"Man probiert, nicht an den Krieg zu denken"

Der Belgrader Stevan Petrovic war siebzehn Jahre alt, als die Nato Bomben auf Serbien warf - für die Jugendseite hat er seine Erinnerungen zu Protokoll gegeben.  

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Die Welt redet seit dem 11. September von einem möglichen Krieg. Von Bomben wird gesprochen und von Afghanistan; und hin und wieder werden leise Stimmen laut, die von den vielen afghanischen Zivilisten sprechen, die nicht nur nichts mit dem Terrorregime zu tun haben, sondern auch selbst darunter leiden. Gar nicht so lang ist es her, da war ein anderer "Schurkenstaat" unter Beschuss: Von März bis Juni 1999 warf die Nato Bomben auf Serbien. Stevan Petrovic war damals siebzehn und in Belgrad. Für die JuZ sprach er über seine Erlebnisse und Erfahrungen.

"Als die Leute anfingen über einen möglichen Bombenangriff zu reden, schmiedeten meine Freunde und ich Pläne, wie wir in dem Chaos eine Bank ausrauben könnten. Das war natürlich nur Spaß. Denn keiner hat geglaubt, dass man uns wirklich bombardieren würde. Ich habe mir einen verrückten Krieg vorgestellt, in dem alle Häuser zusammenkrachen und viele Menschen getötet werden. Aber geglaubt, richtig geglaubt, habe ich daran nie. Als dann die Sirene losheulte, war das ein Riesenschock.

Alle rannten aus ihren Wohnungen in die Bunker, es war ein ziemliches Chaos. Aber merkwürdig war es auch, denn obwohl das Bombardement angefangen hatte, passierte scheinbar nichts, man konnte nicht einmal die Flugzeuge hören. So fingen die Leute dann an zu reden, über einen biologischen Krieg, über chemische Waffen und darüber, dass unsere Bunker keine Filter hatten.

Nach drei Tagen fing ich an, mit meinen Eltern darüber zu streiten, ob ich immer noch in den Bunker muss. Die meisten Belgrader gingen da nämlich nicht mehr rein. Wir jungen Leute trafen uns auf den Straßen, tranken Bier, spielten Gitarre und sangen. Natürlich hatten wir alle Angst, aber man kann ja nicht einfach nur da sitzen und depressiv sein.

Deshalb probiert man halt, nicht an den Krieg zu denken und versucht, etwas Spaß zu haben. Ins Kino zu gehen zum Beispiel. Das war alles kostenlos, auch Theater, Konzerte, Oper. Richtig, während dieser Zeit war ich das erste Mal in der Oper! Ich hatte ein Mädchen im Bunker kennengelernt: Ruzica. Sie hat mich gefragt, ob ich mit ihr in die Oper gehe, und ich dachte mir, ja, warum nicht? Jeden Tag waren wir in irgendeiner Vorstellung. Bis der Bombenalarm losheulte, dann wurde immer abgebrochen. Aber es war trotzdem schön.

Ruzica ist heute meine beste Freundin. Ich glaube nicht, dass wir uns so nahe wären, hätten wir diese Zeit nicht durchgemacht. So ging es damals vielen Leuten. Jeder war dem anderen viel näher, weil alle die selben Probleme hatten, egal ob Freund oder Unbekannter. Heute vermisse ich das.

Die Leute haben mit der Zeit auch einen speziellen Humor entwickelt. Bei den Konzerten in Belgrads Stadtmitte, zum Beispiel, trugen alle Zielscheiben auf ihren Hüten und T-Shirts. Oder wenn die Stadtbusse über die beschussgefährdeten Brücken fahren mussten, dann drückte der Busfahrer unter dem Gejubel der Fahrgäste ("schneller, schneller!") auf's Gas. Eigentlich hat das alles nicht wirklich Spaß gemacht. Aber wir mussten halt unser Leben leben und jeder versuchte, das Beste für sich aus der Situation zu machen. Das alles war aufregend, aber ich hab' da ja gut reden, ich bin nicht verletzt oder getötet worden; und weil meine Eltern ein illegales Restaurant besaßen, konnte ich mir auch das Nötigste zum Leben kaufen.

Es ist wirklich merkwürdig, wenn du nicht weißt, ob du am nächsten Tag noch leben wirst oder nicht. Gedanken über die Zukunft kann man sich da nicht machen, höchstens darüber, wann man selbst eine Waffe in die Hand nehmen muss. Mein ganzes Denken war in diesen drei Monaten sehr anders. Ich glaube, das war das Schlimmste während dieser Zeit; nicht die körperlichen Entbehrungen, nicht die Angst, wenn du ein Flugzeug über dir hörst und dann, wie die Bombe fällt. Vielmehr, dass Milosevic und der Krieg meine Gedanken und Gefühle kontrolliert und beschränkt hat.

"Es ist wirklich merkwürdig, wenn du nicht weißt, ob du am nächsten Tag noch leben wirst oder nicht." Stevan Petrovic (19 Jahre)

Ich wusste ja wirklich nicht mehr, was ich denken sollte. Mein ganzes Leben war ich für Europa gewesen und gegen Milosevic, und jetzt bombardiert dieses Europa mit den Amerikanern mein Land. "Wer ist eigentlich der Gute hier?" hab' ich mich damals verzweifelt gefragt. Das war schon verwirrend. Dann all die Lügen von Milosevic im Fernsehen, auf allen Kanälen dieselben. Immer und immer wieder. Und obwohl du weißt, dass es nicht wahr ist, du wirst trotzdem beeinflusst.

Ich habe irgendwann tatsächlich geglaubt, die Europäer seien ein krankes Volk, dessen krankes System viele Homosexuelle und Geistesgestörte produziert. Meine damalige Meinung gegenüber Moslems war noch schlimmer, ich glaube, ich habe sie richtig gehasst. Mensch, ich war noch jung und es war leicht für Milosevics Medien, mich zu beeinflussen. Sie haben mir meinen Kopf und mein Gehirn versaut, und das war wirklich zum Kotzen.

Rückblickend waren diese drei Monate wirkliche keine gute Zeit, aber doch eine wichtige Erfahrung. Alles war so anders, als es je zuvor gewesen war - und als hoffentlich je wieder sein wird. Es war wie ein langer, langer Traum.

Der Bericht wurde aufgezeichnet

und übersetzt von Dominic Fritz

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