Folgen der Pandemie

Mit mehr Sozialarbeitern wollen Denzlinger Schulen der zunehmenden Gewalt begegnen

Markus Zimmermann

Von Markus Zimmermann

Mo, 30. Januar 2023 um 07:42 Uhr

Denzlingen

Die Leiterinnen der Denzlinger Schulen sind alarmiert, weil die Gewalt unter Schülern seit der Pandemie zugenommen hat. Helfen sollen mehr Schulsozialarbeiter. Das Deputat wurde deutlich aufgestockt.

Das Stellendeputat der Schulsozialarbeit an den Schulen in Vörstetten, Reute und Denzlingen wird erhöht. Mit 14 zu fünf Stimmen beschloss die Verbandsversammlung des Gemeindeverwaltungsverbands Denzlingen, Vörstetten, Reute (GVV) in der jüngsten Sitzung, dieses von 3 auf 4,6 Vollzeitstellen aufzustocken. An der Ruth-Cohn-Schule steigt das Deputat am stärksten – von 1,25 auf zwei vollen Stellen.

"Die jüngsten Schulanfänger kennen sich in Gruppenprozessen schlicht nicht aus, haben eine nur geringe Frustrationstoleranz entwickelt und zeigen im Gegenzug eine erhöhte Gewaltbereitschaft." Silke Siegmund, Schulleiterin Grundschule Denzlingen
"Die Schulsozialarbeit, die zum 1. Januar 2008 im GVV eingeführt wurde, ist gut etabliert und wird von allen wertgeschätzt", würdigte Silke Siegmund die seit 15 Jahren kontinuierlich ausgebaute Arbeit. Dennoch komme das Angebot an Grenzen, so die aktuelle geschäftsführende Schulleiterin des Verbands, zumal die Probleme, denen präventiv begegnet werden soll oder bei denen eine Intervention notwendig ist, durch die Corona-Zeit deutlich zugenommen hätten.

Folgen der Pandemie in Grundschule deutlich sichtbar

Die Folgen der Pandemie würden gerade im Grundschulbereich deutlich, so die Rektorin der Denzlinger Grundschule. Den Schulanfängern der ersten beiden Jahrgänge fehle, auch weil Kindertagesstätten geschlossen waren, die Erfahrung im Umgang innerhalb von größeren Gruppen. "Sie kennen sich in Gruppenprozessen schlicht nicht aus, haben eine nur geringe Frustrationstoleranz entwickelt und zeigen im Gegenzug eine erhöhte Gewaltbereitschaft", so Siegmund. Dies setze sich an den weiterführenden Schulen fort.

"Was wir mitbekommen, wenn wir es überhaupt mitbekommen, ist erschreckend." Evelyn Heeg, Schulleiterin der Ruth-Cohn-Schule über Soziale Medien
"Wir haben die sozialen Medien für den Unterricht gebraucht", so Evelyn Heeg, Schulleiterin der Ruth-Cohn-Schule. Andererseits lasse sich nur erahnen, wie sehr die Sozialen Medien die Schüler beeinflussen. "Was wir mitbekommen, wenn wir es überhaupt mitbekommen, ist erschreckend", sagte Heeg. Parallel dazu seien die Schüler durch den Krieg verängstigt und zugleich durch dessen Folgen, wie etwa die Inflation, zunehmend mit Existenzsorgen konfrontiert. Das führe zu Verhaltensauffälligkeiten in bisher nicht bekanntem Umfang. "Die Schulabsenzen, also dass Schüler der Schule fern bleiben, waren früher Einzelfälle. Jetzt sind die Zahlen regelrecht explodiert."

77 Prozent der Schüler haben einen Migrationshintergrund

Heeg betonte, dass für die Schulen auch die Integrationsarbeit eine Herausforderung sei. Um dies zu verdeutlichen, nannte Sie Zahlen: 77 Prozent der Schüler im Werkrealschulzug hätten einen Migrationshintergrund, im Realschulzug liege ihr Anteil bei 31 Prozent.
Wie das Land die Schulsozialarbeit fördert

"Die Schulsozialarbeit ist Aufgabe der Kommunen", so Florian Mader. Der Pressereferent des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration betont, dass das Land seit 2012 freiwillig die Schulsozialarbeit fördere. Seither werde eine Vollzeitstelle mit 16.700 Euro bezuschusst. Die anfangs bereitgestellte Summe von 15 Millionen Euro sei sukzessiv auf mittlerweile 42,7 Millionen Euro für 2023 erhöht worden. "Zusätzliche Mittel können aus dem Pakt für Integration abgerufen werden, um einen Bedarf der Schulen an Schulsozialarbeit aufgrund von Schülerinnen und Schülern mit Fluchthintergrund abzudecken", so Mader.

"Wir wollen nicht dahin kommen, dass wir Kinder vom Unterricht oder Schulbesuch ausschließen müssen", so Siegmund. Doch die Gewalt nehme zu, in der Folge gebe es mehr Fälle, bei denen Erziehungs- oder Ordnungsmaßnahmen erforderlich seien. Zudem seien den Mitarbeitern der Schulsozialarbeit immer mehr Verdachtsfälle bekannt, bei denen das Kindeswohl gefährdet ist. Die Schulsozialarbeit erreiche Eltern, zu denen die Schule nicht durchdringe, so Siegmund.

Prävention und Intervention, Beratung von Kindern, Eltern und Lehrern könne die Schulsozialarbeit mit der gegenwärtigen Stellenbesetzung nicht mehr im notwendigen Umfang leisten. Erfolgreiche Programme wie die Ausbildung und Begleitung von Streitschlichtern könnten in der Folge nicht mehr stattfinden, sagte Siegmund.

Um Außenwirkung der Schule besorgt

Neben den Folgen für die jeweils Betroffenen befürchten die Schulleitungen zudem eine "negative Auswirkung auf die Außenwirkung der Schulen". Dem Leiter der Verbandsversammlung Markus Hollemann zufolge sind die beschriebenen Schwierigkeiten keine spezifischen Denzlinger Probleme.

Weil die Lehrer – auch angesichts des Lehrermangels – nicht auffangen könnten, was zu Hause schief laufe, plädierten die Schulleitungen dafür, die Stellen für die Schulsozialarbeit aufzustocken. "Es ist eigentlich eine Aufgabe des Landes", sagte Michael Dick (Bürgerliste Denzlingen). Er forderte, dass sich die Sozialarbeiter mehr um die Opfer kümmern müssten. "Mit den Tätern muss man ganz anders umgehen", so Dick, der zugleich dafür plädierte, die Aufstockung der Stellen auf zwei Jahre zu befristen. "Es wird sich um beide Parteien gekümmert, damit Vorfälle, die es gibt, sich nicht wiederholen", entgegnete daraufhin Siegmund. Daniel Böhler (CDU Denzlingen) forderte neben einer Aufstockung der Schulsozialarbeit, trotz sinkender Schülerzahlen, flankierende Maßnahmen, um den wachsenden Problemen zu begegnen.

Reuter Bürgermeister ist Schulsozialarbeit zu teuer

"Das Geld ist nicht mehr da, die Ressourcen reichen nicht nur bei der Schulsozialarbeit nicht mehr, sondern insgesamt bei den Kommunen", so Reutes Bürgermeister Michael Schlegel. Die Ursache für fehlende Frustrationstoleranz und mehr Gewaltbereitschaft liege in den Familien, gleichzeitig liege die Vereinsarbeit, die etwas ausgleichen könne, brach. "Es klingt hart, aber wir brauchen einen Weg durch die Mitte." Er schlug vor, über eine Erhöhung um eine nicht um 1,6 Stellen zu entscheiden.

"Das Geld ist da, wir müssen nur entscheiden, wofür wir es ausgeben." Thomas Pantel, Gemeinderat (Grüne, Denzlingen)
"Das Geld ist da, wir müssen nur entscheiden, wofür wir es ausgeben", sagte Thomas Pantel (Grüne Denzlingen). Ihm zufolge stehen die Kommunen grundsätzlich vor der Frage, Prioritäten setzen zu müssen. "Wenn die Familien vieles nicht mehr leisten, wenn das Land nicht mehr finanziert, können wir uns nicht hinter deren Versäumnissen verstecken" so Pantel. Er warnte davor, bei der Aufstockung zu kürzen. Das sei weder geboten noch verantwortlich. Er sah den Antrag der Schulleitungen wohl begründet. "Das ist keine Wunschliste, kein Nice-to-have, sondern das Notwendige", so Pantel.

Auf die Frage von Johannes-Claus Beck (CDU Reute) wo, das Fachpersonal herkomme, erklärte Meinhard Schamotzki, Geschäftsführer der Diakonie-Emmendingen, die Träger der Schulsozialarbeit an 16 Schulen im Landkreis ist: "Es wird eine Herausforderung, aber mit Vorlauf auf den Beginn des Schuljahres 2023/24 sollte uns das gelingen." Dass das Land seit 2011 seine Zuschüsse nicht erhöht habe, kritisiert er. Die beschlossene Erweiterung der Stellen wird den vom Verwaltungsverband getragenen Kostenanteil von jährlich 144.000 Euro um rund 70.000 Euro erhöhen.