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Marilyn Manson und Muezzin

  • Do, 17. März 2005
    Zisch

     

Zwischen Schule, Schrein und Schnittlauch-Rolle: Beobachtungen einer Jugendlichen während einer eindrucksvollen Iranreise inklusive Flohmarkt und frommer Riten / Text und Fotos: Theresa Schleicher (17 Jahre).

W ir sitzen in einer Wartehalle im Frankfurter Flughafen. Auf einer Tafel steht groß "Iran Air - the Airline of the Islamic Republic of Iran". Genau dort wollen wir hin: in den Iran. Wir kramen unsere Kopftücher aus den Taschen und warten. Schließlich ruft eine Stimme den Flug auf. Zwei Stewardessen reißen die Tickets ab und weisen den Weg. Inzwischen haben alle Frauen Mäntel und Tücher an.

Zwischen der Economy- und der Business-Class ist ein kleiner Raum mit Vorhängen abgetrennt: der Gebetsraum. Nach einer Weile werden Bildschirme aus der Flugzeugdecke ausgefahren. Eine dunkle Stimme singt Koranverse. Auf dem Bildschirm erscheinen verschlungene arabische Schriftzeichen, dann Millionen Menschen, die die Kaaba in Mekka umrunden, und schließlich eine Moschee. Ein Blitz umkreist die Erdkugel und wird zum Flugzeug. "Iran Air - the Airline of the Islamic Republic of Iran" verkündet eine sonore Stimme, dann machen Gebet und Moscheen den Sicherheitshinweisen Platz.

Neben mir sitzt ein iranischer Geschäftsmann. Er importiert Wurstmaschinen. Nach viereinhalb Stunden Flug, unterbrochen von Mittagessen und iranischem Liebesfilm, dessen einziger Unterschied zu deutschen Liebesfilmen darin besteht, dass die Schauspielerinnen Kopftuch tragen, leuchtet unter uns Teheran im Dunkeln. Auch die letzten Frauen rücken jetzt ihr nach hinten gerutschtes Kopftuch zurecht. Das Flugzeug setzt auf der Landebahn auf - und wir sind da. In Teheran verbringen wir die ersten Tage, dann beginnt eine Rundreise durchs Land - per Inlandsflügen, denn die sind im Iran üblich und billig. Am Flughafen holt uns unserer iranischer Freund ab. Er ist nach einigen Jahren Deutschland in seine Heimatstadt Teheran zurückgekehrt und hat uns eingeladen, sein Land und seine Familie kennen zu lernen. Mit seiner Nichte Haleh gehe ich am nächsten Tag in die Schule. Es ist eine der besten Schulen Teherans - und: "Wir sind frei hier. Wir können mit unseren Haaren machen, was wir wollen und wir dürfen uns sogar schminken." Heute findet kein Unterricht statt. Weil es einer der letzten Schultage vor den kurzen Ferien zum 25. Jahrestag der Islamischen Revolution ist, gibt es Feierlichkeiten mit Reden auf Farsi (Persisch), die ich nicht verstehe - und mit iranischer Live-Popmusik. Das Mädchen neben mir spricht mich sofort an. Wo ich herkomme, will sie wissen, wie mir der Iran gefällt und was ich für Musik höre. Sie hört Marylin Manson, den findet sie "interessant". Wir tauschen E-Mail-Adressen aus. Nach einigen Iran-Pop-Songs beschließen Haleh und ihre Freundinnen, dass der Sänger schlecht ist - und zeigen mir die Schule. Nur etwa 200 Schülerinnen lernen hier. Gemischte Schulen gibt es im Iran nicht. In jedem der kleinen Klassenräume hängen zwei kleine Bilder von Khamenei und Khomeni, dem religiösen Führer der Landes und seinem Vorgänger. An der Tafel stehen mathematische Gleichungen in persischer Schrift. Die Mädchen lassen ihre Kopftücher herunterrutschen, begeistern sich für meine blonden Haare, erzählen und wollen viel über Deutschland und unsere Reise in den Iran wissen. Etwas Deutsch können sie schon: "Hallo" und "Ich liebe dich." Halehs Schule liegt im reichen Norden der Stadt. Je weiter nach Norden man in Teheran kommt, desto wohlhabender sehen die Häuser aus, desto kürzer werden die Mäntel der Frauen und desto mehr Haar guckt unter den Kopftüchern hervor.

Im Süden der Stadt besuchen wir an einem der nächsten Tage einen Freitagsbasar, einen Flohmarkt, der jeden Freitag stattfindet, dem Feiertag der Muslime. Unser Basar hat was Skurriles: Er breitet sich in einem Parkhaus aus, die Luft ist dementsprechend schlecht. Auf dem Fußboden liegt auf Decken allerhand Krimskrams, wunderschöne alte Teekannen, Messingtabletts, Schmuck, Kristallgläser, Silberdosen. Zwischen den Decken drängen sich die Menschen, begutachten die angebotenen Dinge, verhandeln die Preise. M it meinen blauen Augen, den blonden, unter dem Kopftuch hervorguckenden Haaren und mangelnden Farsi-Kenntnissen, bin ich leicht als Ausländerin zu erkennen, was sofort die Preise in die Höhe treibt. Ich kaufe eine Messingkanne, die angeblich hundert Jahre alt ist, wie fast alles hier, auch das kleine Plastikflugzeug, das unter leisem Quietschen im Kreis fährt.

Auf der Straße spricht mich ein Mädchen an: "Where are you from?" "From Germany", antworte ich. Wir werden häufig auf der Straße angesprochen, von Menschen, die uns als Ausländer erkennen und sich für uns interessieren. Wo wir herkommen, wie uns der Iran gefällt, was wir hier machen und was Menschen in Deutschland über den Iran denken, sind typische Fragen. "Ich freue mich, dich treffen", sagt das Mädchen.

In Qazwin, einer Stadt westlich von Teheran besuchen wir einen "Imamsadeh", den Schrein eines Angehörigen eines Imans. Die Imame sind nach schiitischer Überlieferung die Nachfolger Mohammeds: Der Zwölfte Imam ist "entrückt" und wird irgendwann wiederkehren und Gottes Reich auf Erden gründen. Alle Imame und ihre Angehörigen genießen im Iran extreme Hochachtung. Im Innenhof des Schreines in Qazwin herrscht fröhliches Treiben. Es gibt einen Zugang für Männer, einen für Frauen. Im Vorraum ziehen wir die Schuhe aus und leihen uns einen Chador, ein großes, unten rundgeschnittenes Tuch, das vom Kopf bis fast auf den Fußboden reicht und das man unter dem Kinn festhalten muss. So verhüllt betreten wir den Raum, in dem der Schrein steht. Auf der rechten Seite des zum großen Teil verspiegelten Raums steht der Sarg des Imam-Sohns, halb hinter der Wand, die den Männer-Bereich abtrennt. Drumherum sitzen und stehen Frauen jeden Alters. Sie unterhalten sich oder beten, in einer Ecke schlafen zwei Frauen in ihre Chadore gewickelt. Einige küssen das Gitter um den Schrein und schieben Geldscheine durch dafür vorgesehene Schlitze. Andere trinken Tee. Es herrscht eine Mischung aus tiefer Frömmigkeit und entspannter Natürlichkeit, die in einer deutschen Kirche nicht vorstellbar wäre.

Ich beobachte das Ganze vom Rand aus, bis eine alte Frau mir bedeutet, ich könne ruhig näher an den Schrein kommen. Am Ausgang steht eine junge Frau, die jeder, die den Schrein verlässt, eine Rolle aus Brot, Feta und Schnittlauch in die Hand drückt. Wahrscheinlich sind ihre Gebete erhört worden, und sie bedankt sich auf diese Weise. Im Innenhof kommt eine andere Frau mit einer Flasche Rosenwasser auf uns zu, gießt etwas in unsere Hände und bedeutet uns, es auf unseren Kleidern zu verteilen.

Eine weitere Station unserer Reise ist Yazd, eine Wüstenstadt mit wunderschöner Altstadt aus Lehmhäusern. Im Flugzeug unterhalten wir uns mit einer iranischen Studentin über ihr Studium, die kommende Parlamentswahl und die Situation im allgemeinen. "Wir lieben unser Land. Aber nicht unsere Regierung", sagt sie. Yazd hat neben zwei sehr schönen Moscheen auch einen wichtigen Feuertempel und ist das Zentrum der Zoroastrier im Iran. Der Zoroastrismus ist eine sehr alte Religion, wahrscheinlich die älteste monotheistische Religion der Welt, die auf den Propheten Zarathustra zurück geht. Sie war die dominierende Religion im Persischen Reich, hat aber an Einfluss und Anhängern verloren. Die meisten Zoroastrier leben heute als "Parsen" in Indien. In Yazd gibt es noch Tempel und Pilgerstätten, wo die Zoroastrier ihre Feste feiern. Einige Zeremonien seien zwar verboten, aber die Situation habe sich entspannt, seit Chatami Präsident ist, erzählt ein Fremdenführer. Chatami kommt aus einem zoroastrischen Viertel bei Yazd. Zoroastriern gegenüber sind die meisten Leute, mit denen wir sprechen, sehr tolerant. Der Nationalstolz vieler Iraner erstreckt sich auch auf diese "persische" Religion. Gegenüber Juden allerdings spürt man oft Ablehnung, obwohl Judentum, Christentum und Zoroastrismus als einzige Religionen außer dem Islam in der iranischen Verfassung als Buchreligionen anerkannt und erlaubt sind.

In Yazd, wie in den meisten Städten, trägt ein Großteil der Frauen den schwarzen Chador. Das lange Tuch weht hinter ihnen her, wenn sie hinten auf den unzähligen Mopeds sitzen, die Irans Verkehr unsicher machen. Und wenn sie keine Hand frei haben um es unter ihrem Kinn fest zu halten, klemmen sie es sich zwischen die Zähne. Manche Frauen legen durchaus großen Wert darauf, was sie unter dem langen Schleier tragen. Bei einigen ragen spitze Stöckelschuhe hervor - frommer schiitischer Islam kombiniert mit Moderne. Diese verblüffende Mischung begegnet uns auch im Fatima-Mausoleum in Qom. Dort weist ein Schild auf einen Computerraum innerhalb der Schrein-Anlage hin, mit Internetzugang für die Pilger.

Auf dem Weg von Yazd zurück nach Teheran übernachten wir in Kashan. In einem urigen Teehaus, empfängt uns der Besitzer des Hauses, der sich sehr über seine deutschen Gäste freut. Wir trinken Tee, rauchen Wasserpfeife und bestaunen seine beiden zahmen Vögel, von denen einer fast immer auf seinem Kopf thront und auf die Frage "Wie macht die Katze?" "Miau" antworten kann.

Nach zwei Iran-Wochen geht es nach Deutschland zurück. Auf dem Frankfurter Flughafen setzte ich mein Kopftuch ab. Es ist merkwürdig anders, plötzlich ohne das Tuch auf die Straße zu gehen, der Verkehr wirkt gegen das unglaubliche Chaos auf den Teheraner Straßen ruhig, keiner fährt auf der Gegenspur, nur weil da gerade frei ist, im Flughafen gibt es keinen Pfeil in Richtung Mekka und mittags ruft nicht der Muezzin.

Ressort: Zisch

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