen WM-Kader / Petersen darf, Wagner darf nicht – und Neuer muss sich beweisen.

Die Überraschung ist ihm wieder mal ge...öw bei der Bekanntgabe des WM-Kaders.   | Foto: dpa
Die Überraschung ist ihm wieder mal geglückt: Bundestrainer Joachim Löw bei der Bekanntgabe des WM-Kaders. Foto: dpa
Joachim Löw hatte sich mal wieder ganz in Schwarz gekleidet. Eine Modefarbe, die der Genussmensch aus dem sonnigen Südbaden überaus schätzt, und die sich auch in das Bühnenbild fügte, das an diesem Frühlingstag im Dortmunder Fußballmuseum aufgebaut war. Zur Mittagszeit flimmerten über eine Videowand jene 27 Namen, die der Bundestrainer für sein vorläufiges Aufgebot für die WM 2018 in Russland auserkoren hatte. Der 58-Jährige wirkte hernach noch ein bisschen entspannter als ohnehin, weil kurz zuvor DFB-Präsident Reinhard Grindel die Vertragsverlängerung mit dem populärsten Verbandsangestellten bis 2022 – und damit bis zur umstrittenen WM in Katar – verkündet hatte.

Dass solch eine weitreichende Personalie – inklusive der Ausdehnung des Arbeitsverhältnisses mit Nationalmannschaftsmanager und DFB-Direktor Oliver Bierhof bis 2024 – beinahe zur Randnotiz verkam, dafür sorgte Löw selbst: indem er entgegen allen Ankündigungen mit einer faustdicken Überraschung in seinem Personaltableau aufwartete. Die Berufung von Nils Petersen war der Paukenschlag beim Weltmeister. Für den noch nie in der A-Nationalmannschaft eingesetzten Torjäger des SC Freiburg bleibt der in acht Länderspielen fünfmal erfolgreiche Sandro Wagner zuhause, was Löw eher nonchalant kommentierte: "Mein Job ist es leider auch, Träume platzen zu lassen und harte Entscheidungen zu treffen."

In der Causa Wagner sei die Entscheidung halt zugunsten anderer gefallen und die Nicht-Nominierung des 30-Jährigen habe an Kleinigkeiten gehangen. Dafür jubilierte also einer, der wohl selbst nicht mehr geglaubt hatte, nach den Olympischen Spielen auch noch eine WM zu erleben. Nun muss der 29-jährige Petersen noch das Trainingslager vom 23. Mai bis 7. Juni in Südtirol zur Werbung in eigener Sache nutzen.

Vergangenen Samstag noch hatte der Bundestrainer mit schicker Sonnenbrille im Schwarzwaldstadion gesessen. Viele hatten darin einen lässigen Ausflug vermutet, aber womöglich hat Löw in der Heimat letzte Belege gesammelt, dass der Leisetreter Petersen etwas besser in sein WM-Puzzle passt als der Lautsprecher Wagner, der sein überbordendes Selbstbewusstsein womöglich zu selbstgefällig und häufig nach außen kehrt. "Eine Mannschaft muss nicht nur auf dem Platz, sondern auch außerhalb funktionieren", betonte Löw bezeichnenderweise, der dem Vernehmen nach zwischenmenschlich nicht unbedingt auf einer Wellenlänge mit dem in vielerlei Hinsicht unkonventionellen Angreifer funken soll. Auch wenn Löw den gebürtigen Münchner als sehr guten Charakter pries, der immerhin in der abgelaufenen Spielzeit für den FC Bayern und 1899 Hoffenheim zwölf Tore erzielte und vier vorbereitete. Bei Petersen sind 15 Treffer (davon fünf Elfmeter) und drei Vorlagen notiert. Doch bei ihm sieht Löw urplötzlich ein Potenzial, dass ausbaufähig sein könnte.

Löws Hoffnung auf "die besondere Waffe" Reus

Eher keine Bauchentscheidung war es wohl, den am Rücken lädierten Emre Can und auch Mario Götze daheim zu lassen. Der 25-Jährige von Borussia Dortmund sei "wahrlich nicht in der Form" gewesen, die eine Nominierung rechtfertige – dann verblasst eben auch seine Heldentat aus dem WM-Finale 2014. Dafür erwartet Löw nun, vier Jahre später etwas von Götzes Kumpel und Klubkollege Marco Reus ("Er ist eine besondere Waffe"). Wobei dessen Nominierung mit der Hoffnung verknüpft ist, dass der begabte wie anfällige Dortmunder keinen Verletzungsrückschlag erleidet.

Daumendrücken in Sachen Gesundheit ist auch bei Manuel Neuer angesagt. Dass Löw den seit Mitte September 2017 nicht mehr eingesetzten Schlussmann vom FC Bayern neben Bernd Leno, Marc-André ter Stegen und Kevin Trapp berufen würde, hatte sich abgezeichnet. "Wir wollen uns bei voller Belastung selbst ein Bild machen", sagte der Bundestrainer und erklärte ausführlich, dass alle um die Verantwortung in der Gesamtsituation wüssten. Er habe gerade erst vorgestern wieder ein längeres Gespräch mit seinem Kapitän geführt.

Übereinstimmen Löw und Neuer demzufolge darin: "Ohne Spielpraxis in ein WM-Turnier zu gehen, ist unmöglich." Der 32-Jährige wisse selbst, was an Konzentration, Schnellkraft und Reaktionsvermögen auf diesem Niveau verlangt werde. Ende Mai, Anfang Juni werde es im Trainingslager ein ehrliches Gespräch geben. Es soll absolut keine "Wenn-dann-Szenarien" geben, womit feststeht: Nur wenn Neuer im Härtetest gegen Österreich am 2. Juni in Klagenfurt seinen Mann stehen kann, wird er nach Russland reisen. Sonst gehört der Welttorhüter zu jenen vier Protagonisten, die am 4. Juni bei der endgültigen Besetzung des 23-köpfigen WM-Kaders noch durchs Rüttelsieb rauschen.

Ressort: Fussball

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