Meßkirch

Mittelalter-Stadt "Campus Galli": Weniger Besucher, mehr Kritik

Das Mittelalter-Stadt-Projekt "Campus Galli" in Meßkirch schreitet voran. Allerdings kamen bisher weniger Besucher als erwartet. Zugleich nehmen Kritiker das Projekt unter Beschuss.  

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Werkeln wie im Mittelalter: Mitarbeiter von Campus Galli Foto: Bloedner
Das Projekt Campus Galli geht in die dritte Saison: In Meßkirch soll nach dem alten St. Galler Klosterplan eine mittelalterliche Stadt errichtet werden – mit Arbeitsmitteln des 9. Jahrhunderts. Die Zahl derer, die das Projekt gegen Eintrittsgeld besuchen, hat bisher die Erwartungen nicht erfüllt. Die Stadt schießt weiter Geld zu, die Macher kämpfen mit eigenen Ansprüchen – und Anfeindungen aus der Szene.

Der Blasebalg pustet kräftig und stetig, die Flamme lodert, das Werkstück wird erhitzt. Johannes, der Schmied, legt das Eisen auf den Amboss und formt mit kräftigen Hammerschlägen ein Scharnier, das später an der Werkzeugkiste des Zimmermanns angebracht wird. Er trägt grobes Tuch, die Werkstatt ist in einer Grube, darüber wurde eine Hütte gebaut. So könnte es ausgesehen haben vor rund 1200 Jahren. Zugeständnisse an die Gegenwart sind gelbe Ohrenstöpsel, Brille und schwere Sicherheitsschuhe. Auch der Hammer ist aus dem Baumarkt, die Holzkohle aber wurde selber produziert.

"Wir wissen aufgrund von Funden im ehemaligen Moorgebiet Mästermyr auf der Insel Gotland, dass die Wikinger ähnliche Werkzeugkisten hatten", sagt Hannes Napierala, der Geschäftsführer des Vereins "Campus Galli, karolingische Klosterstadt". Im August 2014 hat der promovierte Archäologe den Job angetreten. Der vollbärtige Mittdreißiger soll dafür sorgen, dass die Klosterstadt nicht bald Geschichte ist – kein leichter Job.

Seit zwei Jahren wird im Wald an der Straße nach Sigmaringen gewerkelt. 30 Angestellte hat Campus Galli, sie alle müssen bezahlt werden. Es gibt Schmiede, Steinmetze, Schindelmacher und andere Handwerker. Ebenso gibt es den Kräutergarten, Ziegen und den Souvenirshop.

Französisches Pendant ist ein Touristenmagnet

Ein Blick zurück: Im Sommer 2012 steht der Aachener Projektinitiator Bert Geurten an gleicher Stelle. Der quirlige Mann, der behauptet, in direkter Linie von Karl dem Großen abzustammen, schwärmt davon, wie man sich unter streng historischen Bedingungen ins Mittelalter zurückmeißeln werde; von den Erkenntnissen seiner "Experimentellen Archäologie" für die Forschung; und davon, dass man vom Turm der Kirche, in die in rund 40 Jahren einmal 2000 Menschen passen sollen, die Alpen sehen werde. Auch Arne Zwick, CDU-Bürgermeister der 8000-Einwohner-Stadt, die wenige touristische Highlights hat, schwärmt: "Wir wollten einen richtigen Bringer." Mit dem Gemeinderat war er zuvor ins französische Guédelon gereist, wo seit 1997 unter ähnlichen Bedingungen eine Burg gebaut wird – ein Touristenmagnet.

Davon ist Meßkirch heute weit entfernt. Im ersten Jahr kamen nicht einmal 13 000 Besucher, erwartet wurden 40 000; im zweiten Jahr waren es aber schon 37 000. Bis einschließlich 2014 hat die Stadt knapp eine Million Euro zugeschossen, geplant waren 400 000. Für 2015 wurden nochmals 300 000 Euro bewilligt. Einzelne Gemeinderäte beginnen zu murren, Meßkirch nahm für 2015 knapp eine Million Euro neue Kredite auf. 2018 soll Campus Galli sich selber tragen und sechsstellige Besucherzahlen haben. So jedenfalls der Plan.

Macher verabschieden sich von ambitioniertem Ziel

Doch es gibt und gab Streit: Andreas Sturm, der in der Mittelalterszene als Koryphäe für "Living History" (erlebbare Geschichte) gilt und von Geurten stolz als "Mittelalter-TÜV" präsentiert worden ist, hat Anfang 2013 entnervt seinen Posten im wissenschaftlichen Beirat aufgegeben. Seine Vorwürfe: schludrige Umsetzung, Missachtung historischer Erkenntnisse, ungeschulte Mitarbeiter. Napierala sagt, dass es wohl zwischenmenschliche Probleme gegeben habe und dass man heute noch eng mit dem hochkarätig besetzten Beirat in Detailfragen zusammenarbeite.

Aber er sagt auch, dass man sich vom ambitionierten Ziel, ernsthaft "Experimentelle Archäologie" als Großprojekt zu betreiben, verabschiedet habe. Dennoch betreibe man nach wie vor aber experimentalarchäologische Teilprojekte. Die Arbeit der Handwerker werde darüber hinaus ebenfalls für wissenschaftliche Zwecke ausgewertet – was etwa die Standzeiten von Werkzeug oder Herstellungsdauer Balken anbelangt.

Um 13 Uhr ertönt die Tabula. Jemand schlägt mit dem Holzklöppel gegen den Balken, der Ton ist kilometerweit zu hören. So wie damals. Es ist Mittagspause. Und dass diese pünktlich kundgetan wird, liegt am Handywecker in der Tasche des Mitarbeiters, verrät Napierala. Er muss zudem zähneknirschend in Kauf nehmen, dass die orangefarbenen Bierbänke im Gastronomiebereich stehen – sie sollen jedoch bald ausgewechselt werden. Und dass es surrende Kühlaggregate und graue Toilettencontainer im 9. Jahrhundert bestimmt nicht gab. Oder, dass in den industriell gefertigten Weidekörben Abfalltüten aus Plastik flattern. "Wir müssen Kompromisse machen", diesen Satz sagt er immer wieder bei der Begehung des Bauplatzes.

Blogger und Szene-Magazin attackieren das Projekt

Dort wird gerade ein Kran aus Holz gebaut, mit diesem wird am Rohbau der Kapelle weitergearbeitet. Ein Rentner mit Nordic-Walking-Stöcken sieht den Handwerkern Michael und Andreas zu – so wie Rentner eben gerne auf Baustellen starren. Den Stamm haben die Ochsen Korbinian und Jonathan auf die Lichtung geschleift. Nun erholen sie sich im Gehege – hinter einem Elektrozaun. "Tja, die Vorschriften", sagt Napierela fast schon entschuldigend.

Aber da ist noch Hiltibold, der Blogger aus Graz, der "Wanderer zwischen Antike und Mittelalter", inzwischen eine Art Erzfeind des Projekts. Er beklagt "einen Mischmasch aus Rekonstruktion und moderner Improvisation". Dem Besucher werde, da er nicht zwischen Fakten und Fiktion unterscheiden könne, "ein stark verzerrtes Geschichtsbild vermittelt, das dem eines Hollywoodfilms ähnelt".

"Karfunkel – Zeitschrift für erlebbare Geschichte", mit geschätzter Auflage von zweimonatlich 40 000 so etwas wie das Kicker-Magazin der Szene, hat sich angeschlossen. "Das Unternehmen ist kritikwürdig und sollte zwischen Pfahlbauten und allen anderen Subventions-Tourismusprojekten untergehen", forderte der Herausgeber. Nebenbei: In den Heften bewirbt er den eigenen Histotainement-Park im Odenwald. "Alles Einzelmeinungen", wiegelt Napierala ab. "Herr Geurten, der rhetorisch hochbegabte Initiator, versteht es, fachliche Kritik als Authentizitäts-Fanatismus von überdrehten Sonderlingen darzustellen, die am liebsten im Mittelalter leben möchten. Das wollen wir natürlich nicht", entgegnet Hiltibold.

Das große "A" – die Authentizität

"In der Szene geht es immer um das A, um Authentizität", sagt der Freiburger Henric Meyer. "Darum, inwieweit das, was wir heute unter Mittelalter verstehen, nachstellen und nachspielen, dem tatsächlichen Mittelalter entspricht." Der studierte Historiker betreibt seit elf Jahren in einem Hinterhof den Onlineversand Rota Temporis und verkauft Gewänder wie Tuniken, keltische Gürtelschließen oder Robin-Hood-Hüte. Seine Kunden flanieren damit auf Mittelaltermärkten oder nehmen darin am Live Action Role Playing, also Rollenspielen, teil. "In soziale Medien wird leider viel geschimpft und getrollt. Das ist manchmal unschön, das sind Leute, die sich nicht mal kennen", berichtet Meyer. Und immer gehe es darum, ob dieses "A" groß oder klein geschrieben werde.

Was meint die Wissenschaft? Jan Keupp, renommierter Historiker an der Uni Münster, sagt: "Bei Campus Galli schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Einerseits ist der Anspruch, das Mittelalter in welcher Art auch immer authentisch auferstehen zu lassen, bereits im Ansatz verfehlt." Authentizität sei ein utopisches Ziel – besonders wenn man sich in quellenarme Felder der Geschichte wie in das der ländlichen Arbeit im 9. Jahrhundert begebe. "Keine mir bekannte Fachtagung hat sich eigens mit dem Campus auseinandergesetzt, hier wird eine echte Parallelwelt betrieben." Doch Keupp schränkt ein: "Andererseits ist die Kritik vom hohen Ross der Fachwissenschaft in bestimmter Weise wohlfeil." Er verstehe, dass im Alltag der Baustelle zahlreiche Kompromisse einzugehen seien, und zollt den Machern Respekt: "Der Mut zur physischen Auseinandersetzung mit der Lebenswelt des Mittelalters verdient größte Bewunderung."

Wie geht es weiter in Meßkirch? "Wir haben schon über 170 Führungen gebucht, ich bin zuversichtlich", sagt Hannes Napierala. Auch der Bürgermeister sagt, dass der Trend stimme, dass der Gemeinderat zu 100 Prozent hinter dem Projekt stehe. Einen Plan B brauche er nicht. Über den Weg kommt der bärtige Tierpfleger, hinter ihm eine gackernde Hühnerschar. So ähnlich könnte das Leben vor mehr als 1000 Jahren hier ausgesehen haben. Mit ein bisschen Fantasie.

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