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Fernsicht und Wurstsalat

Johannes Bachmann
  • Fr, 08. Oktober 2021
    Südwest

BZ-SERIE "SÜDBADENS SCHÖNSTE E-BIKE-TOUREN" (12/13): Mit dem Mountainbike hoch über Todtnau /.

Schwarzwald-Hoch: Coole Kühe passen perfekt zu einem Traumtag auf dem E-Mountainbike. Foto: Johannes Bachmann
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ein E-Mountainbike "Horst" ist ein alter Herr, ins Rollen kommt er mit mürrischem Summen. Der Akku hat eigentlich 300 Watt, 200 lassen sich daraus mit gutem Willen und zugeschalteter Beinkraft noch abrufen. Die Leistung meines elektrifizierten neun Jahre alten Seniors soll heute reichen für 1100 Höhenmeter. Ob er sich wohl begeistern lässt für eine Tour, die grandiose Blicke ins Todtnauer Land, atemberaubende Fernsicht auf schneebedeckte Alpengipfel und zur Belohnung einen deftigen Wurstsalat am Knöpflesbrunnen bietet?

Rein in die Klickpedale, Akku an, Modusschalter auf Eco-zwei. Los geht’s am Schönauer Schwimmbad, talaufwärts Richtung Schönenbuchen, am Ende des Campingplatzes über eine Brücke. Entlang der Richtung Rhein fließenden Wiese rollen wir Richtung Utzenfeld. Die Bundesstraße gequert, rein in einen holprigen Wiesenpfad, zweimal zum Absteigen gezwungen durch Metallbarrieren. Die dicken Stollenreifen greifen weichen Schwarzwaldboden, es ist ein Dahinrollen ohne Mühe.

Die Karte, vor dem Start eindringlich studiert, die Route mit Textmarker markiert, steckt ebenso im Rucksack wie der auf dem Handy installierte digitale Wegweiser. Wir rollen vorbei an Aitern. Steil bergauf. Das Bauchgefühl sagt: Zu viel Asphalt. Zu wenig Sand. Links und rechts verwechselt, Ost und West vertauscht. Wo bitte geht’s Richtung Brenntkopf und Lückle? Bauer Lothar Kohler, grüne Latzhose, weist von seinem blauen Traktor Richtung Himmel: "Einfach uffi." Kurve links, Kurve rechts. Die Zeichen, die uns leiten sollen: verwaschen. Der blaue Radler auf dem verblassten Gelb ist nur noch zu erahnen, der Richtungspfeil: weg.

Bauchgefühl hilft hier nicht weiter, das Fahrrad-Navi schon. In einer Kehre sind wir, wo wir sein sollen/wollen, biegen links ab auf den breiten Panoramaweg Richtung Bächterhütte. Kopfkino, Karte und Navi sind deckungsgleich, auf einem Pfad zum Träumen. Schauen, staunen. Den Blick schweifen lassen, 400 Meter über dem Talgrund. In der Ferne Schwarzwaldgipfel. Rechts vom Schaltgriff Steilwiesen, Strauchbewuchs, herbstbunt. Zwei Rehe kreuzen langsam den Weg. Aus Treten wird Gleiten. Entschleunigung am Berg. Atemberuhigend, kein Pfad zum Heizen. Es ist Zeit für ein Päuschen auf einer windschiefen Bank. Der Ausblick vorbei an einem Hochsitz ist sättigend wie ein Schwarzwälder Speckvesper. Das Büro ist weiter weg als der Mond.

Motor an. Nur noch zwei statt sechs Balken Power. Ach Horst, du bist gefräßig! Acht Prozent Steigung kosten Kraft. Und Strom. Faustdicke Steine liegen auf dem Weg. Einfach drüber. Der Himmel rückt näher, der Wald unterm Brenntkopf auf dem Weg Richtung Lückle wird dichter. 1157 Meter hoch liegt die Passhöhe. Karte und App empfehlen die Asphaltstraße Richtung Wiedener Eck. Wir entscheiden uns für eine Variante, ein Stück des Premium-Wanderwegs Belchensteig. Singletrail-Feeling. Zugewuchert sind die ersten hundert Meter, dann öffnet sich der Bergwald. Mit raumgreifendem Schritt kommen uns zwei geübte Wanderer aus Lörrach entgegen, der Begegnungsverkehr ist herzlich. Familie Weitzer staunt über Horst. "Der fährt noch?"

Wiedener Eck. Blick in den Rucksack, auf Karte und Kompass. Das Navi ist unpässlich. Route verloren. Na und? Schauen, was da noch kommt. Weite. Schwarzwald-Wildnis, gezähmt und doch unbändig. Abwärts über Ungenwinden. Wir fahren zu weit ab, in einen verwunschenen, urwaldgrünen Dobel. Macht nichts. Das Traumziel liegt hoch über unserem Kopf.

Schwung holen für eine Herausforderung: den Anstieg zur Schwarzwaldalm Knöpflesbrunnen. Sieben Prozent Steigung auf einem Schotterweg mit Schweißausbruchgarantie. Der letzte schmale Ladebalken erlischt. Horst mag nicht mehr. Power off. 23 Kilo gummibereifter Erdenschwere bocken am Berg. Ausgestromert. Der Kopf sagt: Aufgeben. Der Bauch: Hunger. Die Seele: Probier’s doch wenigstens. Kette links, hoch aufs größte Ritzel. Treten, wuchten, fluchen. Die Plackerei endet am Sehnsuchtsort Knöpflesbrunnen, einer Alm, als hätte sie Heidis Öhi erschaffen. Die Fernsicht: atemberaubend. Schweizer Viertausender, gleißend weiß am Horizont, gibt’s als Zugabe zu Wurstsalat und kühlem Radler.

Hüttenwirtin Hanna Butz, daheim in Utzenfeld, ahnt, in Sorge um den Kollaps ihres gut gefüllten Kühlschranks, was wir wollen: "Akku laden geht hier leider gar nicht, das Netz ist zu schwach." Ein doppeltes Dutzend Bergauffahrer zählt sie hier täglich unter der Woche, "die meisten haben ein E-Bike". Es geht auch anders. "Ich bleib’ beim Bio-Bike", sagt Susanne Henrich (59) aus Bühl, die mit ihrem Mann Walter mit schierer Muskelkraft die Hütte erreicht hat. Wir nehmen Abschied, mit einem Akku ohne Saft. Auf einem Forstweg in den Tann, vorbei an entspannt glotzenden Kühen. Der Blick geht weit Richtung Todtnauberg. Rufflig ist der Schotterweg, der hinunterführt nach Aftersteg, Horst donnert spurstabil wie ein Hornschlitten talwärts.

Auf Asphalt erwartet uns ein magischer Ort: die 25 Prozent steile Rampe der "Alpe de Fidlebrugg". Hier macht Chefmotivator Thomas Zipfel beim Black-Forest-Ultrabike-Marathon alljährlich den mit der Schwerkraft kämpfenden Bergaufkurblern die Hölle heiß. Ein Spektakel, das es zuletzt 2019 gab. Die Aufmunterungsgraffiti auf der geteerten Wand sind verblasst. Wir wollen da nicht hoch. Dann halt runter, mit Überschlagsgefühlen im Nacken. Der Rest ist Genuss, auf dickem Pneu abwärts rubbelnd nach Todtnau. Am ersten Kreisverkehr rechts, dann dem grünen Radlerpiktogramm folgen, einbiegen auf eine historische Trasse, auf der einst die Lok des "Todtnauerli" durchs Wiesental schnaufte. Vorbei an Schlechtnau, begleitet vom Murmeln der Wiese, zurück zum Schönauer Schwimmbad. Raus aus den Klickpedalen, runter vom Sattel.

Danke Horst!

Ressort: Südwest

Dossier: Südbadens schönste E-Bike-Touren

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 08. Oktober 2021: PDF-Version herunterladen

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