Melodram
"Mein Leben mit Amanda" – das Trauma der Terroranschläge in Paris
Von der Hymne auf urbane Selbstverständlichkeit zur Elegie der Verwundbarkeit: "Mein Leben mit Amanda" erzählt vom Trauma der Terroranschläge in Paris.
Gerhard Midding
Mi, 11. Sep 2019, 19:49 Uhr
Kino
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Der Film, der anhebt wie eine Sommerkomödie, beschwört eine Idylle, die weder Folklore noch Utopie ist. Nicht, dass das Leben von David (Vincent Lacoste) und seiner Schwester Sandrine (Ophélia Kolb) sorglos wäre. Als Englischlehrerin muss sie ihre siebenjährige Tochter Amanda (Isaure Multrier) allein aufziehen. Der jüngere Bruder ist ihr dabei nicht immer eine zuverlässige Stütze, kommt schon mal zu spät, wenn er Amanda von der Schule abholen soll. Er ist längst noch nicht im Erwachsenenleben angekommen, macht eine Ausbildung beim Gartenamt der Stadt und verdient nebenher Geld als Faktotum eines Immobilienbesitzers. Aber seit ihre Mutter die Geschwister in Kindertagen verließ, sind sie unzertrennlich.
Dann geschieht eines Abends das Unvorstellbare. Als David verspätet zu einem Picknick mit Freunden in den Bois de Vincennes kommt, findet er ein Schlachtfeld vor: Terroristen haben ein Massaker angerichtet, bei dem Sandrine getötet wurde. Auch Davids neue Nachbarin Léna (Stacy Martin), in die er sich verliebt hat, schwebt in Lebensgefahr.
Bis der Film an seinen entsetzlichen Umschlagpunkt gelangt, hat sich die Montage der undramatischen Momente zu einer Hymne auf urbane Selbstverständlichkeit verdichtet; beiläufig, aber in Komplizenschaft mit dem Publikum. Nun wird er eine Elegie der Verwundbarkeit. In Frankreich kam "Mein Leben mit Amanda" drei Jahre nach den Anschlägen des 13. November 2015 heraus. Eine behutsamere Aufarbeitung dieses Traumas als Hers’ Film, in dem das Intime und der öffentliche Raum stets auf Sichtweite bleiben, kann man sich kaum vorstellen.
In immer noch lichten Bildern begleitet er David und Amanda in ihrer Trauer. Auch ihr verleiht er die Würde des Alltäglichen. Von Heilung will er noch gar nicht sprechen, vorerst hofft er, dass die Tränen und die Worte irgendwann einmal zusammenfinden. Mit berückender Geduld bezieht er auch Lénas Art des Trauerns in seinen erzählerischen Radius mit ein.
Vorsichtig wirft dieser Film, der die große Frage nach Hinterlassenschaft und Erbe allein schon anhand einer Zahnbürste zu verhandeln weiß, Anker in die Zukunft. David muss entscheiden, ob er der Vormund seiner Nichte werden will. Lacoste, der nach wie vor die schlaksige Aura eines Teenagers besitzt, in dessen Augen nun aber eine suchende Reife aufblitzt, wächst wunderbar hinein in diese unverhoffte Vaterschaft. In jedem Moment ist das lebhafte, wehmütige Einverständnis zu spüren, das sich zwischen ihm und der kleinen Isaure Multrier entwickelt: David und Amanda werden voneinander lernen.
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